Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Forster, Georg: Johann Reinhold Forster's [...] Reise um die Welt. Bd. 1. Berlin, 1778.

Bild:
<< vorherige Seite

Forster's Reise um die Welt
1773.
Novem-
ber.
Zeit auf einige seitwärts sitzende Weiber, die laut wehklagten und sich zum
Andenken der Gebliebnen die Stirn mit scharfen Steinen verwundeten. Was
wir also von den Zwistigkeiten der Indianer bisher nur blos vermuthet hatten,
das fanden wir jetzt durch den Augenschein bestätigt, und allem Anschein nach, war
die Muthmaßung, daß wir selbst zu diesem Unheil Gelegenheit gegeben hätten,
nicht minder gegründet. Hiernächst blieb uns nun auch kein Zweifel mehr übrig,
die Neu-Seeländer für würkliche Menschenfresser zu halten. Herr Pickers-
gill
wünschte den Kopf an sich zu kaufen, und solchen zum Andenken dieser
Reise mit nach England zu nehmen. Er both also einen Nagel dafür und erhielt
ihn, um diesen Preiß, ohne das mindeste Bedenken. *) Als er mit sei-
ner Gesellschaft an Bord zurück kam, stellte er ihn, oben auf das Geländer des
Verdecks, zur Schau hin. Indem wir noch alle darum her waren ihn zu betrach-
ten, kamen einige Neu-Seeländer vom Wasserplatze zu uns. So bald sie des
Kopfes ansichtig wurden, bezeugten sie ein großes Verlangen nach demselben,
und gaben durch Zeichen deutlich zu verstehen, daß das Fleisch von vortreflichem
Geschmack sey. Den ganzen Kopf wollte Herr Pickersgill nicht fahren lassen,
doch erbot er sich ihnen ein Stück von der Backe mitzutheilen, und es schien als
freuten sie sich darauf. Er schnitt es auch würklich ab und reichte es ihnen;
sie wolltens aber nicht roh essen, sondern gar gemacht haben. Man ließ
also das Stück in unsrer aller Gegenwart ein wenig über dem Feuer
braten, worauf es die Neu-Seeländer vor unsern Augen mit der
größten Gierigkeit verschlungen. Nicht lange nachher kam der Capitain
mit seiner Gesellschaft an Bord zurück, und da auch diese Verlangen trugen,
eine so ungewöhnliche Sache mit anzusehen, so wiederholten die Neu-Seeländer
das Experiment noch einmal in Gegenwart der ganzen Schiffsgesellschaft. Die-
ser Anblick brachte bey allen denen die zugegen waren, sonderbare und sehr verschie-
dne Würkungen hervor. Einige schienen, dem Eckel zum Trotze, der uns durch die
Erziehung gegen Menschenfleisch beygebracht worden, fast Lust zu haben mit an-
zubeißen, und glaubten etwas sehr witziges zu sagen, wenn sie die Neu-Seelän-
dischen Kriege für Menschen-Jagden ausgaben. Andre hingegen waren unver-
nünftigerweise auf die Menschenfresser so erbittert, daß sie die Neu-Seeländer alle

*) Dieser Kopf befindet sich jetzt in Herrn Joh. Hunters anatomischen Cabinet zu London.

Forſter’s Reiſe um die Welt
1773.
Novem-
ber.
