Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Fontane, Theodor: Effi Briest. Berlin, 1896.

Bild:
<< vorherige Seite
Effi Briest

"... Und ich kann mir namentlich nicht denken,
daß es gerade Ihnen, liebe Freundin, beschieden ge¬
wesen sein sollte, solche Sorgen und Befürchtungen
durchzumachen. Sie haben, Verzeihung, daß ich diesen
Punkt hier so offen berühre, gerade das, was die
Männer einen ,Charme' nennen, Sie sind heiter,
fesselnd, anregend und, wenn es nicht indiskret ist,
so möcht' ich, angesichts dieser Ihrer Vorzüge, wohl
fragen dürfen, stützt sich das, was Sie da sagen,
auf allerlei Schmerzliches, das Sie persönlich erlebt
haben?"

"Schmerzliches?" sagte die Zwicker. "Ach, meine
liebe, gnädigste Frau, Schmerzliches, das ist ein zu
großes Wort, auch dann noch, wenn man vielleicht
wirklich manches erlebt hat. Schmerzlich ist einfach
zu viel, viel zu viel. Und dann hat man doch
schließlich auch seine Hülfsmittel und Gegenkräfte.
Sie dürfen dergleichen nicht zu tragisch nehmen."

"Ich kann mir keine rechte Vorstellung von dem
machen, was Sie anzudeuten belieben. Nicht, als
ob ich nicht wüßte, was Sünde sei, das weiß ich
auch; aber es ist doch ein Unterschied, ob man so
hineingerät in allerlei schlechte Gedanken oder ob
einem derlei Dinge zur halben oder auch wohl zur
ganzen Lebensgewohnheit werden. Und nun gar im
eigenen Hause ..."

Effi Brieſt

„… Und ich kann mir namentlich nicht denken,
daß es gerade Ihnen, liebe Freundin, beſchieden ge¬
weſen ſein ſollte, ſolche Sorgen und Befürchtungen
durchzumachen. Sie haben, Verzeihung, daß ich dieſen
Punkt hier ſo offen berühre, gerade das, was die
Männer einen ‚Charme‘ nennen, Sie ſind heiter,
feſſelnd, anregend und, wenn es nicht indiskret iſt,
ſo möcht' ich, angeſichts dieſer Ihrer Vorzüge, wohl
fragen dürfen, ſtützt ſich das, was Sie da ſagen,
auf allerlei Schmerzliches, das Sie perſönlich erlebt
haben?“

„Schmerzliches?“ ſagte die Zwicker. „Ach, meine
liebe, gnädigſte Frau, Schmerzliches, das iſt ein zu
großes Wort, auch dann noch, wenn man vielleicht
wirklich manches erlebt hat. Schmerzlich iſt einfach
zu viel, viel zu viel. Und dann hat man doch
ſchließlich auch ſeine Hülfsmittel und Gegenkräfte.
Sie dürfen dergleichen nicht zu tragiſch nehmen.“

„Ich kann mir keine rechte Vorſtellung von dem
machen, was Sie anzudeuten belieben. Nicht, als
ob ich nicht wüßte, was Sünde ſei, das weiß ich
auch; aber es iſt doch ein Unterſchied, ob man ſo
hineingerät in allerlei ſchlechte Gedanken oder ob
einem derlei Dinge zur halben oder auch wohl zur
ganzen Lebensgewohnheit werden. Und nun gar im
eigenen Hauſe …“

