Neu-Seeland nehmen, und sich beständig in mittlern, temperirten Breiten hal-1773. April. ten muß.
Am 11ten schien uns die klar und helle Luft einen schönen Tag zu ver- sprechen, der uns so viel erwünschter war, weil wir seit unsrer Ankunft in Dusky- Bay, des nassen Wetters halber, die Seegel und das Leinen-Zeug noch nicht hatten trocknen können. Da die Boote heute zu missen waren, so ließen wir uns, um Naturalien aufzusuchen, nach der Bucht übersetzen, wo wir das erste indiani- sche Boot angetroffen, und von weitem auch einen Wasserfall gesehen hatten, von welchem diese Bucht Cascade Cove oder Cascaden-Bucht war benannt wor- den. Dieser Wasserfall scheint in einer Entfernung von anderthalb englischen Meilen eben nicht beträchtlich zu seyn, dies rührt aber von seiner sehr hohen Lage her. Denn nachdem wir angelangt waren, mußten wir den Berg, auf wel- chem er gelegen ist, wenigstens 600 Fus hoch hinan klettern, ehe wir ihn völ- lig zu Gesicht bekamen. Von dort her ist die Aussicht groß und prächtig. Der Gegenstand, der zuerst in die Augen fällt, ist eine klare Wassersäule, die ge- gen 24 bis 30 Fus im Umfange hält, und sich mit reißendem Ungestüm über einen senkrechtstehenden Felsen, aus einer Höhe von ohngefähr 300 Fuß, herab- stürzt. Am vierten Theile der Höhe trift diese Wassersäule auf ein hervortre- tendes Stück desselbigen Felsens, der von da an etwas abhängig zu werden an- fängt, und schießt alsdann, in Gestalt einer durchsichtigen, ohngefähr 75 Fus breiten Wasser-Wand, über den hindurchscheinenden flachen Felsen-Rücken hinweg. Während des schnellen Herabströmens fängt das Wasser an zu schäumen und bricht sich an jeder hervorragenden Ecke der Klippe, bis es unterhalb in ein schönes Becken stürzt, das ohngefähr 180 Fuß im Umfange halten mag und an drey Seiten durch eine ziemlich senkrechte Felsenwand eingefaßt, vorn aber von großen und unordentlich über einander gestürzten Stein-Massen eingeschlossen ist. Zwischen diesen drängt es sich wieder heraus und fällt schäumend und schnell am Abhange des Berges in die See herab. Mehr als 300 Fus weit umher fanden wir die Luft mit Wasser-Dampf und Dunst angefüllt, der von dem heftigen Falle entstehet, und so dicht war, daß er unsre Kleider in wenig Minuten dermaßen durchnäßte, als ob wir in dem heftigsten Regen gewesen wären. Wir ließen uns indessen durch diese kleine Unannehmlichkeit im geringsten nicht abhalten, dies
in den Jahren 1772 bis 1775.
Neu-Seeland nehmen, und ſich beſtaͤndig in mittlern, temperirten Breiten hal-1773. April. ten muß.
Am 11ten ſchien uns die klar und helle Luft einen ſchoͤnen Tag zu ver- ſprechen, der uns ſo viel erwuͤnſchter war, weil wir ſeit unſrer Ankunft in Dusky- Bay, des naſſen Wetters halber, die Seegel und das Leinen-Zeug noch nicht hatten trocknen koͤnnen. Da die Boote heute zu miſſen waren, ſo ließen wir uns, um Naturalien aufzuſuchen, nach der Bucht uͤberſetzen, wo wir das erſte indiani- ſche Boot angetroffen, und von weitem auch einen Waſſerfall geſehen hatten, von welchem dieſe Bucht Cascade Cove oder Cascaden-Bucht war benannt wor- den. Dieſer Waſſerfall ſcheint in einer Entfernung von anderthalb engliſchen Meilen eben nicht betraͤchtlich zu ſeyn, dies ruͤhrt aber von ſeiner ſehr hohen Lage her. Denn nachdem wir angelangt waren, mußten wir den Berg, auf wel- chem er gelegen iſt, wenigſtens 600 Fus hoch hinan klettern, ehe wir ihn voͤl- lig zu Geſicht bekamen. Von dort her iſt die Ausſicht groß und praͤchtig. Der Gegenſtand, der zuerſt in die Augen faͤllt, iſt eine klare Waſſerſaͤule, die ge- gen 24 bis 30 Fus im Umfange haͤlt, und ſich mit reißendem Ungeſtuͤm uͤber einen ſenkrechtſtehenden Felſen, aus einer Hoͤhe von ohngefaͤhr 300 Fuß, herab- ſtuͤrzt. Am vierten Theile der Hoͤhe trift dieſe Waſſerſaͤule auf ein hervortre- tendes Stuͤck deſſelbigen Felſens, der von da an etwas abhaͤngig zu werden an- faͤngt, und ſchießt alsdann, in Geſtalt einer durchſichtigen, ohngefaͤhr 75 Fus breiten