Krake; Bebel wartet bloß, und mit eins fegt er da¬ zwischen."
Schulze Kluckhuhn war in der ganzen Stechliner Gegend sehr angesehen, und als er jetzt mit seiner Me¬ daille so dasaß, dicht neben Koseleger, war er sich dessen auch wohl bewußt. Aber gegen Krippenstapel, den er als Schulpauker und Bienenvater eigentlich nicht für voll an¬ sah, kam er bei dieser Gelegenheit doch nicht an; Krippen¬ stapel hatte heute ganz seinen großen Tag, so sehr, daß selbst Kluckhuhn seinen Ton herabstimmen mußte.
Katzler, ein entschiedener Nichtredner, begann, als er sich mit seinem Notizenzettel, auf dem verschiedene Satz¬ anfänge standen, erhoben hatte, mit der Versicherung, daß er den so zahlreich Anwesenden, unter denen vielleicht auch einige Andersdenkende seien, für ihr Erscheinen danke. Sie wüßten alle, zu welchem Zweck sie hier seien. Der alte Kortschädel sei tot, "er ist in Ehren hingegangen," und es handle sich heute darum, dem alten Herrn von Kortschädel im Reichstag einen Nachfolger zu geben. Die Grafschaft habe immer konservativ gewählt; es sei Ehren¬ sache, wieder konservativ zu wählen. "Und ob die Welt voll Teufel wär'." Es liege der Grafschaft ob, dieser Welt des Abfalls zu zeigen, daß es noch "Stätten" gebe. Und hier sei eine solche Stätte. "Wir haben, glaub' ich," so schloß er, "niemand an diesem Tisch, der das Parla¬ mentarische voll beherrscht, weshalb ich bemüht gewesen bin, das, was uns hier zusammengeführt hat, schriftlich niederzulegen. Es ist ein schwacher Versuch. Jeder thut, soviel er kann, und der Brombeerstrauch hat eben nur seine Beeren. Aber auch sie können den durstigen Wan¬ derer erfrischen. Und so bitte ich denn unsern politischen Freund, dem wir außerdem für die Erforschung dieser Gegenden so viel verdanken, ich bitte Herrn Lehrer Krippen¬ stapel, uns das von mir Aufgesetzte vorlesen zu wollen. Ein pro memoria. Man kann es vielleicht so nennen."
Krake; Bebel wartet bloß, und mit eins fegt er da¬ zwiſchen.“
Schulze Kluckhuhn war in der ganzen Stechliner Gegend ſehr angeſehen, und als er jetzt mit ſeiner Me¬ daille ſo daſaß, dicht neben Koſeleger, war er ſich deſſen auch wohl bewußt. Aber gegen Krippenſtapel, den er als Schulpauker und Bienenvater eigentlich nicht für voll an¬ ſah, kam er bei dieſer Gelegenheit doch nicht an; Krippen¬ ſtapel hatte heute ganz ſeinen großen Tag, ſo ſehr, daß ſelbſt Kluckhuhn ſeinen Ton herabſtimmen mußte.
Katzler, ein entſchiedener Nichtredner, begann, als er ſich mit ſeinem Notizenzettel, auf dem verſchiedene Satz¬ anfänge ſtanden, erhoben hatte, mit der Verſicherung, daß er den ſo zahlreich Anweſenden, unter denen vielleicht auch einige Andersdenkende ſeien, für ihr Erſcheinen danke. Sie wüßten alle, zu welchem Zweck ſie hier ſeien. Der alte Kortſchädel ſei tot, „er iſt in Ehren hingegangen,“ und es handle ſich heute darum, dem alten Herrn von Kortſchädel im Reichstag einen Nachfolger zu geben. Die Grafſchaft habe immer konſervativ gewählt; es ſei Ehren¬ ſache, wieder konſervativ zu wählen. „Und ob die Welt voll Teufel wär'.“ Es liege der Grafſchaft ob, dieſer Welt des Abfalls zu zeigen, daß es noch „Stätten“ gebe. Und hier ſei eine ſolche Stätte. „Wir haben, glaub' ich,“ ſo ſchloß er, „niemand an dieſem Tiſch, der das Parla¬ mentariſche voll beherrſcht, weshalb ich bemüht geweſen bin, das, was uns hier zuſammengeführt hat, ſchriftlich niederzulegen. Es iſt ein ſchwacher Verſuch. Jeder thut, ſoviel er kann, und der Brombeerſtrauch hat eben nur ſeine Beeren. Aber auch ſie können den durſtigen Wan¬ derer erfriſchen. Und ſo bitte ich denn unſern politiſchen Freund, dem wir außerdem für die Erforſchung dieſer Gegenden ſo viel verdanken, ich bitte Herrn Lehrer Krippen¬ ſtapel, uns das von mir Aufgeſetzte vorleſen zu wollen. Ein pro memoria. Man kann es vielleicht ſo nennen.“
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0223"n="216"/>
Krake; Bebel wartet bloß, und mit eins fegt er da¬<lb/>
zwiſchen.“</p><lb/><p>Schulze Kluckhuhn war in der ganzen Stechliner<lb/>
Gegend ſehr angeſehen, und als er jetzt mit ſeiner Me¬<lb/>
