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Fontane, Theodor: Effi Briest. Berlin, 1896.

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Effi Briest
um Roswitha bei beiden Händen zu fassen und in
ihr Zimmer zu ziehen.

"Roswitha. Du. Ist das eine Freude. Was
bringst Du? Natürlich 'was Gutes. Ein so gutes
altes Gesicht kann nur 'was Gutes bringen. Ach,
wie glücklich ich bin, ich könnte Dir einen Kuß geben;
ich hätte nicht gedacht, daß ich noch solche Freude
haben könnte. Mein gutes altes Herz, wie geht es
Dir denn? Weißt Du noch, wie's damals war, als
der Chinese spukte? Das waren glückliche Zeiten.
Ich habe damals gedacht, es wären unglückliche,
weil ich das Harte des Lebens noch nicht kannte.
Seitdem habe ich es kennen gelernt. Ach, Spuk ist
lange nicht das schlimmste! Komm, meine gute
Roswitha, komm, setze Dich hier zu mir und erzähle
mir ... Ach, ich habe solche Sehnsucht. Was macht
Annie?"

Roswitha konnte kaum reden und sah sich in
dem sonderbaren Zimmer um, dessen grau und ver¬
staubt aussehende Wände in schmale Goldleisten ge¬
faßt waren. Endlich aber fand sie sich und sagte,
daß der gnädige Herr nun wieder aus Glatz zurück
sei; der alte Kaiser habe gesagt, "sechs Wochen in
solchem Falle sei gerade genug," und auf den Tag,
wo der gnädige Herr wieder da sein würde, darauf
habe sie bloß gewartet, wegen Annie, die doch eine

Effi Brieſt
um Roswitha bei beiden Händen zu faſſen und in
ihr Zimmer zu ziehen.

„Roswitha. Du. Iſt das eine Freude. Was
bringſt Du? Natürlich 'was Gutes. Ein ſo gutes
altes Geſicht kann nur 'was Gutes bringen. Ach,
wie glücklich ich bin, ich könnte Dir einen Kuß geben;
ich hätte nicht gedacht, daß ich noch ſolche Freude
haben könnte. Mein gutes altes Herz, wie geht es
Dir denn? Weißt Du noch, wie's damals war, als
der Chineſe ſpukte? Das waren glückliche Zeiten.
Ich habe damals gedacht, es wären unglückliche,
weil ich das Harte des Lebens noch nicht kannte.
Seitdem habe ich es kennen gelernt. Ach, Spuk iſt
lange nicht das ſchlimmſte! Komm, meine gute
Roswitha, komm, ſetze Dich hier zu mir und erzähle
mir … Ach, ich habe ſolche Sehnſucht. Was macht
Annie?“

Roswitha konnte kaum reden und ſah ſich in
dem ſonderbaren Zimmer um, deſſen grau und ver¬
ſtaubt ausſehende Wände in ſchmale Goldleiſten ge¬
faßt waren. Endlich aber fand ſie ſich und ſagte,
daß der gnädige Herr nun wieder aus Glatz zurück
ſei; der alte Kaiſer habe geſagt, „ſechs Wochen in
ſolchem Falle ſei gerade genug,“ und auf den Tag,
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[460/0469] Effi Brieſt um Roswitha bei beiden Händen zu faſſen und in ihr Zimmer zu ziehen. „Roswitha. Du. Iſt das eine Freude. Was bringſt Du? Natürlich 'was Gutes. Ein ſo gutes altes Geſicht kann nur 'was Gutes bringen. Ach, wie glücklich ich bin, ich könnte Dir einen Kuß geben; ich hätte nicht gedacht, daß ich noch ſolche Freude haben könnte. Mein gutes altes Herz, wie geht es Dir denn? Weißt Du noch, wie's damals war, als der Chineſe ſpukte? Das waren glückliche Zeiten. Ich habe damals gedacht, es wären unglückliche, weil ich das Harte des Lebens noch nicht kannte. Seitdem habe ich es kennen gelernt. Ach, Spuk iſt lange nicht das ſchlimmſte! Komm, meine gute Roswitha, komm, ſetze Dich hier zu mir und erzähle mir … Ach, ich habe ſolche Sehnſucht. Was macht Annie?“ Roswitha konnte kaum reden und ſah ſich in dem ſonderbaren Zimmer um, deſſen grau und ver¬ ſtaubt ausſehende Wände in ſchmale Goldleiſten ge¬ faßt waren. Endlich aber fand ſie ſich und ſagte, daß der gnädige Herr nun wieder aus Glatz zurück ſei; der alte Kaiſer habe geſagt, „ſechs Wochen in ſolchem Falle ſei gerade genug,“ und auf den Tag, wo der gnädige Herr wieder da ſein würde, darauf habe ſie bloß gewartet, wegen Annie, die doch eine

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Effi Briest. Berlin, 1896, S. 460. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_briest_1896/469>, abgerufen am 22.11.2024.