dem es mir zugleich eine beständige Quelle der Erheiterung war. Man wolle mich hier nicht mißverstehen. Ich habe nichts dagegen, auch jetzt noch nicht, für frivol gehalten zu werden. Meinetwegen. Aber ich sehe mir die Leute, die mit solchem Urteil um sich werfen, einigermaßen ernsthaft an. Wenn Kleist-Retzow oder noch besser der von mir hochverehrte Pastor Müllensiefen, der mir immer als das Ideal eines evangelischen Geistlichen erschienen ist - wenn mir der jemals gesagt hätte: "Lieber F., Sie sind frivol," so hätt' ich mir das gesagt sein lassen, wenn auch ohne die geringste Lust, mich irgendwie zu ändern. Aber gerade von Personen, die vielleicht zu solchem Ausspruche berechtigt gewesen wären, sind mir derlei Dinge nie gesagt worden, sondern immer nur von solchen, die meiner Meinung nach, in ihrer litterarischen Produktion um vieles mehr auf der Kippe standen als ich selbst. Und zwar waren es immer Erotiker, Generalpächter der großen Liebesweltdomäne. Diesen Zweig meiner Kollegenschaft auf ihrem vorgeblichen Unschulds- und Moralgebiet zu beobachten, ist mir immer ein besonderes Gaudium gewesen. Die hier in Frage Kommenden unterscheiden nämlich zwei Küsse: den Himmelskuß und den Höllenkuß, eine Scheidung, die ich gelten lassen will. Aber was ich nicht gelten lassen kann, ist der diesen
dem es mir zugleich eine beständige Quelle der Erheiterung war. Man wolle mich hier nicht mißverstehen. Ich habe nichts dagegen, auch jetzt noch nicht, für frivol gehalten zu werden. Meinetwegen. Aber ich sehe mir die Leute, die mit solchem Urteil um sich werfen, einigermaßen ernsthaft an. Wenn Kleist-Retzow oder noch besser der von mir hochverehrte Pastor Müllensiefen, der mir immer als das Ideal eines evangelischen Geistlichen erschienen ist – wenn mir der jemals gesagt hätte: „Lieber F., Sie sind frivol,“ so hätt’ ich mir das gesagt sein lassen, wenn auch ohne die geringste Lust, mich irgendwie zu ändern. Aber gerade von Personen, die vielleicht zu solchem Ausspruche berechtigt gewesen wären, sind mir derlei Dinge nie gesagt worden, sondern immer nur von solchen, die meiner Meinung nach, in ihrer litterarischen Produktion um vieles mehr auf der Kippe standen als ich selbst. Und zwar waren es immer Erotiker, Generalpächter der großen Liebesweltdomäne. Diesen Zweig meiner Kollegenschaft auf ihrem vorgeblichen Unschulds- und Moralgebiet zu beobachten, ist mir immer ein besonderes Gaudium gewesen. Die hier in Frage Kommenden unterscheiden nämlich zwei Küsse: den Himmelskuß und den Höllenkuß, eine Scheidung, die ich gelten lassen will. Aber was ich nicht gelten lassen kann, ist der diesen
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dem es mir zugleich eine beständige Quelle der Erheiterung war. Man wolle mich hier nicht mißverstehen. Ich habe nichts dagegen, auch <hirendition="#g">jetzt</hi> noch nicht, für frivol gehalten zu werden. Meinetwegen. Aber ich sehe mir die Leute, die mit solchem Urteil um sich werfen, einigermaßen ernsthaft an. Wenn Kleist-Retzow oder noch besser der von mir hochverehrte Pastor Müllensiefen, der mir immer als das Ideal eines evangelischen Geistlichen erschienen ist – wenn mir der jemals gesagt hätte: „Lieber F., Sie sind frivol,“ so hätt’ ich mir das gesagt sein lassen, wenn auch ohne die geringste Lust, mich irgendwie zu ändern. Aber gerade von Personen, die vielleicht zu solchem Ausspruche berechtigt gewesen wären, sind mir derlei Dinge nie gesagt worden, sondern immer nur von solchen, die meiner Meinung nach, in ihrer litterarischen Produktion um vieles mehr auf der Kippe standen als ich selbst. Und zwar waren es immer Erotiker, Generalpächter der großen Liebesweltdomäne. Diesen Zweig meiner Kollegenschaft auf ihrem vorgeblichen Unschulds- und Moralgebiet zu beobachten, ist mir immer ein besonderes Gaudium gewesen. Die hier in Frage Kommenden unterscheiden nämlich zwei Küsse: den Himmelskuß und den Höllenkuß, eine Scheidung, die ich gelten lassen will. Aber was ich <hirendition="#g">nicht</hi> gelten lassen kann, ist der diesen<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
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dem es mir zugleich eine beständige Quelle der Erheiterung war. Man wolle mich hier nicht mißverstehen. Ich habe nichts dagegen, auch jetzt noch nicht, für frivol gehalten zu werden. Meinetwegen. Aber ich sehe mir die Leute, die mit solchem Urteil um sich werfen, einigermaßen ernsthaft an. Wenn Kleist-Retzow oder noch besser der von mir hochverehrte Pastor Müllensiefen, der mir immer als das Ideal eines evangelischen Geistlichen erschienen ist – wenn mir der jemals gesagt hätte: „Lieber F., Sie sind frivol,“ so hätt’ ich mir das gesagt sein lassen, wenn auch ohne die geringste Lust, mich irgendwie zu ändern. Aber gerade von Personen, die vielleicht zu solchem Ausspruche berechtigt gewesen wären, sind mir derlei Dinge nie gesagt worden, sondern immer nur von solchen, die meiner Meinung nach, in ihrer litterarischen Produktion um vieles mehr auf der Kippe standen als ich selbst. Und zwar waren es immer Erotiker, Generalpächter der großen Liebesweltdomäne. Diesen Zweig meiner Kollegenschaft auf ihrem vorgeblichen Unschulds- und Moralgebiet zu beobachten, ist mir immer ein besonderes Gaudium gewesen. Die hier in Frage Kommenden unterscheiden nämlich zwei Küsse: den Himmelskuß und den Höllenkuß, eine Scheidung, die ich gelten lassen will. Aber was ich nicht gelten lassen kann, ist der diesen
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Fontane, Theodor: Von Zwanzig bis Dreißig. 1. Aufl. Berlin, 1898, S. 365. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_zwanzig_1898/374>, abgerufen am 24.06.2024.
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