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Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899.

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so dabei bin und über meine Fortschritte beinah' erstaune,
dann berapple ich mich momentan wieder und sage
mir: ,Courage gewonnen, alles gewonnen'. Und dabei
lass' ich dann zu meinem weitern Trost all unsre preußischen
Helden zu Fuß und zu Pferde an mir vorüber
ziehen, immer mit dem Gefühl einer gewissen wissen¬
schaftlichen und mitunter auch moralischen Überlegenheit.
Da ist zuerst der Derfflinger. Nun, der soll ein Schneider
gewesen sein. Dann kam Blücher, -- der war einfach
ein ,Jeu'er. Und dann kam Wrangel und trieb sein
verwegenes Spiel mit ,mir und mich'."

"Bravo, Czako. Das ist die Sprache, die Sie
sprechen müssen. Und Sie werden auch nicht an der
Majorsecke scheitern. Eigentlich läuft doch alles bloß
darauf hinaus, wie hoch man sich selber einschätzt. Das
ist freilich eine Kunst, die nicht jeder versteht. Das Wort
vom alten Fritz: ,Denk' Er nur immer, daß Er hundert¬
tausend Mann hinter sich hat,' dies Trostwort ist manchem
von uns ein bißchen verloren gegangen, trotz unsrer
Siege. Oder vielleicht auch eben deshalb. Siege pro¬
duzieren unter Umständen auch Bescheidenheit."

"Jedenfalls haben Sie, lieber Stechlin, zu viel
davon. Aber wenn Sie erst Ihre Ruth haben ..."

"Ach, Czako, kommen Sie mir nicht immer mit
,Ruth'. Oder eigentlich, seien Sie doch bedankt dafür.
Denn dieser weibliche Name mahnt mich, daß ich mich
für heut' Abend am Kronprinzenufer angemeldet habe,
bei den Barbys, wo's, wie Sie wissen, freilich keine
Ruth giebt, aber dafür eine ,Melusine', was fast noch
mehr ist."

"Versteht sich, Melusine is mehr. Alles, was aus
dem Wasser kommt, ist mehr. Venus kam aus dem
Wasser, ebenso Hero ... Nein, nein, entschuldigen Sie,
es war Leander."

"Egal. Lassen Sie's, wie's ist. Solche verwechselte

ſo dabei bin und über meine Fortſchritte beinah’ erſtaune,
dann berapple ich mich momentan wieder und ſage
mir: ‚Courage gewonnen, alles gewonnen‘. Und dabei
laſſ' ich dann zu meinem weitern Troſt all unſre preußiſchen
Helden zu Fuß und zu Pferde an mir vorüber
ziehen, immer mit dem Gefühl einer gewiſſen wiſſen¬
ſchaftlichen und mitunter auch moraliſchen Überlegenheit.
Da iſt zuerſt der Derfflinger. Nun, der ſoll ein Schneider
geweſen ſein. Dann kam Blücher, — der war einfach
ein ‚Jeu‘er. Und dann kam Wrangel und trieb ſein
verwegenes Spiel mit ‚mir und mich‘.“

„Bravo, Czako. Das iſt die Sprache, die Sie
ſprechen müſſen. Und Sie werden auch nicht an der
Majorsecke ſcheitern. Eigentlich läuft doch alles bloß
darauf hinaus, wie hoch man ſich ſelber einſchätzt. Das
iſt freilich eine Kunſt, die nicht jeder verſteht. Das Wort
vom alten Fritz: ‚Denk’ Er nur immer, daß Er hundert¬
tauſend Mann hinter ſich hat,‘ dies Troſtwort iſt manchem
von uns ein bißchen verloren gegangen, trotz unſrer
Siege. Oder vielleicht auch eben deshalb. Siege pro¬
duzieren unter Umſtänden auch Beſcheidenheit.“

„Jedenfalls haben Sie, lieber Stechlin, zu viel
davon. Aber wenn Sie erſt Ihre Ruth haben ...“

„Ach, Czako, kommen Sie mir nicht immer mit
‚Ruth‘. Oder eigentlich, ſeien Sie doch bedankt dafür.
Denn dieſer weibliche Name mahnt mich, daß ich mich
für heut' Abend am Kronprinzenufer angemeldet habe,
bei den Barbys, wo's, wie Sie wiſſen, freilich keine
Ruth giebt, aber dafür eine ‚Meluſine‘, was faſt noch
mehr iſt.“

„Verſteht ſich, Meluſine is mehr. Alles, was aus
dem Waſſer kommt, iſt mehr. Venus kam aus dem
Waſſer, ebenſo Hero ... Nein, nein, entſchuldigen Sie,
es war Leander.“

„Egal. Laſſen Sie's, wie's iſt. Solche verwechſelte

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[279/0286] ſo dabei bin und über meine Fortſchritte beinah’ erſtaune, dann berapple ich mich momentan wieder und ſage mir: ‚Courage gewonnen, alles gewonnen‘. Und dabei laſſ' ich dann zu meinem weitern Troſt all unſre preußiſchen Helden zu Fuß und zu Pferde an mir vorüber ziehen, immer mit dem Gefühl einer gewiſſen wiſſen¬ ſchaftlichen und mitunter auch moraliſchen Überlegenheit. Da iſt zuerſt der Derfflinger. Nun, der ſoll ein Schneider geweſen ſein. Dann kam Blücher, — der war einfach ein ‚Jeu‘er. Und dann kam Wrangel und trieb ſein verwegenes Spiel mit ‚mir und mich‘.“ „Bravo, Czako. Das iſt die Sprache, die Sie ſprechen müſſen. Und Sie werden auch nicht an der Majorsecke ſcheitern. Eigentlich läuft doch alles bloß darauf hinaus, wie hoch man ſich ſelber einſchätzt. Das iſt freilich eine Kunſt, die nicht jeder verſteht. Das Wort vom alten Fritz: ‚Denk’ Er nur immer, daß Er hundert¬ tauſend Mann hinter ſich hat,‘ dies Troſtwort iſt manchem von uns ein bißchen verloren gegangen, trotz unſrer Siege. Oder vielleicht auch eben deshalb. Siege pro¬ duzieren unter Umſtänden auch Beſcheidenheit.“ „Jedenfalls haben Sie, lieber Stechlin, zu viel davon. Aber wenn Sie erſt Ihre Ruth haben ...“ „Ach, Czako, kommen Sie mir nicht immer mit ‚Ruth‘. Oder eigentlich, ſeien Sie doch bedankt dafür. Denn dieſer weibliche Name mahnt mich, daß ich mich für heut' Abend am Kronprinzenufer angemeldet habe, bei den Barbys, wo's, wie Sie wiſſen, freilich keine Ruth giebt, aber dafür eine ‚Meluſine‘, was faſt noch mehr iſt.“ „Verſteht ſich, Meluſine is mehr. Alles, was aus dem Waſſer kommt, iſt mehr. Venus kam aus dem Waſſer, ebenſo Hero ... Nein, nein, entſchuldigen Sie, es war Leander.“ „Egal. Laſſen Sie's, wie's iſt. Solche verwechſelte

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899, S. 279. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899/286>, abgerufen am 22.11.2024.