Das waren die Worte, die Woldemar in sein Tage¬ buch eintrug. Von allem, was er gesehen, war er an¬ genehm berührt worden, auch von Haus und Wohnung. Und dazu war guter Grund da, mehr als er nach seinem ersten Besuche wissen konnte. Das von der gräf¬ lichen Familie bewohnte Haus mit seinen Loggien und seinem diminutiven Hof und Garten teilte sich in zwei Hälften, von denen jede noch wieder ihre besondern Annexe hatte. Zu der Beletage gehörte das zur Seite gelegene pittoreske Hof- und Stallgebäude, drin der gräfliche Kutscher, Herr Imme, residierte, während zu dem die zweite Hälfte des Hauses bildenden Hochparterre ziemlich selbstverständlich noch das kleine niedrige Sou¬ terrain gerechnet wurde, drin, außer Portier Hartwig selbst, dessen Frau, sein Sohn Rudolf und seine Nichte Hedwig wohnten. Letztere freilich nur zeitweilig, und zwar immer nur dann, wenn sie, was allerdings ziemlich häufig vorkam, mal wieder ohne Stellung war. Die Wirtin des Hauses, Frau Hagelversicherungssekretär Schicke¬ danz, hätte diesen gelegentlichen Aufenthalt der Nichte Hartwigs eigentlich beanstanden müssen, ließ es aber gehen, weil Hedwig ein heiteres, quickes und sehr an¬ stelliges Ding war und manches besaß, was die Schicke¬ danz mit der Ungehörigkeit des ewigen Dienstwechsels wieder aussöhnte.
Die Schickedanz, eine Frau von sechzig, war schon verwitwet, als im Herbst fünfundachtzig die Barbys ein¬ zogen, Comtesse Armgard damals erst zehnjährig. Frau Schickedanz selbst war um jene Zeit noch in Trauer, weil ihr Gatte, der Versicherungssekretär, erst im De¬ zember des voraufgegangenen Jahres gestorben war, "drei Tage vor Weihnachten", ein Umstand, auf den der Hilfsprediger, ein junger Kandidat, in seiner Leichenrede beständig hingewiesen und die gewollte Wirkung auch richtig erzielt hatte. Allerdings nur bei der Schickedanz
Das waren die Worte, die Woldemar in ſein Tage¬ buch eintrug. Von allem, was er geſehen, war er an¬ genehm berührt worden, auch von Haus und Wohnung. Und dazu war guter Grund da, mehr als er nach ſeinem erſten Beſuche wiſſen konnte. Das von der gräf¬ lichen Familie bewohnte Haus mit ſeinen Loggien und ſeinem diminutiven Hof und Garten teilte ſich in zwei Hälften, von denen jede noch wieder ihre beſondern Annexe hatte. Zu der Beletage gehörte das zur Seite gelegene pittoreske Hof- und Stallgebäude, drin der gräfliche Kutſcher, Herr Imme, reſidierte, während zu dem die zweite Hälfte des Hauſes bildenden Hochparterre ziemlich ſelbſtverſtändlich noch das kleine niedrige Sou¬ terrain gerechnet wurde, drin, außer Portier Hartwig ſelbſt, deſſen Frau, ſein Sohn Rudolf und ſeine Nichte Hedwig wohnten. Letztere freilich nur zeitweilig, und zwar immer nur dann, wenn ſie, was allerdings ziemlich häufig vorkam, mal wieder ohne Stellung war. Die Wirtin des Hauſes, Frau Hagelverſicherungsſekretär Schicke¬ danz, hätte dieſen gelegentlichen Aufenthalt der Nichte Hartwigs eigentlich beanſtanden müſſen, ließ es aber gehen, weil Hedwig ein heiteres, quickes und ſehr an¬ ſtelliges Ding war und manches beſaß, was die Schicke¬ danz mit der Ungehörigkeit des ewigen Dienſtwechſels wieder ausſöhnte.
