Fontane, Theodor: Schach von Wuthenow. Leipzig, 1883.war die Spitze der Maskerade zum zweiten Male war die Spitze der Maskerade zum zweiten Male <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0140" n="128"/> war die Spitze der Maskerade zum <hi rendition="#g">zweiten</hi> Male<lb/> heran, und Mutter und Tochter, die jetzt raſch und<lb/> zu beſſrer Orientierung von ihrem Eckzimmer aus auf<lb/> den Balkon hinausgetreten waren, waren von dieſem<lb/> Augenblick an nicht länger mehr in Zweifel, was<lb/> das Ganze bedeute. Verhöhnung, gleichviel auf wen<lb/> und was. Erſt unzüchtige Nonnen, mit einer Hexe<lb/> von Aebtiſſin an der Spitze, johlend, trinkend und<lb/> Karte ſpielend, und in der Mitte des Zuges ein auf<lb/> Rollen laufender und in der Fülle ſeiner Vergoldung<lb/> augenſcheinlich als Triumphwagen gedachter Haupt¬<lb/> ſchlitten, in dem Luther ſamt Famulus und auf der<lb/> Pritſche Katharina von Bora ſaß. An der rieſigen<lb/> Geſtalt erkannten ſie Noſtitz. Aber wer war <hi rendition="#g">der</hi> auf<lb/> dem Vorderſitz? fragte ſich Victoire. Wer verbarg<lb/> ſich hinter dieſer Luther-Maske? War <hi rendition="#g">er</hi> es? Nein,<lb/> es war unmöglich. Und doch, auch wenn er es <hi rendition="#g">nicht</hi><lb/> war, er war doch immer ein Mitſchuldiger in dieſem<lb/> widerlichen Spiele, das er gutgeheißen oder wenigſtens<lb/> nicht gehindert hatte. Welche verkommne Welt, wie<lb/> pietätlos, wie bar aller Schicklichkeit! Wie ſchaal und<lb/> ekel. Ein Gefühl unendlichen Wehs ergriff ſie, das<lb/> Schöne verzerrt und das Reine durch den Schlamm<lb/> gezogen zu ſehen. Und warum? Um einen Tag<lb/> lang von ſich reden zu machen, um einer kleinlichen<lb/> Eitelkeit willen. Und das war die Sphäre, darin ſie<lb/> gedacht und gelacht, und gelebt und gewebt, und darin<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [128/0140]
war die Spitze der Maskerade zum zweiten Male
heran, und Mutter und Tochter, die jetzt raſch und
zu beſſrer Orientierung von ihrem Eckzimmer aus auf
den Balkon hinausgetreten waren, waren von dieſem
Augenblick an nicht länger mehr in Zweifel, was
das Ganze bedeute. Verhöhnung, gleichviel auf wen
und was. Erſt unzüchtige Nonnen, mit einer Hexe
von Aebtiſſin an der Spitze, johlend, trinkend und
Karte ſpielend, und in der Mitte des Zuges ein auf
Rollen laufender und in der Fülle ſeiner Vergoldung
augenſcheinlich als Triumphwagen gedachter Haupt¬
ſchlitten, in dem Luther ſamt Famulus und auf der
Pritſche Katharina von Bora ſaß. An der rieſigen
Geſtalt erkannten ſie Noſtitz. Aber wer war der auf
dem Vorderſitz? fragte ſich Victoire. Wer verbarg
ſich hinter dieſer Luther-Maske? War er es? Nein,
es war unmöglich. Und doch, auch wenn er es nicht
war, er war doch immer ein Mitſchuldiger in dieſem
widerlichen Spiele, das er gutgeheißen oder wenigſtens
nicht gehindert hatte. Welche verkommne Welt, wie
pietätlos, wie bar aller Schicklichkeit! Wie ſchaal und
ekel. Ein Gefühl unendlichen Wehs ergriff ſie, das
Schöne verzerrt und das Reine durch den Schlamm
gezogen zu ſehen. Und warum? Um einen Tag
lang von ſich reden zu machen, um einer kleinlichen
Eitelkeit willen. Und das war die Sphäre, darin ſie
gedacht und gelacht, und gelebt und gewebt, und darin
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