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Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899.

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"Agnes," sagte hier Dubslav, "du könntest mal
zu Mamsell Pritzbur in die Küche gehn und ihr sagen,
ich möchte heute Mittag 'ne gefüllte Taube haben.
Aber nich so mager und auch nich so wenig Füllung,
und daß es nich nach alter Semmel schmeckt. Und dann
kannst du gleich bei der Mamsell unten bleiben und
dir 'ne Geschichte von ihr erzählen lassen, vom ,Schäfer
und der Prinzessin' oder vom ,Fischer un sine Fru';
Rotkäppchen wirst du wohl schon kennen."

Agnes stand auf, trat unbefangen an den Tisch,
wo Bruder und Schwester saßen, und machte wieder¬
holt ihren Knicks. Dabei hielt sie das Strickzeug und
den langen Strumpf in der Hand.

"Für wen strickst du denn den?" fragte die Domina.

"Für mich."

Dubslav lachte. Adelheid auch. Aber es war ein
Unterschied in ihrem Lachen. Agnes nahm übrigens
nichts von diesem Unterschied wahr, sah vielmehr ohne
Furcht um sich und ging aus dem Zimmer, um unten
in der Küche die Bestellung auszurichten.

Als sie hinaus war, wiederholte sich Adelheids
krampfhaftes Lachen. Dann aber sagte sie: "Dubslav,
ich weiß nicht, warum du dir, so lang ich hier bin,
gerade diese Hilfskraft angenommen hast. Ich bin deine
Schwester und eine Märkische von Adel. Und bin auch
die Domina von Kloster Wutz. Und meine Mutter war
eine Radegast. Und die Stechline, die drüben in der
Gruft unterm Altar stehn, die haben, soviel ich weiß,
auf ihren Namen gehalten und sich untereinander die
Ehre gegeben, die jeder beanspruchen durfte. Du nimmst
hier das Kind der Karline in dein Zimmer und setzt es
ans Fenster, fast als ob's da jeder so recht sehn sollte.
Wie kommst du zu dem Kind? Da kann sich Wolde¬
mar freuen und seine Frau auch, die so was ,Un¬
berührtes' hat. Und Gräfin Melusine! Na, die wird

Fontane, Der Stechlin. 30

„Agnes,“ ſagte hier Dubslav, „du könnteſt mal
zu Mamſell Pritzbur in die Küche gehn und ihr ſagen,
ich möchte heute Mittag 'ne gefüllte Taube haben.
Aber nich ſo mager und auch nich ſo wenig Füllung,
und daß es nich nach alter Semmel ſchmeckt. Und dann
kannſt du gleich bei der Mamſell unten bleiben und
dir 'ne Geſchichte von ihr erzählen laſſen, vom ‚Schäfer
und der Prinzeſſin‘ oder vom ‚Fiſcher un ſine Fru‘;
Rotkäppchen wirſt du wohl ſchon kennen.“

Agnes ſtand auf, trat unbefangen an den Tiſch,
wo Bruder und Schweſter ſaßen, und machte wieder¬
holt ihren Knicks. Dabei hielt ſie das Strickzeug und
den langen Strumpf in der Hand.

„Für wen ſtrickſt du denn den?“ fragte die Domina.

„Für mich.“

Dubslav lachte. Adelheid auch. Aber es war ein
Unterſchied in ihrem Lachen. Agnes nahm übrigens
nichts von dieſem Unterſchied wahr, ſah vielmehr ohne
Furcht um ſich und ging aus dem Zimmer, um unten
in der Küche die Beſtellung auszurichten.

Als ſie hinaus war, wiederholte ſich Adelheids
krampfhaftes Lachen. Dann aber ſagte ſie: „Dubslav,
ich weiß nicht, warum du dir, ſo lang ich hier bin,
gerade dieſe Hilfskraft angenommen haſt. Ich bin deine
Schweſter und eine Märkiſche von Adel. Und bin auch
die Domina von Kloſter Wutz. Und meine Mutter war
eine Radegaſt. Und die Stechline, die drüben in der
Gruft unterm Altar ſtehn, die haben, ſoviel ich weiß,
auf ihren Namen gehalten und ſich untereinander die
Ehre gegeben, die jeder beanſpruchen durfte. Du nimmſt
hier das Kind der Karline in dein Zimmer und ſetzt es
ans Fenſter, faſt als ob's da jeder ſo recht ſehn ſollte.
Wie kommſt du zu dem Kind? Da kann ſich Wolde¬
mar freuen und ſeine Frau auch, die ſo was ‚Un¬
berührtes‘ hat. Und Gräfin Meluſine! Na, die wird

Fontane, Der Stechlin. 30
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[465/0472] „Agnes,“ ſagte hier Dubslav, „du könnteſt mal zu Mamſell Pritzbur in die Küche gehn und ihr ſagen, ich möchte heute Mittag 'ne gefüllte Taube haben. Aber nich ſo mager und auch nich ſo wenig Füllung, und daß es nich nach alter Semmel ſchmeckt. Und dann kannſt du gleich bei der Mamſell unten bleiben und dir 'ne Geſchichte von ihr erzählen laſſen, vom ‚Schäfer und der Prinzeſſin‘ oder vom ‚Fiſcher un ſine Fru‘; Rotkäppchen wirſt du wohl ſchon kennen.“ Agnes ſtand auf, trat unbefangen an den Tiſch, wo Bruder und Schweſter ſaßen, und machte wieder¬ holt ihren Knicks. Dabei hielt ſie das Strickzeug und den langen Strumpf in der Hand. „Für wen ſtrickſt du denn den?“ fragte die Domina. „Für mich.“ Dubslav lachte. Adelheid auch. Aber es war ein Unterſchied in ihrem Lachen. Agnes nahm übrigens nichts von dieſem Unterſchied wahr, ſah vielmehr ohne Furcht um ſich und ging aus dem Zimmer, um unten in der Küche die Beſtellung auszurichten. Als ſie hinaus war, wiederholte ſich Adelheids krampfhaftes Lachen. Dann aber ſagte ſie: „Dubslav, ich weiß nicht, warum du dir, ſo lang ich hier bin, gerade dieſe Hilfskraft angenommen haſt. Ich bin deine Schweſter und eine Märkiſche von Adel. Und bin auch die Domina von Kloſter Wutz. Und meine Mutter war eine Radegaſt. Und die Stechline, die drüben in der Gruft unterm Altar ſtehn, die haben, ſoviel ich weiß, auf ihren Namen gehalten und ſich untereinander die Ehre gegeben, die jeder beanſpruchen durfte. Du nimmſt hier das Kind der Karline in dein Zimmer und ſetzt es ans Fenſter, faſt als ob's da jeder ſo recht ſehn ſollte. Wie kommſt du zu dem Kind? Da kann ſich Wolde¬ mar freuen und ſeine Frau auch, die ſo was ‚Un¬ berührtes‘ hat. Und Gräfin Meluſine! Na, die wird Fontane, Der Stechlin. 30

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899, S. 465. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899/472>, abgerufen am 22.11.2024.