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Fontane, Theodor: Schach von Wuthenow. Leipzig, 1883.

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phantastische Gestalten in dem glühroten Scheine jagten
und haschten. "Ist es nicht wie die Hölle?" sagte
Victoire, während sie nach dem Schattenspiel an der
Decke zeigte.

Frau von Carayon schickte Beaten, um den Arzt
rufen zu lassen. In Wahrheit aber lag ihr weniger
an dem Arzt, als an einem Alleinsein und einer Aus¬
sprache mit dem geliebten Kinde.

"Was ist Dir? Und wie Du nur fliegst und
zitterst. Und siehst so starr. Ich erkenne meine
heitre Victoire nicht mehr. Überlege, Kind, was ist
denn geschehen? Ein toller Streich mehr, einer unter
vielen, und ich weiß Zeiten, wo Du diesen Übermut
mehr belacht als beklagt hättest. Es ist etwas andres,
was Dich quält und drückt; ich seh es seit Tagen
schon. Aber Du verschweigst mirs, Du hast ein Ge¬
heimnis. Ich beschwöre Dich, Victoire, sprich. Du
darfst es. Es sei, was es sei."

Victoire schlang ihren Arm um Frau von Carayons
Hals, und ein Strom von Thränen entquoll ihrem
Auge.

"Beste Mutter!"

Und sie zog sie fester an sich, und küßte sie und
beichtete ihr alles.


phantaſtiſche Geſtalten in dem glühroten Scheine jagten
und haſchten. „Iſt es nicht wie die Hölle?“ ſagte
Victoire, während ſie nach dem Schattenſpiel an der
Decke zeigte.

Frau von Carayon ſchickte Beaten, um den Arzt
rufen zu laſſen. In Wahrheit aber lag ihr weniger
an dem Arzt, als an einem Alleinſein und einer Aus¬
ſprache mit dem geliebten Kinde.

„Was iſt Dir? Und wie Du nur fliegſt und
zitterſt. Und ſiehſt ſo ſtarr. Ich erkenne meine
heitre Victoire nicht mehr. Überlege, Kind, was iſt
denn geſchehen? Ein toller Streich mehr, einer unter
vielen, und ich weiß Zeiten, wo Du dieſen Übermut
mehr belacht als beklagt hätteſt. Es iſt etwas andres,
was Dich quält und drückt; ich ſeh es ſeit Tagen
ſchon. Aber Du verſchweigſt mirs, Du haſt ein Ge¬
heimnis. Ich beſchwöre Dich, Victoire, ſprich. Du
darfſt es. Es ſei, was es ſei.“

Victoire ſchlang ihren Arm um Frau von Carayons
Hals, und ein Strom von Thränen entquoll ihrem
Auge.

„Beſte Mutter!“

Und ſie zog ſie feſter an ſich, und küßte ſie und
beichtete ihr alles.


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[130/0142] phantaſtiſche Geſtalten in dem glühroten Scheine jagten und haſchten. „Iſt es nicht wie die Hölle?“ ſagte Victoire, während ſie nach dem Schattenſpiel an der Decke zeigte. Frau von Carayon ſchickte Beaten, um den Arzt rufen zu laſſen. In Wahrheit aber lag ihr weniger an dem Arzt, als an einem Alleinſein und einer Aus¬ ſprache mit dem geliebten Kinde. „Was iſt Dir? Und wie Du nur fliegſt und zitterſt. Und ſiehſt ſo ſtarr. Ich erkenne meine heitre Victoire nicht mehr. Überlege, Kind, was iſt denn geſchehen? Ein toller Streich mehr, einer unter vielen, und ich weiß Zeiten, wo Du dieſen Übermut mehr belacht als beklagt hätteſt. Es iſt etwas andres, was Dich quält und drückt; ich ſeh es ſeit Tagen ſchon. Aber Du verſchweigſt mirs, Du haſt ein Ge¬ heimnis. Ich beſchwöre Dich, Victoire, ſprich. Du darfſt es. Es ſei, was es ſei.“ Victoire ſchlang ihren Arm um Frau von Carayons Hals, und ein Strom von Thränen entquoll ihrem Auge. „Beſte Mutter!“ Und ſie zog ſie feſter an ſich, und küßte ſie und beichtete ihr alles.

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Schach von Wuthenow. Leipzig, 1883, S. 130. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_wuthenow_1883/142>, abgerufen am 21.11.2024.