Fontane, Theodor: Von Zwanzig bis Dreißig. 1. Aufl. Berlin, 1898.als einmal ausrufen ließen: "Ja, wenn wir doch die gleiche, jedes Wort zur Rechenschaft ziehende Gewissenhaftigkeit hätten." In der That, wir haben nur ganz wenige Schriftsteller, die wie die Goncourts verfahren, und unter diesen Wenigen steht Storm oben an. Er ließ das zunächst schnell Geschriebene Wochen lang ruhen, und nun erst begann - zumeist auf Spaziergängen auf seinem Husumer Deich - das Verbessern, Feilen und Glätten, auch wohl, wie Lindau einmal sehr witzig gesagt hat, das "Wiederdrübergehen mit der Raspel", um dadurch die beim Feilen entstandene zu große Glätte wieder kräftig und natürlich zu machen. Unter seinen kleinen Gedichten sind viele, daran er ein halbes Jahr und länger gearbeitet hat. Deshalb erfüllen sie denn auch den Kenner mit so hoher Befriedigung. Er hat viel Freunde gefunden, aber zu voller Würdigung ist er doch immer noch nicht gelangt. Denn seine höchste Vorzüglichkeit ruht nicht in seinen vergleichsweise viel gelesenen und bewunderten Novellen, sondern in seiner Lyrik. Noch einmal, diese Reunions in unseres Storms Potsdamer Hause waren sehr angenehm, lehrreich und fördernd, weit über das hinaus, was man sonst wohl bei solchen Gelegenheiten einheimst; aber sie litten doch auch an jenen kleinen Sonderbarkeiten, als einmal ausrufen ließen: „Ja, wenn wir doch die gleiche, jedes Wort zur Rechenschaft ziehende Gewissenhaftigkeit hätten.“ In der That, wir haben nur ganz wenige Schriftsteller, die wie die Goncourts verfahren, und unter diesen Wenigen steht Storm oben an. Er ließ das zunächst schnell Geschriebene Wochen lang ruhen, und nun erst begann – zumeist auf Spaziergängen auf seinem Husumer Deich – das Verbessern, Feilen und Glätten, auch wohl, wie Lindau einmal sehr witzig gesagt hat, das „Wiederdrübergehen mit der Raspel“, um dadurch die beim Feilen entstandene zu große Glätte wieder kräftig und natürlich zu machen. Unter seinen kleinen Gedichten sind viele, daran er ein halbes Jahr und länger gearbeitet hat. Deshalb erfüllen sie denn auch den Kenner mit so hoher Befriedigung. Er hat viel Freunde gefunden, aber zu voller Würdigung ist er doch immer noch nicht gelangt. Denn seine höchste Vorzüglichkeit ruht nicht in seinen vergleichsweise viel gelesenen und bewunderten Novellen, sondern in seiner Lyrik. Noch einmal, diese Reunions in unseres Storms Potsdamer Hause waren sehr angenehm, lehrreich und fördernd, weit über das hinaus, was man sonst wohl bei solchen Gelegenheiten einheimst; aber sie litten doch auch an jenen kleinen Sonderbarkeiten, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0368" n="359"/> als einmal ausrufen ließen: „Ja, wenn wir doch die gleiche, jedes Wort zur Rechenschaft ziehende Gewissenhaftigkeit hätten.“ In der That, wir haben nur ganz wenige Schriftsteller, die wie die Goncourts verfahren, und unter diesen Wenigen steht Storm oben an. Er ließ das zunächst schnell Geschriebene Wochen lang ruhen, und nun erst begann – zumeist auf Spaziergängen auf seinem Husumer Deich – das Verbessern, Feilen und Glätten, auch wohl, wie Lindau einmal sehr witzig gesagt hat, das „Wiederdrübergehen mit der Raspel“, um dadurch die beim Feilen entstandene zu große Glätte wieder kräftig und natürlich zu machen.</p><lb/> <p>Unter seinen kleinen Gedichten sind viele, daran er ein halbes Jahr und länger gearbeitet hat. Deshalb erfüllen sie denn auch den Kenner mit so hoher Befriedigung. Er hat viel Freunde gefunden, aber zu <hi rendition="#g">voller</hi> Würdigung ist er doch immer noch nicht gelangt. Denn seine höchste Vorzüglichkeit ruht nicht in seinen vergleichsweise viel gelesenen und bewunderten Novellen, sondern in seiner Lyrik.</p><lb/> <p>Noch einmal, diese Reunions in unseres Storms Potsdamer Hause waren sehr angenehm, lehrreich und fördernd, weit über das hinaus, was man sonst wohl bei solchen Gelegenheiten einheimst; aber sie litten doch auch an jenen kleinen Sonderbarkeiten,<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [359/0368]
als einmal ausrufen ließen: „Ja, wenn wir doch die gleiche, jedes Wort zur Rechenschaft ziehende Gewissenhaftigkeit hätten.“ In der That, wir haben nur ganz wenige Schriftsteller, die wie die Goncourts verfahren, und unter diesen Wenigen steht Storm oben an. Er ließ das zunächst schnell Geschriebene Wochen lang ruhen, und nun erst begann – zumeist auf Spaziergängen auf seinem Husumer Deich – das Verbessern, Feilen und Glätten, auch wohl, wie Lindau einmal sehr witzig gesagt hat, das „Wiederdrübergehen mit der Raspel“, um dadurch die beim Feilen entstandene zu große Glätte wieder kräftig und natürlich zu machen.
Unter seinen kleinen Gedichten sind viele, daran er ein halbes Jahr und länger gearbeitet hat. Deshalb erfüllen sie denn auch den Kenner mit so hoher Befriedigung. Er hat viel Freunde gefunden, aber zu voller Würdigung ist er doch immer noch nicht gelangt. Denn seine höchste Vorzüglichkeit ruht nicht in seinen vergleichsweise viel gelesenen und bewunderten Novellen, sondern in seiner Lyrik.
Noch einmal, diese Reunions in unseres Storms Potsdamer Hause waren sehr angenehm, lehrreich und fördernd, weit über das hinaus, was man sonst wohl bei solchen Gelegenheiten einheimst; aber sie litten doch auch an jenen kleinen Sonderbarkeiten,
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Theodor Fontane-Arbeitsstelle der Georg-August-Universität Göttingen, Theodor Fontane: Große Brandenburger Ausgabe (GBA): Bereitstellung der Texttranskription (mit freundlicher Genehmigung des Aufbau-Verlags Berlin).
(2018-07-25T10:02:20Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Rahel Gajaneh Hartz: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2018-07-25T10:02:20Z)
Weitere Informationen:Theodor Fontane: Von Zwanzig bis Dreißig. Autobiographisches. Hrsg. von der Theodor Fontane-Arbeitsstelle, Universität Göttingen. Bandbearbeiter: Wolfgang Rasch. Berlin 2014 [= Große Brandenburger Ausgabe, Das autobiographische Werk, Bd. 3]: Bereitstellung der Texttranskription (mit freundlicher Genehmigung des Aufbau-Verlags Berlin). Verfahren der Texterfassung: manuell (einfach erfasst).
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |