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Fontane, Theodor: Effi Briest. Berlin, 1896.

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Effi Briest
ich muß mich um sie ängstigen und mich schämen,
daß es meine Freundinnen sind."

So gingen Effi's Spottreden, und es war
ganz unverkennbar, daß sie sich um Polterabend und
Hochzeit nicht allzu sehr kümmerte. Frau von Briest
hatte so ihre Gedanken darüber, aber zu Sorgen kam
es nicht, weil sich Effi, was doch ein gutes Zeichen
war, ziemlich viel mit ihrer Zukunft beschäftigte
und sich, phantasiereich wie sie war, Viertelstunden
lang in Schilderungen ihres Kessiner Lebens erging,
Schilderungen, in denen sich nebenher und sehr zur
Erheiterung der Mama, eine merkwürdige Vorstellung
von Hinterpommern aussprach oder vielleicht auch,
mit kluger Berechnung, aussprechen sollte. Sie
gefiel sich nämlich darin, Kessin als einen halb
sibirischen Ort aufzufassen, wo Eis und Schnee nie
recht aufhörten.

"Heute hat Goschenhofer das Letzte geschickt,"
sagte Frau von Briest, als sie wie gewöhnlich in
Front des Seitenflügels mit Effi am Arbeitstische
saß, auf dem die Leinen- und Wäschevorräte be¬
ständig wuchsen, während der Zeitungen, die blos
Platz wegnahmen, immer weniger wurden. "Ich
hoffe, Du hast nun alles, Effi. Wenn Du aber
noch kleine Wünsche hegst, so mußt Du sie jetzt aus¬
sprechen, womöglich in dieser Stunde noch. Papa

Effi Brieſt
ich muß mich um ſie ängſtigen und mich ſchämen,
daß es meine Freundinnen ſind.“

So gingen Effi's Spottreden, und es war
ganz unverkennbar, daß ſie ſich um Polterabend und
Hochzeit nicht allzu ſehr kümmerte. Frau von Brieſt
hatte ſo ihre Gedanken darüber, aber zu Sorgen kam
es nicht, weil ſich Effi, was doch ein gutes Zeichen
war, ziemlich viel mit ihrer Zukunft beſchäftigte
und ſich, phantaſiereich wie ſie war, Viertelſtunden
lang in Schilderungen ihres Keſſiner Lebens erging,
Schilderungen, in denen ſich nebenher und ſehr zur
Erheiterung der Mama, eine merkwürdige Vorſtellung
von Hinterpommern ausſprach oder vielleicht auch,
mit kluger Berechnung, ausſprechen ſollte. Sie
gefiel ſich nämlich darin, Keſſin als einen halb
ſibiriſchen Ort aufzufaſſen, wo Eis und Schnee nie
recht aufhörten.

„Heute hat Goſchenhofer das Letzte geſchickt,“
ſagte Frau von Brieſt, als ſie wie gewöhnlich in
Front des Seitenflügels mit Effi am Arbeitstiſche
ſaß, auf dem die Leinen- und Wäſchevorräte be¬
ſtändig wuchſen, während der Zeitungen, die blos
Platz wegnahmen, immer weniger wurden. „Ich
hoffe, Du haſt nun alles, Effi. Wenn Du aber
noch kleine Wünſche hegſt, ſo mußt Du ſie jetzt aus¬
ſprechen, womöglich in dieſer Stunde noch. Papa

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[38/0047] Effi Brieſt ich muß mich um ſie ängſtigen und mich ſchämen, daß es meine Freundinnen ſind.“ So gingen Effi's Spottreden, und es war ganz unverkennbar, daß ſie ſich um Polterabend und Hochzeit nicht allzu ſehr kümmerte. Frau von Brieſt hatte ſo ihre Gedanken darüber, aber zu Sorgen kam es nicht, weil ſich Effi, was doch ein gutes Zeichen war, ziemlich viel mit ihrer Zukunft beſchäftigte und ſich, phantaſiereich wie ſie war, Viertelſtunden lang in Schilderungen ihres Keſſiner Lebens erging, Schilderungen, in denen ſich nebenher und ſehr zur Erheiterung der Mama, eine merkwürdige Vorſtellung von Hinterpommern ausſprach oder vielleicht auch, mit kluger Berechnung, ausſprechen ſollte. Sie gefiel ſich nämlich darin, Keſſin als einen halb ſibiriſchen Ort aufzufaſſen, wo Eis und Schnee nie recht aufhörten. „Heute hat Goſchenhofer das Letzte geſchickt,“ ſagte Frau von Brieſt, als ſie wie gewöhnlich in Front des Seitenflügels mit Effi am Arbeitstiſche ſaß, auf dem die Leinen- und Wäſchevorräte be¬ ſtändig wuchſen, während der Zeitungen, die blos Platz wegnahmen, immer weniger wurden. „Ich hoffe, Du haſt nun alles, Effi. Wenn Du aber noch kleine Wünſche hegſt, ſo mußt Du ſie jetzt aus¬ ſprechen, womöglich in dieſer Stunde noch. Papa

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Effi Briest. Berlin, 1896, S. 38. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_briest_1896/47>, abgerufen am 29.04.2024.