daille ſo daſaß, dicht neben Koſeleger, war er ſich deſſen<lb/>
auch wohl bewußt. Aber gegen Krippenſtapel, den er als<lb/>
Schulpauker und Bienenvater eigentlich nicht für voll an¬<lb/>ſah, kam er bei dieſer Gelegenheit doch nicht an; Krippen¬<lb/>ſtapel hatte heute ganz ſeinen großen Tag, <hirendition="#g">ſo</hi>ſehr, daß<lb/>ſelbſt Kluckhuhn ſeinen Ton herabſtimmen mußte.</p><lb/><p>Katzler, ein entſchiedener Nichtredner, begann, als er<lb/>ſich mit ſeinem Notizenzettel, auf dem verſchiedene Satz¬<lb/>
anfänge ſtanden, erhoben hatte, mit der Verſicherung, daß<lb/>
er den ſo zahlreich Anweſenden, unter denen vielleicht<lb/>
auch einige Andersdenkende ſeien, für ihr Erſcheinen danke.<lb/>
Sie wüßten alle, zu welchem Zweck ſie hier ſeien. Der<lb/>
alte Kortſchädel ſei tot, „er iſt in Ehren hingegangen,“<lb/>
und es handle ſich heute darum, dem alten Herrn von<lb/>
Kortſchädel im Reichstag einen Nachfolger zu geben. Die<lb/>
Grafſchaft habe immer konſervativ gewählt; es ſei Ehren¬<lb/>ſache, wieder konſervativ zu wählen. „Und ob die Welt<lb/>
voll Teufel wär'.“ Es liege der Grafſchaft ob, dieſer<lb/>
Welt des Abfalls zu zeigen, daß es noch „Stätten“ gebe.<lb/>
Und hier ſei eine ſolche Stätte. „Wir haben, glaub' ich,“<lb/>ſo ſchloß er, „niemand an dieſem Tiſch, der das Parla¬<lb/>
mentariſche voll beherrſcht, weshalb ich bemüht geweſen<lb/>
bin, das, was uns hier zuſammengeführt hat, ſchriftlich<lb/>
niederzulegen. Es iſt ein ſchwacher Verſuch. Jeder thut,<lb/>ſoviel er kann, und der Brombeerſtrauch hat eben nur<lb/>ſeine Beeren. Aber auch <hirendition="#g">ſie</hi> können den durſtigen Wan¬<lb/>
derer erfriſchen. Und ſo bitte ich denn unſern politiſchen<lb/>
Freund, dem wir außerdem für die Erforſchung dieſer<lb/>
Gegenden ſo viel verdanken, ich bitte Herrn Lehrer Krippen¬<lb/>ſtapel, uns das von mir Aufgeſetzte vorleſen zu wollen.<lb/>
Ein <hirendition="#aq">pro memoria</hi>. Man kann es vielleicht ſo nennen.“<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[216/0223]
Krake; Bebel wartet bloß, und mit eins fegt er da¬
zwiſchen.“
Schulze Kluckhuhn war in der ganzen Stechliner
Gegend ſehr angeſehen, und als er jetzt mit ſeiner Me¬
daille ſo daſaß, dicht neben Koſeleger, war er ſich deſſen
auch wohl bewußt. Aber gegen Krippenſtapel, den er als
Schulpauker und Bienenvater eigentlich nicht für voll an¬
ſah, kam er bei dieſer Gelegenheit doch nicht an; Krippen¬
ſtapel hatte heute ganz ſeinen großen Tag, ſo ſehr, daß
ſelbſt Kluckhuhn ſeinen Ton herabſtimmen mußte.
Katzler, ein entſchiedener Nichtredner, begann, als er
ſich mit ſeinem Notizenzettel, auf dem verſchiedene Satz¬
anfänge ſtanden, erhoben hatte, mit der Verſicherung, daß
er den ſo zahlreich Anweſenden, unter denen vielleicht
auch einige Andersdenkende ſeien, für ihr Erſcheinen danke.
Sie wüßten alle, zu welchem Zweck ſie hier ſeien. Der
alte Kortſchädel ſei tot, „er iſt in Ehren hingegangen,“
und es handle ſich heute darum, dem alten Herrn von
Kortſchädel im Reichstag einen Nachfolger zu geben. Die
Grafſchaft habe immer konſervativ gewählt; es ſei Ehren¬
ſache, wieder konſervativ zu wählen. „Und ob die Welt
voll Teufel wär'.“ Es liege der Grafſchaft ob, dieſer
Welt des Abfalls zu zeigen, daß es noch „Stätten“ gebe.
Und hier ſei eine ſolche Stätte. „Wir haben, glaub' ich,“
ſo ſchloß er, „niemand an dieſem Tiſch, der das Parla¬
mentariſche voll beherrſcht, weshalb ich bemüht geweſen
bin, das, was uns hier zuſammengeführt hat, ſchriftlich
niederzulegen. Es iſt ein ſchwacher Verſuch. Jeder thut,
ſoviel er kann, und der Brombeerſtrauch hat eben nur
ſeine Beeren. Aber auch ſie können den durſtigen Wan¬
derer erfriſchen. Und ſo bitte ich denn unſern politiſchen
Freund, dem wir außerdem für die Erforſchung dieſer
Gegenden ſo viel verdanken, ich bitte Herrn Lehrer Krippen¬
ſtapel, uns das von mir Aufgeſetzte vorleſen zu wollen.
Ein pro memoria. Man kann es vielleicht ſo nennen.“
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899, S. 216. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899/223>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.