Gefühle haben. Übermorgen ist er von Trakehnen wieder da, mutmaßlich bei dem scheußlichen Wetter schlecht ajustiert, und dann Hals über Kopf und in großem Trara nach London. Und London ginge noch. Aber auch nach Windsor. Alles, wenn es sich um chic handelt, will doch seine Zeit haben, und gerade die Vettern drüben sehen einem sehr auf die Finger."
"Laß sie sehn," sagte Herbstfelde. "Wir sehen auch. Und Stechlin ist nicht der Mann, sich über derlei Dinge graue Haare wachsen zu lassen. Ich glaube, daß ihn was ganz andres geniert. Es ist doch immerhin was, daß er da mit nach England hinüber soll, und einer solchen Auszeichnung entspricht selbstverständlich eine Nicht¬ auszeichnung andrer. Das paßt nicht jedem, und nach dem Bilde, das ich mir von unserm Stechlin mache, gehört er zu diesen. Er ficht nicht gern unter der Devise ,nur über Leichen', hat vielmehr umgekehrt den Zug, sich in die zweite Linie zu stellen. Und nun sieht es aus, als wär' er ein Streber."
"Stimmt nicht," sagte Raspe. "Für so verrannt kann ich keinen von uns halten. Stechlin sitzt da oben in Ostpreußen und kann doch unmöglich in seinen Muße¬ stunden hierher intrigiert und einen etwaigen Rivalen aus dem Sattel geworfen haben. Und unser Oberst! Der ist doch auch nicht der Mann dazu, sich irgend wen aufreden zu lassen. Der kennt seine Pappenheimer. Und wenn er sich den Stechlin aussucht, dann weiß er, warum. Übrigens, Dienst ist Dienst; man geht nicht, weil man will, sondern weil man muß. Spricht er denn englisch?"
"Ich glaube nicht," sagte von Grumbach. "Soviel ich weiß, hat er vor kurzem damit angefangen, aber natürlich nicht wegen dieser Mission, die ja wie vom blauen Himmel auf ihn niederfällt, sondern der Barbys wegen, die beinah zwanzig Jahre in England waren
Gefühle haben. Übermorgen iſt er von Trakehnen wieder da, mutmaßlich bei dem ſcheußlichen Wetter ſchlecht ajuſtiert, und dann Hals über Kopf und in großem Trara nach London. Und London ginge noch. Aber auch nach Windſor. Alles, wenn es ſich um chic handelt, will doch ſeine Zeit haben, und gerade die Vettern drüben ſehen einem ſehr auf die Finger.“
„Laß ſie ſehn,“ ſagte Herbſtfelde. „Wir ſehen auch. Und Stechlin iſt nicht der Mann, ſich über derlei Dinge graue Haare wachſen zu laſſen. Ich glaube, daß ihn was ganz andres geniert. Es iſt doch immerhin was, daß er da mit nach England hinüber ſoll, und einer ſolchen Auszeichnung entſpricht ſelbſtverſtändlich eine Nicht¬ auszeichnung andrer. Das paßt nicht jedem, und nach dem Bilde, das ich mir von unſerm Stechlin mache, gehört er zu dieſen. Er ficht nicht gern unter der Deviſe ‚nur über Leichen‘, hat vielmehr umgekehrt den Zug, ſich in die zweite Linie zu ſtellen. Und nun ſieht es aus, als wär' er ein Streber.“
„Stimmt nicht,“ ſagte Raſpe. „Für ſo verrannt kann ich keinen von uns halten. Stechlin ſitzt da oben in Oſtpreußen und kann doch unmöglich in ſeinen Muße¬ ſtunden hierher intrigiert und einen etwaigen Rivalen aus dem Sattel geworfen haben. Und unſer Oberſt! Der iſt doch auch nicht der Mann dazu, ſich irgend wen aufreden zu laſſen. Der kennt ſeine Pappenheimer. Und wenn er ſich den Stechlin ausſucht, dann weiß er, warum. Übrigens, Dienſt iſt Dienſt; man geht nicht, weil man will, ſondern weil man muß. Spricht er denn engliſch?“
„Ich glaube nicht,“ ſagte von Grumbach. „Soviel ich weiß, hat er vor kurzem damit angefangen, aber natürlich nicht wegen dieſer Miſſion, die ja wie vom blauen Himmel auf ihn niederfällt, ſondern der Barbys wegen, die beinah zwanzig Jahre in England waren
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0279"n="272"/>
Gefühle haben. Übermorgen iſt er von Trakehnen wieder<lb/>
da, mutmaßlich bei dem ſcheußlichen Wetter ſchlecht ajuſtiert,<lb/>
und dann Hals über Kopf und in großem Trara nach<lb/>