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0450" n="441"/>
        <fw place="top" type="header">Effi Brie&#x017F;t<lb/></fw>
        <p>&#x201E;&#x2026; Und ich kann mir namentlich nicht denken,<lb/>
daß es gerade Ihnen, liebe Freundin, be&#x017F;chieden ge¬<lb/>
we&#x017F;en &#x017F;ein &#x017F;ollte, &#x017F;olche Sorgen und Befürchtungen<lb/>
durchzumachen. Sie haben, Verzeihung, daß ich die&#x017F;en<lb/>
Punkt hier &#x017F;o offen berühre, gerade das, was die<lb/>
Männer einen &#x201A;Charme&#x2018; nennen, Sie &#x017F;ind heiter,<lb/>
fe&#x017F;&#x017F;elnd, anregend und, wenn es nicht indiskret i&#x017F;t,<lb/>
&#x017F;o möcht' ich, ange&#x017F;ichts die&#x017F;er Ihrer Vorzüge, wohl<lb/>
fragen dürfen, &#x017F;tützt &#x017F;ich das, was Sie da &#x017F;agen,<lb/>
auf allerlei Schmerzliches, das Sie per&#x017F;önlich erlebt<lb/>
haben?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Schmerzliches?&#x201C; &#x017F;agte die Zwicker. &#x201E;Ach, meine<lb/>
liebe, gnädig&#x017F;te Frau, Schmerzliches, das i&#x017F;t ein zu<lb/>
großes Wort, auch dann noch, wenn man vielleicht<lb/>
wirklich manches erlebt hat. Schmerzlich i&#x017F;t einfach<lb/>
zu viel, viel zu viel. Und dann hat man doch<lb/>
&#x017F;chließlich auch &#x017F;eine Hülfsmittel und Gegenkräfte.<lb/>
Sie dürfen dergleichen nicht zu tragi&#x017F;ch nehmen.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ich kann mir keine rechte Vor&#x017F;tellung von dem<lb/>
machen, was Sie anzudeuten belieben. Nicht, als<lb/>
ob ich nicht wüßte, was Sünde &#x017F;ei, das weiß ich<lb/>
auch; aber es i&#x017F;t doch ein Unter&#x017F;chied, ob man &#x017F;o<lb/>
hineingerät in allerlei &#x017F;chlechte Gedanken oder ob<lb/>
einem derlei Dinge zur halben oder auch wohl zur<lb/>
ganzen Lebensgewohnheit werden. Und nun gar im<lb/>
eigenen Hau&#x017F;e &#x2026;&#x201C;</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[441/0450] Effi Brieſt „… Und ich kann mir namentlich nicht denken, daß es gerade Ihnen, liebe Freundin, beſchieden ge¬ weſen ſein ſollte, ſolche Sorgen und Befürchtungen durchzumachen. Sie haben, Verzeihung, daß ich dieſen Punkt hier ſo offen berühre, gerade das, was die Männer einen ‚Charme‘ nennen, Sie ſind heiter, feſſelnd, anregend und, wenn es nicht indiskret iſt, ſo möcht' ich, angeſichts dieſer Ihrer Vorzüge, wohl fragen dürfen, ſtützt ſich das, was Sie da ſagen, auf allerlei Schmerzliches, das Sie perſönlich erlebt haben?“ „Schmerzliches?“ ſagte die Zwicker. „Ach, meine liebe, gnädigſte Frau, Schmerzliches, das iſt ein zu großes Wort, auch dann noch, wenn man vielleicht wirklich manches erlebt hat. Schmerzlich iſt einfach zu viel, viel zu viel. Und dann hat man doch ſchließlich auch ſeine Hülfsmittel und Gegenkräfte. Sie dürfen dergleichen nicht zu tragiſch nehmen.“ „Ich kann mir keine rechte Vorſtellung von dem machen, was Sie anzudeuten belieben. Nicht, als ob ich nicht wüßte, was Sünde ſei, das weiß ich auch; aber es iſt doch ein Unterſchied, ob man ſo hineingerät in allerlei ſchlechte Gedanken oder ob einem derlei Dinge zur halben oder auch wohl zur ganzen Lebensgewohnheit werden. Und nun gar im eigenen Hauſe …“

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_briest_1896
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_briest_1896/450
Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Effi Briest. Berlin, 1896, S. 441. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_briest_1896/450>, abgerufen am 22.11.2024.