Waſſer-Wand, uͤber den hindurchſcheinenden flachen Felſen-Ruͤcken hinweg. Waͤhrend des ſchnellen Herabſtroͤmens faͤngt das Waſſer an zu ſchaͤumen und bricht ſich an jeder hervorragenden Ecke der Klippe, bis es unterhalb in ein ſchoͤnes Becken ſtuͤrzt, das ohngefaͤhr 180 Fuß im Umfange halten mag und an drey Seiten durch eine ziemlich ſenkrechte Felſenwand eingefaßt, vorn aber von großen und unordentlich uͤber einander geſtuͤrzten Stein-Maſſen eingeſchloſſen iſt. Zwiſchen dieſen draͤngt es ſich wieder heraus und faͤllt ſchaͤumend und ſchnell am Abhange des Berges in die See herab. Mehr als 300 Fus weit umher fanden wir die Luft mit Waſſer-Dampf und Dunſt angefuͤllt, der von dem heftigen Falle entſtehet, und ſo dicht war, daß er unſre Kleider in wenig Minuten dermaßen durchnaͤßte, als ob wir in dem heftigſten Regen geweſen waͤren. Wir ließen uns indeſſen durch dieſe kleine Unannehmlichkeit im geringſten nicht abhalten, dies
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0162"n="111"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">in den Jahren 1772 bis 1775.</hi></fw><lb/><placeName>Neu-Seeland</placeName> nehmen, und ſich beſtaͤndig in mittlern, temperirten Breiten hal-<noteplace="right">1773.<lb/>
April.</note><lb/>
ten muß.</p><lb/><p>Am 11ten ſchien uns die klar und helle Luft einen ſchoͤnen Tag zu ver-<lb/>ſprechen, der uns ſo viel erwuͤnſchter war, weil wir ſeit unſrer Ankunft in <hirendition="#fr"><placeName>Dusky-<lb/>
Bay</placeName></hi>, des naſſen Wetters halber, die Seegel und das Leinen-Zeug noch nicht hatten<lb/>
trocknen koͤnnen. Da die Boote heute zu miſſen waren, ſo ließen wir uns, um<lb/>
Naturalien aufzuſuchen, nach der Bucht uͤberſetzen, wo wir das erſte indiani-<lb/>ſche Boot angetroffen, und von weitem auch einen Waſſerfall geſehen hatten, von<lb/>
welchem dieſe Bucht <hirendition="#fr"><placeName>Cascade Cove</placeName></hi> oder <placeName>Cascaden-Bucht</placeName> war benannt wor-<lb/>
den. Dieſer Waſſerfall ſcheint in einer Entfernung von anderthalb engliſchen<lb/>
Meilen eben nicht betraͤchtlich zu ſeyn, dies ruͤhrt aber von ſeiner ſehr hohen Lage<lb/>
her. Denn nachdem wir angelangt waren, mußten wir den Berg, auf wel-<lb/>
chem er gelegen iſt, wenigſtens 600 Fus hoch hinan klettern, ehe wir ihn voͤl-<lb/>
lig zu Geſicht bekamen. Von dort her iſt die Ausſicht groß und praͤchtig. Der<lb/>
Gegenſtand, der zuerſt in die Augen faͤllt, iſt eine klare Waſſerſaͤule, die ge-<lb/>
gen 24 bis 30 Fus im Umfange haͤlt, und ſich mit reißendem Ungeſtuͤm uͤber<lb/>
einen ſenkrechtſtehenden Felſen, aus einer Hoͤhe von ohngefaͤhr 300 Fuß, herab-<lb/>ſtuͤrzt. Am vierten Theile der Hoͤhe trift dieſe Waſſerſaͤule auf ein hervortre-<lb/>
tendes Stuͤck deſſelbigen Felſens, der von da an etwas abhaͤngig zu werden an-<lb/>
faͤngt, und ſchießt alsdann, in Geſtalt einer durchſichtigen, ohngefaͤhr 75 Fus<lb/>
breiten Waſſer-Wand, uͤber den hindurchſcheinenden flachen Felſen-Ruͤcken<lb/>
hinweg. Waͤhrend des ſchnellen Herabſtroͤmens faͤngt das Waſſer an zu ſchaͤumen<lb/>
und bricht ſich an jeder hervorragenden Ecke der Klippe, bis es unterhalb in ein<lb/>ſchoͤnes Becken ſtuͤrzt, das ohngefaͤhr 180 Fuß im Umfange halten mag und an<lb/>
drey Seiten durch eine ziemlich ſenkrechte Felſenwand eingefaßt, vorn aber von<lb/>
großen und unordentlich uͤber einander geſtuͤrzten Stein-Maſſen eingeſchloſſen iſt.<lb/>
Zwiſchen dieſen draͤngt es ſich wieder heraus und faͤllt ſchaͤumend und ſchnell am<lb/>
Abhange des Berges in die See herab. Mehr als 300 Fus weit umher fanden<lb/>
wir die Luft mit Waſſer-Dampf und Dunſt angefuͤllt, der von dem heftigen Falle<lb/>
entſtehet, und ſo dicht war, daß er unſre Kleider in wenig Minuten dermaßen<lb/>
durchnaͤßte, als ob wir in dem heftigſten Regen geweſen waͤren. Wir ließen<lb/>
uns indeſſen durch dieſe kleine Unannehmlichkeit im geringſten nicht abhalten, dies<lb/></p></div></body></text></TEI>
[111/0162]
in den Jahren 1772 bis 1775.