London. Und London ginge noch. Aber auch nach<lb/>
Windſor. Alles, wenn es ſich um chic handelt, will<lb/>
doch ſeine Zeit haben, und gerade die Vettern drüben<lb/>ſehen einem ſehr auf die Finger.“</p><lb/><p>„Laß ſie ſehn,“ſagte Herbſtfelde. „Wir ſehen auch.<lb/>
Und Stechlin iſt nicht der Mann, ſich über derlei Dinge<lb/>
graue Haare wachſen zu laſſen. Ich glaube, daß ihn<lb/>
was ganz andres geniert. Es iſt doch immerhin was,<lb/>
daß er da mit nach England hinüber ſoll, und einer<lb/>ſolchen Auszeichnung entſpricht ſelbſtverſtändlich eine Nicht¬<lb/>
auszeichnung andrer. Das paßt nicht jedem, und nach<lb/>
dem Bilde, das ich mir von unſerm Stechlin mache,<lb/>
gehört er zu dieſen. Er ficht nicht gern unter der Deviſe<lb/>‚nur über Leichen‘, hat vielmehr umgekehrt den Zug,<lb/>ſich in die zweite Linie zu ſtellen. Und nun ſieht es<lb/>
aus, als wär' er ein Streber.“</p><lb/><p>„Stimmt nicht,“ſagte Raſpe. „Für ſo verrannt<lb/>
kann ich keinen von uns halten. Stechlin ſitzt da oben<lb/>
in Oſtpreußen und kann doch unmöglich in ſeinen Muße¬<lb/>ſtunden hierher intrigiert und einen etwaigen Rivalen<lb/>
aus dem Sattel geworfen haben. Und unſer Oberſt!<lb/>
Der iſt doch auch nicht der Mann dazu, ſich irgend wen<lb/>
aufreden zu laſſen. Der kennt ſeine Pappenheimer.<lb/>
Und wenn er ſich den Stechlin ausſucht, dann weiß er,<lb/>
warum. Übrigens, Dienſt iſt Dienſt; man geht nicht,<lb/>
weil man will, ſondern weil man muß. Spricht er<lb/>
denn engliſch?“</p><lb/><p>„Ich glaube nicht,“ſagte von Grumbach. „Soviel<lb/>
ich weiß, hat er vor kurzem damit angefangen, aber<lb/>
natürlich nicht wegen dieſer Miſſion, die ja wie vom<lb/>
blauen Himmel auf ihn niederfällt, ſondern der Barbys<lb/>
wegen, die beinah zwanzig Jahre in England waren<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[272/0279]
Gefühle haben. Übermorgen iſt er von Trakehnen wieder
da, mutmaßlich bei dem ſcheußlichen Wetter ſchlecht ajuſtiert,
und dann Hals über Kopf und in großem Trara nach
London. Und London ginge noch. Aber auch nach
Windſor. Alles, wenn es ſich um chic handelt, will
doch ſeine Zeit haben, und gerade die Vettern drüben
ſehen einem ſehr auf die Finger.“
„Laß ſie ſehn,“ ſagte Herbſtfelde. „Wir ſehen auch.
Und Stechlin iſt nicht der Mann, ſich über derlei Dinge
graue Haare wachſen zu laſſen. Ich glaube, daß ihn
was ganz andres geniert. Es iſt doch immerhin was,
daß er da mit nach England hinüber ſoll, und einer
ſolchen Auszeichnung entſpricht ſelbſtverſtändlich eine Nicht¬
auszeichnung andrer. Das paßt nicht jedem, und nach
dem Bilde, das ich mir von unſerm Stechlin mache,
gehört er zu dieſen. Er ficht nicht gern unter der Deviſe
‚nur über Leichen‘, hat vielmehr umgekehrt den Zug,
ſich in die zweite Linie zu ſtellen. Und nun ſieht es
aus, als wär' er ein Streber.“
„Stimmt nicht,“ ſagte Raſpe. „Für ſo verrannt
kann ich keinen von uns halten. Stechlin ſitzt da oben
in Oſtpreußen und kann doch unmöglich in ſeinen Muße¬
ſtunden hierher intrigiert und einen etwaigen Rivalen
aus dem Sattel geworfen haben. Und unſer Oberſt!
Der iſt doch auch nicht der Mann dazu, ſich irgend wen
aufreden zu laſſen. Der kennt ſeine Pappenheimer.
Und wenn er ſich den Stechlin ausſucht, dann weiß er,
warum. Übrigens, Dienſt iſt Dienſt; man geht nicht,
weil man will, ſondern weil man muß. Spricht er
denn engliſch?“
„Ich glaube nicht,“ ſagte von Grumbach. „Soviel
ich weiß, hat er vor kurzem damit angefangen, aber
natürlich nicht wegen dieſer Miſſion, die ja wie vom
blauen Himmel auf ihn niederfällt, ſondern der Barbys
wegen, die beinah zwanzig Jahre in England waren
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899, S. 272. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899/279>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.