Die Schickedanz, eine Frau von ſechzig, war ſchon verwitwet, als im Herbſt fünfundachtzig die Barbys ein¬ zogen, Comteſſe Armgard damals erſt zehnjährig. Frau Schickedanz ſelbſt war um jene Zeit noch in Trauer, weil ihr Gatte, der Verſicherungsſekretär, erſt im De¬ zember des voraufgegangenen Jahres geſtorben war, „drei Tage vor Weihnachten“, ein Umſtand, auf den der Hilfsprediger, ein junger Kandidat, in ſeiner Leichenrede beſtändig hingewieſen und die gewollte Wirkung auch richtig erzielt hatte. Allerdings nur bei der Schickedanz
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0157"n="150"/><p>Das waren die Worte, die Woldemar in ſein Tage¬<lb/>
buch eintrug. Von allem, was er geſehen, war er an¬<lb/>
genehm berührt worden, auch von Haus und Wohnung.<lb/>
Und dazu war guter Grund da, mehr als er nach<lb/>ſeinem erſten Beſuche wiſſen konnte. Das von der gräf¬<lb/>
lichen Familie bewohnte Haus mit ſeinen Loggien und<lb/>ſeinem diminutiven Hof und Garten teilte ſich in zwei<lb/>
Hälften, von denen jede noch wieder ihre beſondern<lb/>
Annexe hatte. Zu der Beletage gehörte das zur Seite<lb/>
gelegene pittoreske Hof- und Stallgebäude, drin der<lb/>
gräfliche Kutſcher, Herr Imme, reſidierte, während zu<lb/>
dem die zweite Hälfte des Hauſes bildenden Hochparterre<lb/>
ziemlich ſelbſtverſtändlich noch das kleine niedrige Sou¬<lb/>
terrain gerechnet wurde, drin, außer Portier Hartwig<lb/>ſelbſt, deſſen Frau, ſein Sohn Rudolf und ſeine Nichte<lb/>
Hedwig wohnten. Letztere freilich nur zeitweilig, und<lb/>
zwar immer nur dann, wenn ſie, was allerdings ziemlich<lb/>
häufig vorkam, mal wieder ohne Stellung war. Die<lb/>
Wirtin des Hauſes, Frau Hagelverſicherungsſekretär Schicke¬<lb/>
danz, hätte dieſen gelegentlichen Aufenthalt der Nichte<lb/>
Hartwigs eigentlich beanſtanden müſſen, ließ es aber<lb/>
gehen, weil Hedwig ein heiteres, quickes und ſehr an¬<lb/>ſtelliges Ding war und manches beſaß, was die Schicke¬<lb/>
danz mit der Ungehörigkeit des ewigen Dienſtwechſels<lb/>
wieder ausſöhnte.</p><lb/><p>Die Schickedanz, eine Frau von ſechzig, war ſchon<lb/>
verwitwet, als im Herbſt fünfundachtzig die Barbys ein¬<lb/>
zogen, Comteſſe Armgard damals erſt zehnjährig. Frau<lb/>
Schickedanz ſelbſt war um jene Zeit noch in Trauer,<lb/>
weil ihr Gatte, der Verſicherungsſekretär, erſt im De¬<lb/>
zember des voraufgegangenen Jahres geſtorben war,<lb/>„drei Tage vor Weihnachten“, ein Umſtand, auf den der<lb/>
Hilfsprediger, ein junger Kandidat, in ſeiner Leichenrede<lb/>
beſtändig hingewieſen und die gewollte Wirkung auch<lb/>
richtig erzielt hatte. Allerdings nur bei der Schickedanz<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[150/0157]
Das waren die Worte, die Woldemar in ſein Tage¬
buch eintrug. Von allem, was er geſehen, war er an¬
genehm berührt worden, auch von Haus und Wohnung.
Und dazu war guter Grund da, mehr als er nach
ſeinem erſten Beſuche wiſſen konnte. Das von der gräf¬
lichen Familie bewohnte Haus mit ſeinen Loggien und
ſeinem diminutiven Hof und Garten teilte ſich in zwei
Hälften, von denen jede noch wieder ihre beſondern
Annexe hatte. Zu der Beletage gehörte das zur Seite
gelegene pittoreske Hof- und Stallgebäude, drin der
gräfliche Kutſcher, Herr Imme, reſidierte, während zu
dem die zweite Hälfte des Hauſes bildenden Hochparterre
ziemlich ſelbſtverſtändlich noch das kleine niedrige Sou¬
terrain gerechnet wurde, drin, außer Portier Hartwig
ſelbſt, deſſen Frau, ſein Sohn Rudolf und ſeine Nichte
Hedwig wohnten. Letztere freilich nur zeitweilig, und
zwar immer nur dann, wenn ſie, was allerdings ziemlich
häufig vorkam, mal wieder ohne Stellung war. Die
Wirtin des Hauſes, Frau Hagelverſicherungsſekretär Schicke¬
danz, hätte dieſen gelegentlichen Aufenthalt der Nichte
Hartwigs eigentlich beanſtanden müſſen, ließ es aber
gehen, weil Hedwig ein heiteres, quickes und ſehr an¬
ſtelliges Ding war und manches beſaß, was die Schicke¬
danz mit der Ungehörigkeit des ewigen Dienſtwechſels
wieder ausſöhnte.
Die Schickedanz, eine Frau von ſechzig, war ſchon
verwitwet, als im Herbſt fünfundachtzig die Barbys ein¬
zogen, Comteſſe Armgard damals erſt zehnjährig. Frau
Schickedanz ſelbſt war um jene Zeit noch in Trauer,
weil ihr Gatte, der Verſicherungsſekretär, erſt im De¬
zember des voraufgegangenen Jahres geſtorben war,
„drei Tage vor Weihnachten“, ein Umſtand, auf den der
Hilfsprediger, ein junger Kandidat, in ſeiner Leichenrede
beſtändig hingewieſen und die gewollte Wirkung auch
richtig erzielt hatte. Allerdings nur bei der Schickedanz
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899, S. 150. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899/157>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.