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Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899.

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Cab vorüberfährt, sollen ja immer Rad neben einem her
schlagen, und die Dienstmädchen, was noch wichtiger
ist, sollen sehr hübsch sein, kleine Hauben und Tändel¬
schürze."

"Ja, Raspe, da treffen Sie's. Und ist eigentlich
auch das Interessanteste. Denn sogenannte Meisterwerke
giebt es ja jetzt überall, von Kirchen und dergleichen gar
nicht zu reden. Und Schiffe haben wir ja jetzt auch
und auch ein Parlament. Und manche sagen, unsres
sei noch besser. Aber das Volk. Sehen Sie, da steckt
es. Das Volk ist alles."

"Na, natürlich Volk. Oberschicht überall ein und
dasselbe. Was da los ist, das wissen wir."

"Und eigentlich hab' ich die ganzen drei Wochen
auf 'nem Omnibus gesessen und bin abends in die Ma¬
trosenkneipen an der Themse gegangen. Ein bißchen
gefährlich; man hat da seinen Messerstich weg, man
weiß nicht wie, ganz wie in Italien. Bloß in Italien
giebt es vorher doch immer noch ein Liebesverhältnis,
was in Old-Wapping -- so heißt nämlich der Stadt¬
teil an der Themse -- nicht mal nötig ist. Und dann,
wenn ich zu Hause war, sprach ich natürlich mit Mary.
Viel war es nicht. Denn die hundert Vokabeln, die
dazu nötig sind, die hatte ich damals noch nicht voll."

"Na, 's ging aber doch?"

"So leidlich. Und dabei hatt' ich mal 'ne Scene,
die war eigentlich das Hübscheste. Meine Wohnung
befand sich nämlich eine Treppe hoch in einer kleinen stillen
Querstraße von Oxford-Street. Und Mary war gerade
bei mir. Und in dem Augenblicke, wo ich mich mit
dem hübschen Kinde zu verständigen suche ..."

"Worüber?"

"In demselben Augenblicke sieht ein Chinese grinsend
in mein Fenster hinein, so daß er eigentlich eine Ohr¬
feige verdient hätte."

Cab vorüberfährt, ſollen ja immer Rad neben einem her
ſchlagen, und die Dienſtmädchen, was noch wichtiger
iſt, ſollen ſehr hübſch ſein, kleine Hauben und Tändel¬
ſchürze.“

„Ja, Raſpe, da treffen Sie's. Und iſt eigentlich
auch das Intereſſanteſte. Denn ſogenannte Meiſterwerke
giebt es ja jetzt überall, von Kirchen und dergleichen gar
nicht zu reden. Und Schiffe haben wir ja jetzt auch
und auch ein Parlament. Und manche ſagen, unſres
ſei noch beſſer. Aber das Volk. Sehen Sie, da ſteckt
es. Das Volk iſt alles.“

„Na, natürlich Volk. Oberſchicht überall ein und
dasſelbe. Was da los iſt, das wiſſen wir.“

„Und eigentlich hab' ich die ganzen drei Wochen
auf 'nem Omnibus geſeſſen und bin abends in die Ma¬
troſenkneipen an der Themſe gegangen. Ein bißchen
gefährlich; man hat da ſeinen Meſſerſtich weg, man
weiß nicht wie, ganz wie in Italien. Bloß in Italien
giebt es vorher doch immer noch ein Liebesverhältnis,
was in Old-Wapping — ſo heißt nämlich der Stadt¬
teil an der Themſe — nicht mal nötig iſt. Und dann,
wenn ich zu Hauſe war, ſprach ich natürlich mit Mary.
Viel war es nicht. Denn die hundert Vokabeln, die
dazu nötig ſind, die hatte ich damals noch nicht voll.“

„Na, 's ging aber doch?“

„So leidlich. Und dabei hatt' ich mal 'ne Scene,
die war eigentlich das Hübſcheſte. Meine Wohnung
befand ſich nämlich eine Treppe hoch in einer kleinen ſtillen
Querſtraße von Oxford-Street. Und Mary war gerade
bei mir. Und in dem Augenblicke, wo ich mich mit
dem hübſchen Kinde zu verſtändigen ſuche ...“

„Worüber?“

„In demſelben Augenblicke ſieht ein Chineſe grinſend
in mein Fenſter hinein, ſo daß er eigentlich eine Ohr¬
feige verdient hätte.“

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[274/0281] Cab vorüberfährt, ſollen ja immer Rad neben einem her ſchlagen, und die Dienſtmädchen, was noch wichtiger iſt, ſollen ſehr hübſch ſein, kleine Hauben und Tändel¬ ſchürze.“ „Ja, Raſpe, da treffen Sie's. Und iſt eigentlich auch das Intereſſanteſte. Denn ſogenannte Meiſterwerke giebt es ja jetzt überall, von Kirchen und dergleichen gar nicht zu reden. Und Schiffe haben wir ja jetzt auch und auch ein Parlament. Und manche ſagen, unſres ſei noch beſſer. Aber das Volk. Sehen Sie, da ſteckt es. Das Volk iſt alles.“ „Na, natürlich Volk. Oberſchicht überall ein und dasſelbe. Was da los iſt, das wiſſen wir.“ „Und eigentlich hab' ich die ganzen drei Wochen auf 'nem Omnibus geſeſſen und bin abends in die Ma¬ troſenkneipen an der Themſe gegangen. Ein bißchen gefährlich; man hat da ſeinen Meſſerſtich weg, man weiß nicht wie, ganz wie in Italien. Bloß in Italien giebt es vorher doch immer noch ein Liebesverhältnis, was in Old-Wapping — ſo heißt nämlich der Stadt¬ teil an der Themſe — nicht mal nötig iſt. Und dann, wenn ich zu Hauſe war, ſprach ich natürlich mit Mary. Viel war es nicht. Denn die hundert Vokabeln, die dazu nötig ſind, die hatte ich damals noch nicht voll.“ „Na, 's ging aber doch?“ „So leidlich. Und dabei hatt' ich mal 'ne Scene, die war eigentlich das Hübſcheſte. Meine Wohnung befand ſich nämlich eine Treppe hoch in einer kleinen ſtillen Querſtraße von Oxford-Street. Und Mary war gerade bei mir. Und in dem Augenblicke, wo ich mich mit dem hübſchen Kinde zu verſtändigen ſuche ...“ „Worüber?“ „In demſelben Augenblicke ſieht ein Chineſe grinſend in mein Fenſter hinein, ſo daß er eigentlich eine Ohr¬ feige verdient hätte.“

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899, S. 274. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899/281>, abgerufen am 22.11.2024.