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Fontane, Theodor: Effi Briest. Berlin, 1896.

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Effi Briest
unterstützt, ihre Wohnung in der Königgrätzerstraße,
darin es ihr von Anfang an gefiel. Umgang fehlte
freilich, aber sie hatte während ihrer Pensionstage
von dem Verkehr mit Menschen so wenig Erfreuliches
gehabt, daß ihr das Alleinsein nicht schwer fiel,
wenigstens anfänglich nicht. Mit Roswitha ließ sich
allerdings kein ästhetisches Gespräch führen, auch
nicht 'mal sprechen über das, was in der Zeitung
stand, aber wenn es einfach menschliche Dinge be¬
traf und Effi mit einem ,ach Roswitha, mich ängstigt
es wieder ...' ihren Satz begann, dann wußte die
treue Seele jedesmal gut zu antworten und hatte
immer Trost und meist auch Rat.

Bis Weihnachten ging es vorzüglich; aber der
Heiligabend verlief schon recht traurig, und als das
neue Jahr herankam, begann Effi ganz schwermütig
zu werden. Es war nicht kalt, nur grau und
regnerisch, und wenn die Tage kurz waren, so waren
die Abende desto länger. Was thun? Sie las, sie
stickte, sie legte Patience, sie spielte Chopin, aber
diese Nocturnes waren auch nicht angethan, viel
Licht in ihr Leben zu tragen, und wenn Roswitha
mit dem Theebrett kam und außer dem Theezeug
auch noch zwei Tellerchen mit einem Ei und einem
in kleine Scheiben geschnittenen Wiener Schnitzel auf
den Tisch setzte, sagte Effi, während sie das Pianino

Th. Fontane, Effi Briest. 30

Effi Brieſt
unterſtützt, ihre Wohnung in der Königgrätzerſtraße,
darin es ihr von Anfang an gefiel. Umgang fehlte
freilich, aber ſie hatte während ihrer Penſionstage
von dem Verkehr mit Menſchen ſo wenig Erfreuliches
gehabt, daß ihr das Alleinſein nicht ſchwer fiel,
wenigſtens anfänglich nicht. Mit Roswitha ließ ſich
allerdings kein äſthetiſches Geſpräch führen, auch
nicht 'mal ſprechen über das, was in der Zeitung
ſtand, aber wenn es einfach menſchliche Dinge be¬
traf und Effi mit einem ,ach Roswitha, mich ängſtigt
es wieder …‘ ihren Satz begann, dann wußte die
treue Seele jedesmal gut zu antworten und hatte
immer Troſt und meiſt auch Rat.

Bis Weihnachten ging es vorzüglich; aber der
Heiligabend verlief ſchon recht traurig, und als das
neue Jahr herankam, begann Effi ganz ſchwermütig
zu werden. Es war nicht kalt, nur grau und
regneriſch, und wenn die Tage kurz waren, ſo waren
die Abende deſto länger. Was thun? Sie las, ſie
ſtickte, ſie legte Patience, ſie ſpielte Chopin, aber
dieſe Nocturnes waren auch nicht angethan, viel
Licht in ihr Leben zu tragen, und wenn Roswitha
mit dem Theebrett kam und außer dem Theezeug
auch noch zwei Tellerchen mit einem Ei und einem
in kleine Scheiben geſchnittenen Wiener Schnitzel auf
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Th. Fontane, Effi Brieſt. 30
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[465/0474] Effi Brieſt unterſtützt, ihre Wohnung in der Königgrätzerſtraße, darin es ihr von Anfang an gefiel. Umgang fehlte freilich, aber ſie hatte während ihrer Penſionstage von dem Verkehr mit Menſchen ſo wenig Erfreuliches gehabt, daß ihr das Alleinſein nicht ſchwer fiel, wenigſtens anfänglich nicht. Mit Roswitha ließ ſich allerdings kein äſthetiſches Geſpräch führen, auch nicht 'mal ſprechen über das, was in der Zeitung ſtand, aber wenn es einfach menſchliche Dinge be¬ traf und Effi mit einem ,ach Roswitha, mich ängſtigt es wieder …‘ ihren Satz begann, dann wußte die treue Seele jedesmal gut zu antworten und hatte immer Troſt und meiſt auch Rat. Bis Weihnachten ging es vorzüglich; aber der Heiligabend verlief ſchon recht traurig, und als das neue Jahr herankam, begann Effi ganz ſchwermütig zu werden. Es war nicht kalt, nur grau und regneriſch, und wenn die Tage kurz waren, ſo waren die Abende deſto länger. Was thun? Sie las, ſie ſtickte, ſie legte Patience, ſie ſpielte Chopin, aber dieſe Nocturnes waren auch nicht angethan, viel Licht in ihr Leben zu tragen, und wenn Roswitha mit dem Theebrett kam und außer dem Theezeug auch noch zwei Tellerchen mit einem Ei und einem in kleine Scheiben geſchnittenen Wiener Schnitzel auf den Tiſch ſetzte, ſagte Effi, während ſie das Pianino Th. Fontane, Effi Brieſt. 30

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Effi Briest. Berlin, 1896, S. 465. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_briest_1896/474>, abgerufen am 16.07.2024.