als einmal ausrufen ließen: "Ja, wenn wir doch die gleiche, jedes Wort zur Rechenschaft ziehende Gewissenhaftigkeit hätten." In der That, wir haben nur ganz wenige Schriftsteller, die wie die Goncourts verfahren, und unter diesen Wenigen steht Storm oben an. Er ließ das zunächst schnell Geschriebene Wochen lang ruhen, und nun erst begann - zumeist auf Spaziergängen auf seinem Husumer Deich - das Verbessern, Feilen und Glätten, auch wohl, wie Lindau einmal sehr witzig gesagt hat, das "Wiederdrübergehen mit der Raspel", um dadurch die beim Feilen entstandene zu große Glätte wieder kräftig und natürlich zu machen.
Unter seinen kleinen Gedichten sind viele, daran er ein halbes Jahr und länger gearbeitet hat. Deshalb erfüllen sie denn auch den Kenner mit so hoher Befriedigung. Er hat viel Freunde gefunden, aber zu voller Würdigung ist er doch immer noch nicht gelangt. Denn seine höchste Vorzüglichkeit ruht nicht in seinen vergleichsweise viel gelesenen und bewunderten Novellen, sondern in seiner Lyrik.
Noch einmal, diese Reunions in unseres Storms Potsdamer Hause waren sehr angenehm, lehrreich und fördernd, weit über das hinaus, was man sonst wohl bei solchen Gelegenheiten einheimst; aber sie litten doch auch an jenen kleinen Sonderbarkeiten,
als einmal ausrufen ließen: „Ja, wenn wir doch die gleiche, jedes Wort zur Rechenschaft ziehende Gewissenhaftigkeit hätten.“ In der That, wir haben nur ganz wenige Schriftsteller, die wie die Goncourts verfahren, und unter diesen Wenigen steht Storm oben an. Er ließ das zunächst schnell Geschriebene Wochen lang ruhen, und nun erst begann – zumeist auf Spaziergängen auf seinem Husumer Deich – das Verbessern, Feilen und Glätten, auch wohl, wie Lindau einmal sehr witzig gesagt hat, das „Wiederdrübergehen mit der Raspel“, um dadurch die beim Feilen entstandene zu große Glätte wieder kräftig und natürlich zu machen.
Unter seinen kleinen Gedichten sind viele, daran er ein halbes Jahr und länger gearbeitet hat. Deshalb erfüllen sie denn auch den Kenner mit so hoher Befriedigung. Er hat viel Freunde gefunden, aber zu voller Würdigung ist er doch immer noch nicht gelangt. Denn seine höchste Vorzüglichkeit ruht nicht in seinen vergleichsweise viel gelesenen und bewunderten Novellen, sondern in seiner Lyrik.
Noch einmal, diese Reunions in unseres Storms Potsdamer Hause waren sehr angenehm, lehrreich und fördernd, weit über das hinaus, was man sonst wohl bei solchen Gelegenheiten einheimst; aber sie litten doch auch an jenen kleinen Sonderbarkeiten,
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als einmal ausrufen ließen: „Ja, wenn wir doch die gleiche, jedes Wort zur Rechenschaft ziehende Gewissenhaftigkeit hätten.“ In der That, wir haben nur ganz wenige Schriftsteller, die wie die Goncourts verfahren, und unter diesen Wenigen steht Storm oben an. Er ließ das zunächst schnell Geschriebene Wochen lang ruhen, und nun erst begann – zumeist auf Spaziergängen auf seinem Husumer Deich – das Verbessern, Feilen und Glätten, auch wohl, wie Lindau einmal sehr witzig gesagt hat, das „Wiederdrübergehen mit der Raspel“, um dadurch die beim Feilen entstandene zu große Glätte wieder kräftig und natürlich zu machen.</p><lb/><p>Unter seinen kleinen Gedichten sind viele, daran er ein halbes Jahr und länger gearbeitet hat. Deshalb erfüllen sie denn auch den Kenner mit so hoher Befriedigung. Er hat viel Freunde gefunden, aber zu <hirendition="#g">voller</hi> Würdigung ist er doch immer noch nicht gelangt. Denn seine höchste Vorzüglichkeit ruht nicht in seinen vergleichsweise viel gelesenen und bewunderten Novellen, sondern in seiner Lyrik.</p><lb/><p>Noch einmal, diese Reunions in unseres Storms Potsdamer Hause waren sehr angenehm, lehrreich und fördernd, weit über das hinaus, was man sonst wohl bei solchen Gelegenheiten einheimst; aber sie litten doch auch an jenen kleinen Sonderbarkeiten,<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
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als einmal ausrufen ließen: „Ja, wenn wir doch die gleiche, jedes Wort zur Rechenschaft ziehende Gewissenhaftigkeit hätten.“ In der That, wir haben nur ganz wenige Schriftsteller, die wie die Goncourts verfahren, und unter diesen Wenigen steht Storm oben an. Er ließ das zunächst schnell Geschriebene Wochen lang ruhen, und nun erst begann – zumeist auf Spaziergängen auf seinem Husumer Deich – das Verbessern, Feilen und Glätten, auch wohl, wie Lindau einmal sehr witzig gesagt hat, das „Wiederdrübergehen mit der Raspel“, um dadurch die beim Feilen entstandene zu große Glätte wieder kräftig und natürlich zu machen.
Unter seinen kleinen Gedichten sind viele, daran er ein halbes Jahr und länger gearbeitet hat. Deshalb erfüllen sie denn auch den Kenner mit so hoher Befriedigung. Er hat viel Freunde gefunden, aber zu voller Würdigung ist er doch immer noch nicht gelangt. Denn seine höchste Vorzüglichkeit ruht nicht in seinen vergleichsweise viel gelesenen und bewunderten Novellen, sondern in seiner Lyrik.
Noch einmal, diese Reunions in unseres Storms Potsdamer Hause waren sehr angenehm, lehrreich und fördernd, weit über das hinaus, was man sonst wohl bei solchen Gelegenheiten einheimst; aber sie litten doch auch an jenen kleinen Sonderbarkeiten,
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Fontane, Theodor: Von Zwanzig bis Dreißig. 1. Aufl. Berlin, 1898, S. 359. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_zwanzig_1898/368>, abgerufen am 27.07.2024.
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