Manches, was der Prinz über sie gesagt hatte, ging ihm durch den Kopf. Waren das Überzeugungen oder Einfälle? War es Fieber? Ihre Wangen hatten sich gerötet, und ein aufblitzendes Feuer in ihrem Auge traf ihn mit dem Ausdruck einer trotzigen Ent¬ schlossenheit. Er versuchte jedoch sich in den leichten Ton, in dem ihr Gespräch begonnen hatte, zurück¬ zufinden, und sagte: "Meine teure Victoire scherzt. Ich möchte wetten, es ist ein Band Rousseau, was da vor ihr liegt, und ihre Phantasie geht mit dem Dichter."
"Nein, es ist nicht Rousseau. Es ist ein anderer, der mich mehr interessiert."
"Undwer, wenn ich neugierig sein darf?"
"Mirabeau."
"Und warum mehr?"
"Weil er mir näher steht. Und das Allerper¬ sönlichste bestimmt immer unser Urteil. Oder doch fast immer. Er ist mein Gefährte, mein spezieller Leidens¬ genoß. Unter Schmeicheleien wuchs er auf. ,Ah, das schöne Kind,' hieß es tagein, tagaus. Und dann eines Tags war alles hin, hin wie . . wie . ."
"Nein, Victoire, Sie sollen das Wort nicht aussprechen."
"Ich will es aber, und würde den Namen meines Gefährten und Leidensgenossen zu meinem eigenen machen, wenn ich es könnte. Victoire
Manches, was der Prinz über ſie geſagt hatte, ging ihm durch den Kopf. Waren das Überzeugungen oder Einfälle? War es Fieber? Ihre Wangen hatten ſich gerötet, und ein aufblitzendes Feuer in ihrem Auge traf ihn mit dem Ausdruck einer trotzigen Ent¬ ſchloſſenheit. Er verſuchte jedoch ſich in den leichten Ton, in dem ihr Geſpräch begonnen hatte, zurück¬ zufinden, und ſagte: „Meine teure Victoire ſcherzt. Ich möchte wetten, es iſt ein Band Rouſſeau, was da vor ihr liegt, und ihre Phantaſie geht mit dem Dichter.“
„Nein, es iſt nicht Rouſſeau. Es iſt ein anderer, der mich mehr intereſſiert.“
„Undwer, wenn ich neugierig ſein darf?“
„Mirabeau.“
„Und warum mehr?“
„Weil er mir näher ſteht. Und das Allerper¬ ſönlichſte beſtimmt immer unſer Urteil. Oder doch faſt immer. Er iſt mein Gefährte, mein ſpezieller Leidens¬ genoß. Unter Schmeicheleien wuchs er auf. ,Ah, das ſchöne Kind,‘ hieß es tagein, tagaus. Und dann eines Tags war alles hin, hin wie . . wie . .“
„Nein, Victoire, Sie ſollen das Wort nicht ausſprechen.“
„Ich will es aber, und würde den Namen meines Gefährten und Leidensgenoſſen zu meinem eigenen machen, wenn ich es könnte. Victoire
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Manches, was der Prinz über ſie geſagt hatte, ging
ihm durch den Kopf. Waren das Überzeugungen oder
Einfälle? War es Fieber? Ihre Wangen hatten ſich
gerötet, und ein aufblitzendes Feuer in ihrem Auge
traf ihn mit dem Ausdruck einer trotzigen Ent¬
ſchloſſenheit. Er verſuchte jedoch ſich in den leichten
Ton, in dem ihr Geſpräch begonnen hatte, zurück¬
zufinden, und ſagte: „Meine teure Victoire ſcherzt.
Ich möchte wetten, es iſt ein Band Rouſſeau, was
da vor ihr liegt, und ihre Phantaſie geht mit dem
Dichter.“
„Nein, es iſt nicht Rouſſeau. Es iſt ein anderer,
der mich mehr intereſſiert.“
„Und wer, wenn ich neugierig ſein darf?“
„Mirabeau.“
„Und warum mehr?“
„Weil er mir näher ſteht. Und das Allerper¬
ſönlichſte beſtimmt immer unſer Urteil. Oder doch faſt
immer. Er iſt mein Gefährte, mein ſpezieller Leidens¬
genoß. Unter Schmeicheleien wuchs er auf. ,Ah,
das ſchöne Kind,‘ hieß es tagein, tagaus. Und dann
eines Tags war alles hin, hin wie . . wie . .“
„Nein, Victoire, Sie ſollen das Wort nicht
ausſprechen.“
„Ich will es aber, und würde den Namen
meines Gefährten und Leidensgenoſſen zu meinem
eigenen machen, wenn ich es könnte. Victoire
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Fontane, Theodor: Schach von Wuthenow. Leipzig, 1883, S. 107. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_wuthenow_1883/119>, abgerufen am 16.02.2025.
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