Zeit auf einige ſeitwaͤrts ſitzende Weiber, die laut wehklagten und ſich zum
Andenken der Gebliebnen die Stirn mit ſcharfen Steinen verwundeten. Was
wir alſo von den Zwiſtigkeiten der Indianer bisher nur blos vermuthet hatten,
das fanden wir jetzt durch den Augenſchein beſtaͤtigt, und allem Anſchein nach, war
die Muthmaßung, daß wir ſelbſt zu dieſem Unheil Gelegenheit gegeben haͤtten,
nicht minder gegruͤndet. Hiernaͤchſt blieb uns nun auch kein Zweifel mehr uͤbrig,
die Neu-Seelaͤnder fuͤr wuͤrkliche Menſchenfreſſer zu halten. Herr Pickers-
gill
wuͤnſchte den Kopf an ſich zu kaufen, und ſolchen zum Andenken dieſer
Reiſe mit nach England zu nehmen. Er both alſo einen Nagel dafuͤr und erhielt
ihn, um dieſen Preiß, ohne das mindeſte Bedenken. *) Als er mit ſei-
ner Geſellſchaft an Bord zuruͤck kam, ſtellte er ihn, oben auf das Gelaͤnder des
Verdecks, zur Schau hin. Indem wir noch alle darum her waren ihn zu betrach-
ten, kamen einige Neu-Seelaͤnder vom Waſſerplatze zu uns. So bald ſie des
Kopfes anſichtig wurden, bezeugten ſie ein großes Verlangen nach demſelben,
und gaben durch Zeichen deutlich zu verſtehen, daß das Fleiſch von vortreflichem
Geſchmack ſey. Den ganzen Kopf wollte Herr Pickersgill nicht fahren laſſen,
doch erbot er ſich ihnen ein Stuͤck von der Backe mitzutheilen, und es ſchien als
freuten ſie ſich darauf. Er ſchnitt es auch wuͤrklich ab und reichte es ihnen;
ſie wolltens aber nicht roh eſſen, ſondern gar gemacht haben. Man ließ
alſo das Stuͤck in unſrer aller Gegenwart ein wenig uͤber dem Feuer
braten, worauf es die Neu-Seelaͤnder vor unſern Augen mit der
groͤßten Gierigkeit verſchlungen. Nicht lange nachher kam der Capitain
mit ſeiner Geſellſchaft an Bord zuruͤck, und da auch dieſe Verlangen trugen,
eine ſo ungewoͤhnliche Sache mit anzuſehen, ſo wiederholten die Neu-Seelaͤnder
das Experiment noch einmal in Gegenwart der ganzen Schiffsgeſellſchaft. Die-
ſer Anblick brachte bey allen denen die zugegen waren, ſonderbare und ſehr verſchie-
dne Wuͤrkungen hervor. Einige ſchienen, dem Eckel zum Trotze, der uns durch die
Erziehung gegen Menſchenfleiſch beygebracht worden, faſt Luſt zu haben mit an-
zubeißen, und glaubten etwas ſehr witziges zu ſagen, wenn ſie die Neu-Seelaͤn-
diſchen Kriege fuͤr Menſchen-Jagden ausgaben. Andre hingegen waren unver-
nuͤnftigerweiſe auf die Menſchenfreſſer ſo erbittert, daß ſie die Neu-Seelaͤnder alle

*) Dieſer Kopf befindet ſich jetzt in Herrn Joh. Hunters anatomiſchen Cabinet zu London.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0445" n="386"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><persName>For&#x017F;ter&#x2019;s</persName> Rei&#x017F;e um die Welt</hi></fw><lb/><note place="left">1773.<lb/>
Novem-<lb/>
ber.</note>Zeit auf einige &#x017F;eitwa&#x0364;rts &#x017F;itzende Weiber, die laut wehklagten und &#x017F;ich zum<lb/>
Andenken der Gebliebnen die Stirn mit &#x017F;charfen Steinen verwundeten. Was<lb/>
wir al&#x017F;o von den Zwi&#x017F;tigkeiten der Indianer bisher nur blos vermuthet hatten,<lb/>
das fanden wir jetzt durch den Augen&#x017F;chein be&#x017F;ta&#x0364;tigt, und allem An&#x017F;chein nach, war<lb/>
