unterstützt, ihre Wohnung in der Königgrätzerstraße, darin es ihr von Anfang an gefiel. Umgang fehlte freilich, aber sie hatte während ihrer Pensionstage von dem Verkehr mit Menschen so wenig Erfreuliches gehabt, daß ihr das Alleinsein nicht schwer fiel, wenigstens anfänglich nicht. Mit Roswitha ließ sich allerdings kein ästhetisches Gespräch führen, auch nicht 'mal sprechen über das, was in der Zeitung stand, aber wenn es einfach menschliche Dinge be¬ traf und Effi mit einem ,ach Roswitha, mich ängstigt es wieder ...' ihren Satz begann, dann wußte die treue Seele jedesmal gut zu antworten und hatte immer Trost und meist auch Rat.
Bis Weihnachten ging es vorzüglich; aber der Heiligabend verlief schon recht traurig, und als das neue Jahr herankam, begann Effi ganz schwermütig zu werden. Es war nicht kalt, nur grau und regnerisch, und wenn die Tage kurz waren, so waren die Abende desto länger. Was thun? Sie las, sie stickte, sie legte Patience, sie spielte Chopin, aber diese Nocturnes waren auch nicht angethan, viel Licht in ihr Leben zu tragen, und wenn Roswitha mit dem Theebrett kam und außer dem Theezeug auch noch zwei Tellerchen mit einem Ei und einem in kleine Scheiben geschnittenen Wiener Schnitzel auf den Tisch setzte, sagte Effi, während sie das Pianino
Th. Fontane, Effi Briest. 30
Effi Brieſt
unterſtützt, ihre Wohnung in der Königgrätzerſtraße, darin es ihr von Anfang an gefiel. Umgang fehlte freilich, aber ſie hatte während ihrer Penſionstage von dem Verkehr mit Menſchen ſo wenig Erfreuliches gehabt, daß ihr das Alleinſein nicht ſchwer fiel, wenigſtens anfänglich nicht. Mit Roswitha ließ ſich allerdings kein äſthetiſches Geſpräch führen, auch nicht 'mal ſprechen über das, was in der Zeitung ſtand, aber wenn es einfach menſchliche Dinge be¬ traf und Effi mit einem ,ach Roswitha, mich ängſtigt es wieder …‘ ihren Satz begann, dann wußte die treue Seele jedesmal gut zu antworten und hatte immer Troſt und meiſt auch Rat.
Bis Weihnachten ging es vorzüglich; aber der Heiligabend verlief ſchon recht traurig, und als das neue Jahr herankam, begann Effi ganz ſchwermütig zu werden. Es war nicht kalt, nur grau und regneriſch, und wenn die Tage kurz waren, ſo waren die Abende deſto länger. Was thun? Sie las, ſie ſtickte, ſie legte Patience, ſie ſpielte Chopin, aber dieſe Nocturnes waren auch nicht angethan, viel Licht in ihr Leben zu tragen, und wenn Roswitha mit dem Theebrett kam und außer dem Theezeug auch noch zwei Tellerchen mit einem Ei und einem in kleine Scheiben geſchnittenen Wiener Schnitzel auf den Tiſch ſetzte, ſagte Effi, während ſie das Pianino
Th. Fontane, Effi Brieſt. 30
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0474"n="465"/><fwplace="top"type="header">Effi Brieſt<lb/></fw> unterſtützt, ihre Wohnung in der Königgrätzerſtraße,<lb/>
darin es ihr von Anfang an gefiel. Umgang fehlte<lb/>
freilich, aber ſie hatte während ihrer Penſionstage<lb/>
von dem Verkehr mit Menſchen ſo wenig Erfreuliches<lb/>
gehabt, daß ihr das Alleinſein nicht ſchwer fiel,<lb/>
wenigſtens anfänglich nicht. Mit Roswitha ließ ſich<lb/>
allerdings kein äſthetiſches Geſpräch führen, auch<lb/>
nicht 'mal ſprechen über das, was in der Zeitung<lb/>ſtand, aber wenn es einfach menſchliche Dinge be¬<lb/>
traf und Effi mit einem ,ach Roswitha, mich ängſtigt<lb/>
es wieder …‘ ihren Satz begann, dann wußte die<lb/>
treue Seele jedesmal gut zu antworten und hatte<lb/>
immer Troſt und meiſt auch Rat.</p><lb/><p>Bis Weihnachten ging es vorzüglich; aber der<lb/>
Heiligabend verlief ſchon recht traurig, und als das<lb/>
neue Jahr herankam, begann Effi ganz ſchwermütig<lb/>
zu werden. Es war nicht kalt, nur grau und<lb/>
regneriſch, und wenn die Tage kurz waren, ſo waren<lb/>
die Abende deſto länger. Was thun? Sie las, ſie<lb/>ſtickte, ſie legte Patience, ſie ſpielte Chopin, aber<lb/>
dieſe Nocturnes waren auch nicht angethan, viel<lb/>
Licht in ihr Leben zu tragen, und wenn Roswitha<lb/>
mit dem Theebrett kam und außer dem Theezeug<lb/>
auch noch zwei Tellerchen mit einem Ei und einem<lb/>
in kleine Scheiben geſchnittenen Wiener Schnitzel auf<lb/>
den Tiſch ſetzte, ſagte Effi, während ſie das Pianino<lb/><fwplace="bottom"type="sig">Th. <hirendition="#g">Fontane</hi>, Effi Brieſt. 30<lb/></fw></p></div></body></text></TEI>
[465/0474]
Effi Brieſt
unterſtützt, ihre Wohnung in der Königgrätzerſtraße,
darin es ihr von Anfang an gefiel. Umgang fehlte
freilich, aber ſie hatte während ihrer Penſionstage
von dem Verkehr mit Menſchen ſo wenig Erfreuliches
gehabt, daß ihr das Alleinſein nicht ſchwer fiel,
wenigſtens anfänglich nicht. Mit Roswitha ließ ſich
allerdings kein äſthetiſches Geſpräch führen, auch
nicht 'mal ſprechen über das, was in der Zeitung
ſtand, aber wenn es einfach menſchliche Dinge be¬
traf und Effi mit einem ,ach Roswitha, mich ängſtigt
es wieder …‘ ihren Satz begann, dann wußte die
treue Seele jedesmal gut zu antworten und hatte
immer Troſt und meiſt auch Rat.
Bis Weihnachten ging es vorzüglich; aber der
Heiligabend verlief ſchon recht traurig, und als das
neue Jahr herankam, begann Effi ganz ſchwermütig
zu werden. Es war nicht kalt, nur grau und
regneriſch, und wenn die Tage kurz waren, ſo waren
die Abende deſto länger. Was thun? Sie las, ſie
ſtickte, ſie legte Patience, ſie ſpielte Chopin, aber
dieſe Nocturnes waren auch nicht angethan, viel
Licht in ihr Leben zu tragen, und wenn Roswitha
mit dem Theebrett kam und außer dem Theezeug
auch noch zwei Tellerchen mit einem Ei und einem
in kleine Scheiben geſchnittenen Wiener Schnitzel auf
den Tiſch ſetzte, ſagte Effi, während ſie das Pianino
Th. Fontane, Effi Brieſt. 30
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Fontane, Theodor: Effi Briest. Berlin, 1896, S. 465. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_briest_1896/474>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.