Fontane, Theodor: Schach von Wuthenow. Leipzig, 1883.sie nach Liebe verlangt, und ach das Schlimmste von "Laß uns gehen," sagte sie, während sie den Arm Die Mama zog die Klingel, Beate kam, und Frau von Carayon kniete neben dem Sofa nie¬ 9
ſie nach Liebe verlangt, und ach das Schlimmſte von „Laß uns gehen,“ ſagte ſie, während ſie den Arm Die Mama zog die Klingel, Beate kam, und Frau von Carayon kniete neben dem Sofa nie¬ 9
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0141" n="129"/> ſie nach Liebe verlangt, und ach das Schlimmſte von<lb/> allem <hi rendition="#g">an</hi> Liebe geglaubt hatte!</p><lb/> <p>„Laß uns gehen,“ ſagte ſie, während ſie den Arm<lb/> der Mutter nahm, und wandte ſich, um in das<lb/> Zimmer zurückzukehren. Aber ehe ſies erreichen konnte,<lb/> wurde ſie wie von einer Ohnmacht überraſcht, und<lb/> ſank auf der Schwelle des Balkons nieder.</p><lb/> <p>Die Mama zog die Klingel, Beate kam, und<lb/> beide trugen ſie bis an das Sofa, wo ſie gleich da¬<lb/> nach von einem heftigen Bruſtkrampfe befallen wurde.<lb/> Sie ſchluchzte, richtete ſich auf, ſank wieder in die<lb/> Kiſſen, und als die Mutter ihr Stirn und Schläfe<lb/> mit kölniſchem Waſſer waſchen wollte, ſtieß ſie ſie<lb/> heftig zurück. Aber im nächſten Augenblick riß ſie<lb/> der Mama das Flacon aus der Hand und goß es<lb/> ſich über Hals und Nacken. „Ich bin mir zuwider,<lb/> zuwider wie die Welt. In meiner Krankheit damals,<lb/> hab ich Gott um mein Leben gebeten . . Aber wir<lb/><hi rendition="#g">ſollen</hi> nicht um unſer Leben bitten . . Gott weiß<lb/> am beſten, was uns frommt. Und wenn er uns zu<lb/> ſich hinaufziehen will, ſo ſollen wir nicht bitten: laß<lb/> uns noch . . O, wie ſchmerzlich ich das fühle! Nun<lb/> leb ich . . Aber wie, wie!“</p><lb/> <p>Frau von Carayon kniete neben dem Sofa nie¬<lb/> der und ſprach ihr zu. Denſelben Augenblick aber<lb/> ſchoß der Schlittenzug zum <hi rendition="#g">dritten</hi> Mal an dem<lb/> Hauſe vorüber, und wieder war es, als ob ſich ſchwarze<lb/> <fw place="bottom" type="sig">9<lb/></fw> </p> </div> </body> </text> </TEI> [129/0141]
ſie nach Liebe verlangt, und ach das Schlimmſte von
allem an Liebe geglaubt hatte!
„Laß uns gehen,“ ſagte ſie, während ſie den Arm
der Mutter nahm, und wandte ſich, um in das
Zimmer zurückzukehren. Aber ehe ſies erreichen konnte,
wurde ſie wie von einer Ohnmacht überraſcht, und
ſank auf der Schwelle des Balkons nieder.
Die Mama zog die Klingel, Beate kam, und
beide trugen ſie bis an das Sofa, wo ſie gleich da¬
nach von einem heftigen Bruſtkrampfe befallen wurde.
Sie ſchluchzte, richtete ſich auf, ſank wieder in die
Kiſſen, und als die Mutter ihr Stirn und Schläfe
mit kölniſchem Waſſer waſchen wollte, ſtieß ſie ſie
heftig zurück. Aber im nächſten Augenblick riß ſie
der Mama das Flacon aus der Hand und goß es
ſich über Hals und Nacken. „Ich bin mir zuwider,
zuwider wie die Welt. In meiner Krankheit damals,
hab ich Gott um mein Leben gebeten . . Aber wir
ſollen nicht um unſer Leben bitten . . Gott weiß
am beſten, was uns frommt. Und wenn er uns zu
ſich hinaufziehen will, ſo ſollen wir nicht bitten: laß
uns noch . . O, wie ſchmerzlich ich das fühle! Nun
leb ich . . Aber wie, wie!“
Frau von Carayon kniete neben dem Sofa nie¬
der und ſprach ihr zu. Denſelben Augenblick aber
ſchoß der Schlittenzug zum dritten Mal an dem
Hauſe vorüber, und wieder war es, als ob ſich ſchwarze
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