in einem echten alten Potsdamer Hause, das noch ganz den Stempel Friedrich Wilhelms I. trug. Er hatte sich alles sehr wohnlich zurecht gemacht und sein Arbeitszimmer, das bei großer Tiefe nach hinten zu jede Lichtabstufung zeigte, konnte als ein Ideal in seiner Art gelten. In allem etwas prinzipienreitrig, war er denn auch unentwegt der Mann des Stehpults geblieben, also einer Stellage von gut berechneter Höhe, darauf er alles zur Hand hatte, was er brauchte, besonders auch ein Glas mit kaltem, russischem Thee. So fand ich ihn regelmäßig vor, in Nähe des Pults ein langer Tisch, darauf zahllose Zeitungen teils aufgetürmt, teils ausgebreitet lagen. Er empfing mich immer gleich liebenswürdig, spielte nie den Gestörten oder wohl gar den "in seinen Gedanken Unterbrochenen" und gab mir Aufschluß über das Mannigfaltigste, besonders über Reiserouten, wobei er's nur in dem einen versah, daß er mich immer dahin dirigieren wollte, wo vorher noch niemand gewesen war. Dies auf Entdeckungen ausziehn hätte ja nun sehr gut und für mich sehr verführerisch sein können; aber er hatte dabei nur den Sinn für eine herzustellende möglichste Vollständigkeit des Materials, - wie das Material schließlich ausfiel, war ihm gleichgültig, mir aber keineswegs. Er ging durchaus nicht dem Interessanten oder Poetischen nach und
in einem echten alten Potsdamer Hause, das noch ganz den Stempel Friedrich Wilhelms I. trug. Er hatte sich alles sehr wohnlich zurecht gemacht und sein Arbeitszimmer, das bei großer Tiefe nach hinten zu jede Lichtabstufung zeigte, konnte als ein Ideal in seiner Art gelten. In allem etwas prinzipienreitrig, war er denn auch unentwegt der Mann des Stehpults geblieben, also einer Stellage von gut berechneter Höhe, darauf er alles zur Hand hatte, was er brauchte, besonders auch ein Glas mit kaltem, russischem Thee. So fand ich ihn regelmäßig vor, in Nähe des Pults ein langer Tisch, darauf zahllose Zeitungen teils aufgetürmt, teils ausgebreitet lagen. Er empfing mich immer gleich liebenswürdig, spielte nie den Gestörten oder wohl gar den „in seinen Gedanken Unterbrochenen“ und gab mir Aufschluß über das Mannigfaltigste, besonders über Reiserouten, wobei er’s nur in dem einen versah, daß er mich immer dahin dirigieren wollte, wo vorher noch niemand gewesen war. Dies auf Entdeckungen ausziehn hätte ja nun sehr gut und für mich sehr verführerisch sein können; aber er hatte dabei nur den Sinn für eine herzustellende möglichste Vollständigkeit des Materials, – wie das Material schließlich ausfiel, war ihm gleichgültig, mir aber keineswegs. Er ging durchaus nicht dem Interessanten oder Poetischen nach und
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0435"n="426"/>
in einem echten alten Potsdamer Hause, das noch ganz den Stempel Friedrich Wilhelms <hirendition="#aq">I.</hi> trug. Er hatte sich alles sehr wohnlich zurecht gemacht und sein Arbeitszimmer, das bei großer Tiefe nach hinten zu jede Lichtabstufung zeigte, konnte als ein Ideal in seiner Art gelten. In allem etwas prinzipienreitrig, war er denn auch unentwegt der Mann des Stehpults geblieben, also einer Stellage von gut berechneter Höhe, darauf er alles zur Hand hatte, was er brauchte, besonders auch ein Glas mit kaltem, russischem Thee. So fand ich ihn regelmäßig vor, in Nähe des Pults ein langer Tisch, darauf zahllose Zeitungen teils aufgetürmt, teils ausgebreitet lagen. Er empfing mich immer gleich liebenswürdig, spielte nie den Gestörten oder wohl gar den „in seinen Gedanken Unterbrochenen“ und gab mir Aufschluß über das Mannigfaltigste, besonders über Reiserouten, wobei er’s nur in dem einen versah, daß er mich immer dahin dirigieren wollte, wo vorher noch niemand gewesen war. Dies auf Entdeckungen ausziehn hätte ja nun sehr gut und für mich sehr verführerisch sein können; aber er hatte dabei nur den Sinn für eine herzustellende möglichste Vollständigkeit des Materials, –<hirendition="#g">wie</hi> das Material schließlich ausfiel, war ihm gleichgültig, <hirendition="#g">mir</hi> aber keineswegs. Er ging durchaus nicht dem Interessanten oder Poetischen nach und<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[426/0435]
in einem echten alten Potsdamer Hause, das noch ganz den Stempel Friedrich Wilhelms I. trug. Er hatte sich alles sehr wohnlich zurecht gemacht und sein Arbeitszimmer, das bei großer Tiefe nach hinten zu jede Lichtabstufung zeigte, konnte als ein Ideal in seiner Art gelten. In allem etwas prinzipienreitrig, war er denn auch unentwegt der Mann des Stehpults geblieben, also einer Stellage von gut berechneter Höhe, darauf er alles zur Hand hatte, was er brauchte, besonders auch ein Glas mit kaltem, russischem Thee. So fand ich ihn regelmäßig vor, in Nähe des Pults ein langer Tisch, darauf zahllose Zeitungen teils aufgetürmt, teils ausgebreitet lagen. Er empfing mich immer gleich liebenswürdig, spielte nie den Gestörten oder wohl gar den „in seinen Gedanken Unterbrochenen“ und gab mir Aufschluß über das Mannigfaltigste, besonders über Reiserouten, wobei er’s nur in dem einen versah, daß er mich immer dahin dirigieren wollte, wo vorher noch niemand gewesen war. Dies auf Entdeckungen ausziehn hätte ja nun sehr gut und für mich sehr verführerisch sein können; aber er hatte dabei nur den Sinn für eine herzustellende möglichste Vollständigkeit des Materials, – wie das Material schließlich ausfiel, war ihm gleichgültig, mir aber keineswegs. Er ging durchaus nicht dem Interessanten oder Poetischen nach und
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Fontane, Theodor: Von Zwanzig bis Dreißig. 1. Aufl. Berlin, 1898, S. 426. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_zwanzig_1898/435>, abgerufen am 27.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.