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Fontane, Theodor: Irrungen, Wirrungen. Leipzig, 1888.

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um Ostern und wir hatten einen Sommer lang
allerglücklichste Tage. Soll ich davon erzählen?
Nein. Und dann kam das Leben mit seinem Ernst
und seinen Ansprüchen. Und das war es, was uns
trennte."

Botho hatte mittlerweile seinen Platz wieder
eingenommen und der all die Zeit über mit Glatt¬
streichung seines Hutes beschäftigte Franke sagte
ruhig vor sich hin: "Ja, so hat sie mir's auch
erzählt."

"Was nicht anders sein kann, Herr Franke.
Denn die Lene -- und ich freue mich von ganzem
Herzen, auch gerade das noch sagen zu können --
die Lene lügt nicht und bisse sich eher die Zunge
ab, als daß sie flunkerte. Sie hat einen doppelten
Stolz und neben dem, von ihrer Hände Arbeit leben
zu wollen, hat sie noch den andern, alles grad
heraus zu sagen und keine Flausen zu machen und
nichts zu vergrößern und nichts zu verkleinern. "Ich
brauche es nicht und ich will es nicht," das hab'
ich sie viele Male sagen hören. Ja, sie hat ihren
eigenen Willen, vielleicht etwas mehr, als recht ist,
und wer sie tadeln will, kann ihr vorwerfen, eigen¬
willig zu sein. Aber sie will nur, was sie glaubt
verantworten zu können und wohl auch wirklich
verantworten kann, und solch' Wille, mein' ich, ist
doch mehr Charakter als Selbstgerechtigkeit. Sie

um Oſtern und wir hatten einen Sommer lang
allerglücklichſte Tage. Soll ich davon erzählen?
Nein. Und dann kam das Leben mit ſeinem Ernſt
und ſeinen Anſprüchen. Und das war es, was uns
trennte.“

Botho hatte mittlerweile ſeinen Platz wieder
eingenommen und der all die Zeit über mit Glatt¬
ſtreichung ſeines Hutes beſchäftigte Franke ſagte
ruhig vor ſich hin: „Ja, ſo hat ſie mir's auch
erzählt.“

„Was nicht anders ſein kann, Herr Franke.
Denn die Lene — und ich freue mich von ganzem
Herzen, auch gerade das noch ſagen zu können —
die Lene lügt nicht und biſſe ſich eher die Zunge
ab, als daß ſie flunkerte. Sie hat einen doppelten
Stolz und neben dem, von ihrer Hände Arbeit leben
zu wollen, hat ſie noch den andern, alles grad
heraus zu ſagen und keine Flauſen zu machen und
nichts zu vergrößern und nichts zu verkleinern. „Ich
brauche es nicht und ich will es nicht,“ das hab'
ich ſie viele Male ſagen hören. Ja, ſie hat ihren
eigenen Willen, vielleicht etwas mehr, als recht iſt,
und wer ſie tadeln will, kann ihr vorwerfen, eigen¬
willig zu ſein. Aber ſie will nur, was ſie glaubt
verantworten zu können und wohl auch wirklich
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[226/0236] um Oſtern und wir hatten einen Sommer lang allerglücklichſte Tage. Soll ich davon erzählen? Nein. Und dann kam das Leben mit ſeinem Ernſt und ſeinen Anſprüchen. Und das war es, was uns trennte.“ Botho hatte mittlerweile ſeinen Platz wieder eingenommen und der all die Zeit über mit Glatt¬ ſtreichung ſeines Hutes beſchäftigte Franke ſagte ruhig vor ſich hin: „Ja, ſo hat ſie mir's auch erzählt.“ „Was nicht anders ſein kann, Herr Franke. Denn die Lene — und ich freue mich von ganzem Herzen, auch gerade das noch ſagen zu können — die Lene lügt nicht und biſſe ſich eher die Zunge ab, als daß ſie flunkerte. Sie hat einen doppelten Stolz und neben dem, von ihrer Hände Arbeit leben zu wollen, hat ſie noch den andern, alles grad heraus zu ſagen und keine Flauſen zu machen und nichts zu vergrößern und nichts zu verkleinern. „Ich brauche es nicht und ich will es nicht,“ das hab' ich ſie viele Male ſagen hören. Ja, ſie hat ihren eigenen Willen, vielleicht etwas mehr, als recht iſt, und wer ſie tadeln will, kann ihr vorwerfen, eigen¬ willig zu ſein. Aber ſie will nur, was ſie glaubt verantworten zu können und wohl auch wirklich verantworten kann, und ſolch' Wille, mein' ich, iſt doch mehr Charakter als Selbſtgerechtigkeit. Sie

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Irrungen, Wirrungen. Leipzig, 1888, S. 226. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_irrungen_1888/236>, abgerufen am 24.11.2024.