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Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899.

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"Und dann der Pastor."

"Nun ja, auch der. Eine ganz gescheite Nummer.
Aber doch ein wunderbarer Heiliger, wie die ganze Sippe,
zu der er gehört. Er hält zu Stöcker, sprach es auch
aus, was neuerdings nicht jeder thut; aber der "neue
Luther", der doch schon gerade bedenklich genug ist --
Majestät hat ganz recht mit seiner Verurteilung --, der
geht ihm gewiß nicht weit genug. Dieser Lorenzen er¬
scheint mir, im Gegensatz zu seinen Jahren, als einer der
allerjüngsten. Und zu verwundern bleibt nur, daß der
Alte so gut mit ihm steht. Freund Woldemar hat mir
davon erzählt. Der Alte liebt ihn und sieht nicht, daß
ihm sein geliebter Pastor den Ast absägt, auf dem er sitzt.
Ja, diese von der neuesten Schule, das sind die aller¬
schlimmsten. Immer Volk und wieder Volk, und mal
auch etwas Christus dazwischen. Aber ich lasse mich so
leicht nicht hinters Licht führen. Es läuft alles darauf
hinaus, daß sie mit uns aufräumen wollen, und mit dem
alten Christentum auch. Sie haben ein neues, und das
überlieferte behandeln sie despektierlich."

"Kann ich ihnen unter Umständen nicht verdenken.
Seien Sie gut, Rex, und lassen Sie Konventikel und
Partei mal beiseite. Das Überlieferte, was einem da so
vor die Klinge kommt, namentlich wenn Sie sich die
Menschen ansehen, wie sie nun mal sind, ist doch sehr
reparaturbedürftig, und auf solche Reparatur ist ein Mann
wie dieser Lorenzen eben aus. Machen Sie die Probe.
Hie Lorenzen, hie Gundermann. Und Ihren guten Glauben
in Ehren, aber Sie werden diesen Gundermann doch nicht
über den Lorenzen stellen und ihn überhaupt nur ernst¬
haft nehmen wollen. Und wie dieser Wassermüller aus
der Brettschneidebranche, so sind die meisten. Phrase,
Phrase. Mitunter auch Geschäft oder noch Schlimmeres."

"Ich kann jetzt nicht antworten, Czako. Was Sie
da sagen, berührt eine große Frage, bei der man doch

„Und dann der Paſtor.“

„Nun ja, auch der. Eine ganz geſcheite Nummer.
Aber doch ein wunderbarer Heiliger, wie die ganze Sippe,
zu der er gehört. Er hält zu Stöcker, ſprach es auch
aus, was neuerdings nicht jeder thut; aber der „neue
Luther“, der doch ſchon gerade bedenklich genug iſt —
Majeſtät hat ganz recht mit ſeiner Verurteilung —, der
geht ihm gewiß nicht weit genug. Dieſer Lorenzen er¬
ſcheint mir, im Gegenſatz zu ſeinen Jahren, als einer der
allerjüngſten. Und zu verwundern bleibt nur, daß der
Alte ſo gut mit ihm ſteht. Freund Woldemar hat mir
davon erzählt. Der Alte liebt ihn und ſieht nicht, daß
ihm ſein geliebter Paſtor den Aſt abſägt, auf dem er ſitzt.
Ja, dieſe von der neueſten Schule, das ſind die aller¬
ſchlimmſten. Immer Volk und wieder Volk, und mal
auch etwas Chriſtus dazwiſchen. Aber ich laſſe mich ſo
leicht nicht hinters Licht führen. Es läuft alles darauf
hinaus, daß ſie mit uns aufräumen wollen, und mit dem
alten Chriſtentum auch. Sie haben ein neues, und das
überlieferte behandeln ſie deſpektierlich.“

„Kann ich ihnen unter Umſtänden nicht verdenken.
Seien Sie gut, Rex, und laſſen Sie Konventikel und
Partei mal beiſeite. Das Überlieferte, was einem da ſo
vor die Klinge kommt, namentlich wenn Sie ſich die
Menſchen anſehen, wie ſie nun mal ſind, iſt doch ſehr
reparaturbedürftig, und auf ſolche Reparatur iſt ein Mann
wie dieſer Lorenzen eben aus. Machen Sie die Probe.
Hie Lorenzen, hie Gundermann. Und Ihren guten Glauben
in Ehren, aber Sie werden dieſen Gundermann doch nicht
über den Lorenzen ſtellen und ihn überhaupt nur ernſt¬
haft nehmen wollen. Und wie dieſer Waſſermüller aus
der Brettſchneidebranche, ſo ſind die meiſten. Phraſe,
Phraſe. Mitunter auch Geſchäft oder noch Schlimmeres.“

„Ich kann jetzt nicht antworten, Czako. Was Sie
da ſagen, berührt eine große Frage, bei der man doch

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[55/0062] „Und dann der Paſtor.“ „Nun ja, auch der. Eine ganz geſcheite Nummer. Aber doch ein wunderbarer Heiliger, wie die ganze Sippe, zu der er gehört. Er hält zu Stöcker, ſprach es auch aus, was neuerdings nicht jeder thut; aber der „neue Luther“, der doch ſchon gerade bedenklich genug iſt — Majeſtät hat ganz recht mit ſeiner Verurteilung —, der geht ihm gewiß nicht weit genug. Dieſer Lorenzen er¬ ſcheint mir, im Gegenſatz zu ſeinen Jahren, als einer der allerjüngſten. Und zu verwundern bleibt nur, daß der Alte ſo gut mit ihm ſteht. Freund Woldemar hat mir davon erzählt. Der Alte liebt ihn und ſieht nicht, daß ihm ſein geliebter Paſtor den Aſt abſägt, auf dem er ſitzt. Ja, dieſe von der neueſten Schule, das ſind die aller¬ ſchlimmſten. Immer Volk und wieder Volk, und mal auch etwas Chriſtus dazwiſchen. Aber ich laſſe mich ſo leicht nicht hinters Licht führen. Es läuft alles darauf hinaus, daß ſie mit uns aufräumen wollen, und mit dem alten Chriſtentum auch. Sie haben ein neues, und das überlieferte behandeln ſie deſpektierlich.“ „Kann ich ihnen unter Umſtänden nicht verdenken. Seien Sie gut, Rex, und laſſen Sie Konventikel und Partei mal beiſeite. Das Überlieferte, was einem da ſo vor die Klinge kommt, namentlich wenn Sie ſich die Menſchen anſehen, wie ſie nun mal ſind, iſt doch ſehr reparaturbedürftig, und auf ſolche Reparatur iſt ein Mann wie dieſer Lorenzen eben aus. Machen Sie die Probe. Hie Lorenzen, hie Gundermann. Und Ihren guten Glauben in Ehren, aber Sie werden dieſen Gundermann doch nicht über den Lorenzen ſtellen und ihn überhaupt nur ernſt¬ haft nehmen wollen. Und wie dieſer Waſſermüller aus der Brettſchneidebranche, ſo ſind die meiſten. Phraſe, Phraſe. Mitunter auch Geſchäft oder noch Schlimmeres.“ „Ich kann jetzt nicht antworten, Czako. Was Sie da ſagen, berührt eine große Frage, bei der man doch

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899, S. 55. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899/62>, abgerufen am 24.11.2024.