dem ist wieder ein Halbjahrhundert vergangen und wenn die Stelle kommt, wo mein guter Papa in jenen Tagen diese großen Worte gelassen aussprach, so kann ich mich nicht erwehren, sie meinerseits zu wiederholen und sage dann ganz wie er damals: "es sieht noch gerade so aus wie vor fünfzig Jahren." Es ist in der That ganz erstaunlich, wie wenig sich - ein paar Ausnahmen zugegeben - Städtebilder verändern. Wenn an die Stelle von engen schmutzigen Ghettogassen ein Square mit Springbrunnen tritt, so läßt sich freilich von Aehnlichkeit nicht weiter sprechen, präsentieren sich aber die Hauptlinien unverändert, während nur die Fassade wechselte, so bleibt der Eindruck ziemlich derselbe. Die Maße entscheiden, nicht das Ornament. Dies ist, es mag so schön sein wie es will, für die Gesamtwirkung beinah gleichgiltig.
Wir hatten vor, die Linden hinunter zu gehen und draußen vor dem Brandenburger Thor in Puhlmanns Garten - den ich kannte - Kaffee zu trinken. Aber zunächst wenigstens kamen wir nicht dazu, denn als wir eben unsern Weitermarsch antreten wollten, erschien, von der Schloßbrücke her, eine ganze von hut- und mützeschwenkendem Volk umringte Kavalkade. Beim Näherkommen sahen wir, daß es der König war, der da heranritt, links
dem ist wieder ein Halbjahrhundert vergangen und wenn die Stelle kommt, wo mein guter Papa in jenen Tagen diese großen Worte gelassen aussprach, so kann ich mich nicht erwehren, sie meinerseits zu wiederholen und sage dann ganz wie er damals: „es sieht noch gerade so aus wie vor fünfzig Jahren.“ Es ist in der That ganz erstaunlich, wie wenig sich – ein paar Ausnahmen zugegeben – Städtebilder verändern. Wenn an die Stelle von engen schmutzigen Ghettogassen ein Square mit Springbrunnen tritt, so läßt sich freilich von Aehnlichkeit nicht weiter sprechen, präsentieren sich aber die Hauptlinien unverändert, während nur die Fassade wechselte, so bleibt der Eindruck ziemlich derselbe. Die Maße entscheiden, nicht das Ornament. Dies ist, es mag so schön sein wie es will, für die Gesamtwirkung beinah gleichgiltig.
Wir hatten vor, die Linden hinunter zu gehen und draußen vor dem Brandenburger Thor in Puhlmanns Garten – den ich kannte – Kaffee zu trinken. Aber zunächst wenigstens kamen wir nicht dazu, denn als wir eben unsern Weitermarsch antreten wollten, erschien, von der Schloßbrücke her, eine ganze von hut- und mützeschwenkendem Volk umringte Kavalkade. Beim Näherkommen sahen wir, daß es der König war, der da heranritt, links
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dem ist wieder ein Halbjahrhundert vergangen und wenn die Stelle kommt, wo mein guter Papa in jenen Tagen diese großen Worte gelassen aussprach, so kann ich mich nicht erwehren, sie meinerseits zu wiederholen und sage dann ganz wie er damals: „es sieht noch gerade so aus wie vor fünfzig Jahren.“ Es ist in der That ganz erstaunlich, wie wenig sich – ein paar Ausnahmen zugegeben – Städtebilder verändern. Wenn an die Stelle von engen schmutzigen Ghettogassen ein Square mit Springbrunnen tritt, so läßt sich freilich von Aehnlichkeit nicht weiter sprechen, präsentieren sich aber die Hauptlinien unverändert, während nur die Fassade wechselte, so bleibt der Eindruck ziemlich derselbe. Die Maße entscheiden, nicht das Ornament. Dies ist, es mag so schön sein wie es will, für die Gesamtwirkung beinah gleichgiltig.</p><lb/><p>Wir hatten vor, die Linden hinunter zu gehen und draußen vor dem Brandenburger Thor in Puhlmanns Garten – den ich kannte – Kaffee zu trinken. Aber zunächst wenigstens kamen wir nicht dazu, denn als wir eben unsern Weitermarsch antreten wollten, erschien, von der Schloßbrücke her, eine ganze von hut- und mützeschwenkendem Volk umringte Kavalkade. Beim Näherkommen sahen wir, daß es der König war, der da heranritt, links<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
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dem ist wieder ein Halbjahrhundert vergangen und wenn die Stelle kommt, wo mein guter Papa in jenen Tagen diese großen Worte gelassen aussprach, so kann ich mich nicht erwehren, sie meinerseits zu wiederholen und sage dann ganz wie er damals: „es sieht noch gerade so aus wie vor fünfzig Jahren.“ Es ist in der That ganz erstaunlich, wie wenig sich – ein paar Ausnahmen zugegeben – Städtebilder verändern. Wenn an die Stelle von engen schmutzigen Ghettogassen ein Square mit Springbrunnen tritt, so läßt sich freilich von Aehnlichkeit nicht weiter sprechen, präsentieren sich aber die Hauptlinien unverändert, während nur die Fassade wechselte, so bleibt der Eindruck ziemlich derselbe. Die Maße entscheiden, nicht das Ornament. Dies ist, es mag so schön sein wie es will, für die Gesamtwirkung beinah gleichgiltig.
Wir hatten vor, die Linden hinunter zu gehen und draußen vor dem Brandenburger Thor in Puhlmanns Garten – den ich kannte – Kaffee zu trinken. Aber zunächst wenigstens kamen wir nicht dazu, denn als wir eben unsern Weitermarsch antreten wollten, erschien, von der Schloßbrücke her, eine ganze von hut- und mützeschwenkendem Volk umringte Kavalkade. Beim Näherkommen sahen wir, daß es der König war, der da heranritt, links
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Fontane, Theodor: Von Zwanzig bis Dreißig. 1. Aufl. Berlin, 1898, S. 620. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_zwanzig_1898/629>, abgerufen am 28.07.2024.
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