Neu-Seeland nehmen, und ſich beſtaͤndig in mittlern, temperirten Breiten hal-
ten muß.
1773.
April.
Am 11ten ſchien uns die klar und helle Luft einen ſchoͤnen Tag zu ver-
ſprechen, der uns ſo viel erwuͤnſchter war, weil wir ſeit unſrer Ankunft in Dusky-
Bay, des naſſen Wetters halber, die Seegel und das Leinen-Zeug noch nicht hatten
trocknen koͤnnen. Da die Boote heute zu miſſen waren, ſo ließen wir uns, um
Naturalien aufzuſuchen, nach der Bucht uͤberſetzen, wo wir das erſte indiani-
ſche Boot angetroffen, und von weitem auch einen Waſſerfall geſehen hatten, von
welchem dieſe Bucht Cascade Cove oder Cascaden-Bucht war benannt wor-
den. Dieſer Waſſerfall ſcheint in einer Entfernung von anderthalb engliſchen
Meilen eben nicht betraͤchtlich zu ſeyn, dies ruͤhrt aber von ſeiner ſehr hohen Lage
her. Denn nachdem wir angelangt waren, mußten wir den Berg, auf wel-
chem er gelegen iſt, wenigſtens 600 Fus hoch hinan klettern, ehe wir ihn voͤl-
lig zu Geſicht bekamen. Von dort her iſt die Ausſicht groß und praͤchtig. Der
Gegenſtand, der zuerſt in die Augen faͤllt, iſt eine klare Waſſerſaͤule, die ge-
gen 24 bis 30 Fus im Umfange haͤlt, und ſich mit reißendem Ungeſtuͤm uͤber
einen ſenkrechtſtehenden Felſen, aus einer Hoͤhe von ohngefaͤhr 300 Fuß, herab-
ſtuͤrzt. Am vierten Theile der Hoͤhe trift dieſe Waſſerſaͤule auf ein hervortre-
tendes Stuͤck deſſelbigen Felſens, der von da an etwas abhaͤngig zu werden an-
faͤngt, und ſchießt alsdann, in Geſtalt einer durchſichtigen, ohngefaͤhr 75 Fus
breiten Waſſer-Wand, uͤber den hindurchſcheinenden flachen Felſen-Ruͤcken
hinweg. Waͤhrend des ſchnellen Herabſtroͤmens faͤngt das Waſſer an zu ſchaͤumen
und bricht ſich an jeder hervorragenden Ecke der Klippe, bis es unterhalb in ein
ſchoͤnes Becken ſtuͤrzt, das ohngefaͤhr 180 Fuß im Umfange halten mag und an
drey Seiten durch eine ziemlich ſenkrechte Felſenwand eingefaßt, vorn aber von
großen und unordentlich uͤber einander geſtuͤrzten Stein-Maſſen eingeſchloſſen iſt.
Zwiſchen dieſen draͤngt es ſich wieder heraus und faͤllt ſchaͤumend und ſchnell am
Abhange des Berges in die See herab. Mehr als 300 Fus weit umher fanden
wir die Luft mit Waſſer-Dampf und Dunſt angefuͤllt, der von dem heftigen Falle
entſtehet, und ſo dicht war, daß er unſre Kleider in wenig Minuten dermaßen
durchnaͤßte, als ob wir in dem heftigſten Regen geweſen waͤren. Wir ließen
uns indeſſen durch dieſe kleine Unannehmlichkeit im geringſten nicht abhalten, dies
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Forster, Georg: Johann Reinhold Forster's [...] Reise um die Welt. Bd. 1. Berlin, 1778, S. 111. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/forster_reise01_1778/162>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.