Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Forster, Georg: Ansichten vom Niederrhein. Bd. 1. Berlin, 1791.

Bild:
<< vorherige Seite

Materie hinwegschwebt, ihr gebietet, sie zu¬
sammensetzt und schöner formt, bedarf es
eines ähnlichen prometheischen Funkens. Al¬
lein wie viele Stufen giebt es nicht zwischen
der Unwissenheit, die an einer Bildsäule nur
die Glätte des Marmors begaft, und dem
Genie, das mit unnennbarem Entzücken die
Phantasie Polyklets darin ahndet? Zwischen
jenem Landmanne, der sich scheute, die
Herren auf der Bühne zu behorchen, und
dem Hochbegabten, der in der Seele des
Schauspielers von einem Augenblick zum
andern den Ausdruck des Empfundenen von
der Urtheilskraft regieren sieht? Wenn
auch die allgemeine Bewunderung einem äch¬
ten Meisterwerke huldigt, so ist es darum
noch nicht ausgemacht, dass gerade das Ei¬
genthümliche, was nur des Künstlers Gei¬
stesgrösse ihm geben konnte, den Sinn der
Menge hinreisst. Wir ehren im unerreich¬

Materie hinwegschwebt, ihr gebietet, sie zu¬
sammensetzt und schöner formt, bedarf es
eines ähnlichen prometheischen Funkens. Al¬
lein wie viele Stufen giebt es nicht zwischen
der Unwissenheit, die an einer Bildsäule nur
die Glätte des Marmors begaft, und dem
Genie, das mit unnennbarem Entzücken die
Phantasie Polyklets darin ahndet? Zwischen
jenem Landmanne, der sich scheute, die
Herren auf der Bühne zu behorchen, und
dem Hochbegabten, der in der Seele des
Schauspielers von einem Augenblick zum
andern den Ausdruck des Empfundenen von
der Urtheilskraft regieren sieht? Wenn
auch die allgemeine Bewunderung einem äch¬
ten Meisterwerke huldigt, so ist es darum
noch nicht ausgemacht, daſs gerade das Ei¬
genthümliche, was nur des Künstlers Gei¬
stesgröſse ihm geben konnte, den Sinn der
Menge hinreiſst. Wir ehren im unerreich¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0094" n="82"/>
Materie hinwegschwebt, ihr gebietet, sie zu¬<lb/>
sammensetzt und schöner formt, bedarf es<lb/>
eines ähnlichen prometheischen Funkens. Al¬<lb/>
lein wie viele Stufen giebt es nicht zwischen<lb/>
der Unwissenheit, die an einer Bildsäule nur<lb/>
die Glätte des Marmors begaft, und dem<lb/>
Genie, das mit unnennbarem Entzücken die<lb/>
Phantasie <hi rendition="#i">Polyklets</hi> darin ahndet? Zwischen<lb/>
jenem Landmanne, der sich scheute, die<lb/>
Herren auf der Bühne zu behorchen, und<lb/>
dem Hochbegabten, der in der Seele des<lb/>
Schauspielers von einem Augenblick zum<lb/>
andern den Ausdruck des Empfundenen von<lb/>
der Urtheilskraft regieren sieht? Wenn<lb/>
auch die allgemeine Bewunderung einem äch¬<lb/>
ten Meisterwerke huldigt, so ist es darum<lb/>
noch nicht ausgemacht, da&#x017F;s gerade das Ei¬<lb/>
genthümliche, was nur des Künstlers Gei¬<lb/>
stesgrö&#x017F;se ihm geben konnte, den Sinn der<lb/>
Menge hinrei&#x017F;st. Wir ehren im unerreich¬<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[82/0094] Materie hinwegschwebt, ihr gebietet, sie zu¬ sammensetzt und schöner formt, bedarf es eines ähnlichen prometheischen Funkens. Al¬ lein wie viele Stufen giebt es nicht zwischen der Unwissenheit, die an einer Bildsäule nur die Glätte des Marmors begaft, und dem Genie, das mit unnennbarem Entzücken die Phantasie Polyklets darin ahndet? Zwischen jenem Landmanne, der sich scheute, die Herren auf der Bühne zu behorchen, und dem Hochbegabten, der in der Seele des Schauspielers von einem Augenblick zum andern den Ausdruck des Empfundenen von der Urtheilskraft regieren sieht? Wenn auch die allgemeine Bewunderung einem äch¬ ten Meisterwerke huldigt, so ist es darum noch nicht ausgemacht, daſs gerade das Ei¬ genthümliche, was nur des Künstlers Gei¬ stesgröſse ihm geben konnte, den Sinn der Menge hinreiſst. Wir ehren im unerreich¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/forster_niederrhein01_1791
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/forster_niederrhein01_1791/94
Zitationshilfe: Forster, Georg: Ansichten vom Niederrhein. Bd. 1. Berlin, 1791, S. 82. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/forster_niederrhein01_1791/94>, abgerufen am 21.11.2024.