die Muthmaßung, daß wir &#x017F;elb&#x017F;t zu die&#x017F;em Unheil Gelegenheit gegeben ha&#x0364;tten,<lb/>
nicht minder gegru&#x0364;ndet. Hierna&#x0364;ch&#x017F;t blieb uns nun auch kein Zweifel mehr u&#x0364;brig,<lb/>
die Neu-Seela&#x0364;nder fu&#x0364;r wu&#x0364;rkliche Men&#x017F;chenfre&#x017F;&#x017F;er zu halten. Herr <hi rendition="#fr"><persName>Pickers-<lb/>
gill</persName></hi> wu&#x0364;n&#x017F;chte den Kopf an &#x017F;ich zu kaufen, und &#x017F;olchen zum Andenken die&#x017F;er<lb/>
Rei&#x017F;e mit nach <placeName>England</placeName> zu nehmen. Er both al&#x017F;o einen Nagel dafu&#x0364;r und erhielt<lb/>
ihn, um die&#x017F;en Preiß, ohne das minde&#x017F;te Bedenken. <note place="foot" n="*)">Die&#x017F;er Kopf befindet &#x017F;ich jetzt in Herrn <hi rendition="#fr"><persName>Joh. Hunters</persName></hi> anatomi&#x017F;chen Cabinet zu <hi rendition="#fr"><placeName>London</placeName>.</hi></note> Als er mit &#x017F;ei-<lb/>
ner Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft an Bord zuru&#x0364;ck kam, &#x017F;tellte er ihn, oben auf das Gela&#x0364;nder des<lb/>
Verdecks, zur Schau hin. Indem wir noch alle darum her waren ihn zu betrach-<lb/>
ten, kamen einige Neu-Seela&#x0364;nder vom Wa&#x017F;&#x017F;erplatze zu uns. So bald &#x017F;ie des<lb/>
Kopfes an&#x017F;ichtig wurden, bezeugten &#x017F;ie ein großes Verlangen nach dem&#x017F;elben,<lb/>
und gaben durch Zeichen deutlich zu ver&#x017F;tehen, daß das Flei&#x017F;ch von vortreflichem<lb/>
Ge&#x017F;chmack &#x017F;ey. Den ganzen Kopf wollte Herr <hi rendition="#fr"><persName>Pickersgill</persName></hi> nicht fahren la&#x017F;&#x017F;en,<lb/>
doch erbot er &#x017F;ich ihnen ein Stu&#x0364;ck von der Backe mitzutheilen, und es &#x017F;chien als<lb/>
freuten &#x017F;ie &#x017F;ich darauf. Er &#x017F;chnitt es auch wu&#x0364;rklich ab und reichte es ihnen;<lb/>
&#x017F;ie wolltens aber nicht roh e&#x017F;&#x017F;en, &#x017F;ondern gar gemacht haben. Man ließ<lb/>
al&#x017F;o das Stu&#x0364;ck in un&#x017F;rer aller Gegenwart ein wenig u&#x0364;ber dem Feuer<lb/>
braten, worauf es die Neu-Seela&#x0364;nder vor un&#x017F;ern Augen mit der<lb/>
gro&#x0364;ßten Gierigkeit ver&#x017F;chlungen. Nicht lange nachher kam der Capitain<lb/>
mit &#x017F;einer Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft an Bord zuru&#x0364;ck, und da auch die&#x017F;e Verlangen trugen,<lb/>
eine &#x017F;o ungewo&#x0364;hnliche Sache mit anzu&#x017F;ehen, &#x017F;o wiederholten die Neu-Seela&#x0364;nder<lb/>
das Experiment noch einmal in Gegenwart der ganzen Schiffsge&#x017F;ell&#x017F;chaft. Die-<lb/>
&#x017F;er Anblick brachte bey allen denen die zugegen waren, &#x017F;onderbare und &#x017F;ehr ver&#x017F;chie-<lb/>
dne Wu&#x0364;rkungen hervor. Einige &#x017F;chienen, dem Eckel zum Trotze, der uns durch die<lb/>
Erziehung gegen Men&#x017F;chenflei&#x017F;ch beygebracht worden, fa&#x017F;t Lu&#x017F;t zu haben mit an-<lb/>
zubeißen, und glaubten etwas &#x017F;ehr witziges zu &#x017F;agen, wenn &#x017F;ie die Neu-Seela&#x0364;n-<lb/>
di&#x017F;chen Kriege fu&#x0364;r Men&#x017F;chen-Jagden ausgaben. Andre hingegen waren unver-<lb/>
nu&#x0364;nftigerwei&#x017F;e auf die Men&#x017F;chenfre&#x017F;&#x017F;er &#x017F;o erbittert, daß &#x017F;ie die Neu-Seela&#x0364;nder alle<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[386/0445] Forſter’s Reiſe um die Welt Zeit auf einige ſeitwaͤrts ſitzende Weiber, die laut wehklagten und ſich zum Andenken der Gebliebnen die Stirn mit ſcharfen Steinen verwundeten. Was wir alſo von den Zwiſtigkeiten der Indianer bisher nur blos vermuthet hatten, das fanden wir jetzt durch den Augenſchein beſtaͤtigt, und allem Anſchein nach, war die Muthmaßung, daß wir ſelbſt zu dieſem Unheil Gelegenheit gegeben haͤtten, nicht minder gegruͤndet. Hiernaͤchſt blieb uns nun auch kein Zweifel mehr uͤbrig, die Neu-Seelaͤnder fuͤr wuͤrkliche Menſchenfreſſer zu halten. Herr Pickers- gill wuͤnſchte den Kopf an ſich zu kaufen, und ſolchen zum Andenken dieſer Reiſe mit nach England zu nehmen. Er both alſo einen Nagel dafuͤr und erhielt ihn, um dieſen Preiß, ohne das mindeſte Bedenken. *) Als er mit ſei- ner Geſellſchaft an Bord zuruͤck kam, ſtellte er ihn, oben auf das Gelaͤnder des Verdecks, zur Schau hin. Indem wir noch alle darum her waren ihn zu betrach- ten, kamen einige Neu-Seelaͤnder vom Waſſerplatze zu uns. So bald ſie des Kopfes anſichtig wurden, bezeugten ſie ein großes Verlangen nach demſelben, und gaben durch Zeichen deutlich zu verſtehen, daß das Fleiſch von vortreflichem Geſchmack ſey. Den ganzen Kopf wollte Herr Pickersgill nicht fahren laſſen, doch erbot er ſich ihnen ein Stuͤck von der Backe mitzutheilen, und es ſchien als freuten ſie ſich darauf. Er ſchnitt es auch wuͤrklich ab und reichte es ihnen; ſie wolltens aber nicht roh eſſen, ſondern gar gemacht haben. Man ließ alſo das Stuͤck in unſrer aller Gegenwart ein wenig uͤber dem Feuer braten, worauf es die Neu-Seelaͤnder vor unſern Augen mit der groͤßten Gierigkeit verſchlungen. Nicht lange nachher kam der Capitain mit ſeiner Geſellſchaft an Bord zuruͤck, und da auch dieſe Verlangen trugen, eine ſo ungewoͤhnliche Sache mit anzuſehen, ſo wiederholten die Neu-Seelaͤnder das Experiment noch einmal in Gegenwart der ganzen Schiffsgeſellſchaft. Die- ſer Anblick brachte bey allen denen die zugegen waren, ſonderbare und ſehr verſchie- dne Wuͤrkungen hervor. Einige ſchienen, dem Eckel zum Trotze, der uns durch die Erziehung gegen Menſchenfleiſch beygebracht worden, faſt Luſt zu haben mit an- zubeißen, und glaubten etwas ſehr witziges zu ſagen, wenn ſie die Neu-Seelaͤn- diſchen Kriege fuͤr Menſchen-Jagden ausgaben. Andre hingegen waren unver- nuͤnftigerweiſe auf die Menſchenfreſſer ſo erbittert, daß ſie die Neu-Seelaͤnder alle 1773. Novem- ber. *) Dieſer Kopf befindet ſich jetzt in Herrn Joh. Hunters anatomiſchen Cabinet zu London.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/forster_reise01_1778
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/forster_reise01_1778/445
Zitationshilfe: Forster, Georg: Johann Reinhold Forster's [...] Reise um die Welt. Bd. 1. Berlin, 1778, S. 386. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/forster_reise01_1778/445>, abgerufen am 23.11.2024.