1774. May.Werke gehen dürfen. Doch weiß ich nicht, ob der Vater dieser Schöne sich deshalb für befugt halten konnte, den ehrlichen Porea bis auf die Haut auszuziehen.
Wir giengen diesen Morgen ziemlich früh aus Land, nach den salzigen Seen hin, die man nordwärts ohnweit des Havens antrifft. Vom Meere sind sie blos durch einen schmalen Felsen-Rief getrennt, der überall mit Cocos-Palmen bewachsen ist, ohnetachtet er nur um ein ganz weniges über die Oberfläche des Meeres hervorragt, auch mit Sande kaum recht bedeckt ist. Unmittelbar von diesem Felsen-Damm an, wird der Boden, rings um den ganzen See her, mo- rastig, und vertieft sich schräg gegen das Ufer herab, welches aus bloßem Schlamm besteht, der, sowohl dem äußern Ansehen als dem üblen Geruche nach, eine Art von Schwefel-Leber enthalten muß. In den äußersten Sümpfen wachsen aller- hand Ost-Indianische Pflanzen, und auf dem See gab es ganze Schaaren von wilden Enten, denen aber nicht füglich beyzukommen war, weil man befürch- ten mußte, in dem Morast zu versinken. Diese Unannehmlichkeit ausgenom- men, ist die Gegend hier herum in der That recht mahlerisch schön, jedoch nur wenig bewohnt, vielleicht, weil die Eingebohrnen die Ausdünstungen des schlammigen Ufers für ungesund halten. Einer von den Insulanern bewir- thete uns auf diesem Spaziergange mit Cocos-Nüssen, die um jetzige Jahreszeit hier etwas seltnes waren. Auf dem Rückwege ward unser Bediente, der ei- nen Sack mit Pflanzen, nebst einem andern voll kleinem Eisengeräthe trug, we- nige Schritte hinter uns, von etlichen Indianern angefallen und zu Boden ge- worfen. Ohne Zweifel wollte man ihn seiner Habseligkeiten berauben, da wir es aber gerade noch zu rechter Zeit gewahr wurden; so machten sich die Räuber eilfertigst aus dem Staube. Dies war das zweytemal, daß unsre Leute auf dieser Insel so kühn und freventlich waren angegriffen worden; über- haupt schienen auch die hiesigen Einwohner, unter der schläfrigen Regierung des alten Ori ausschweifender zu seyn als ihre Nachbaren, die Tahitier und andre Völker der Societäts-Inseln.
Der vorgedachte Befehlshaber kam uns diesmal noch weit unthätiger und abgelebter vor, als bey unserm ersten Besuche. Seine Verstandes- und See- lenkräfte schienen merklich abgenommen zu haben. Seine Augen waren ganz roth und entzündet; und der ganze Cörper mager und schäbicht. Die Ursach
Forſter’s Reiſe um die Welt
1774. May.Werke gehen duͤrfen. Doch weiß ich nicht, ob der Vater dieſer Schoͤne ſich deshalb fuͤr befugt halten konnte, den ehrlichen Porea bis auf die Haut auszuziehen.
Wir giengen dieſen Morgen ziemlich fruͤh aus Land, nach den ſalzigen Seen hin, die man nordwaͤrts ohnweit des Havens antrifft. Vom Meere ſind ſie blos durch einen ſchmalen Felſen-Rief getrennt, der uͤberall mit Cocos-Palmen bewachſen iſt, ohnetachtet er nur um ein ganz weniges uͤber die Oberflaͤche des Meeres hervorragt, auch mit Sande kaum recht bedeckt iſt. Unmittelbar von dieſem Felſen-Damm an, wird der Boden, rings um den ganzen See her, mo- raſtig, und vertieft ſich ſchraͤg gegen das Ufer herab, welches aus bloßem Schlamm beſteht, der, ſowohl dem aͤußern Anſehen als dem uͤblen Geruche nach, eine Art von Schwefel-Leber enthalten muß. In den aͤußerſten Suͤmpfen wachſen aller- hand Oſt-Indianiſche Pflanzen, und auf dem See gab es ganze Schaaren von wilden Enten, denen aber nicht fuͤglich beyzukommen war, weil man befuͤrch- ten mußte, in dem Moraſt zu verſinken. Dieſe Unannehmlichkeit ausgenom- men, iſt die Gegend hier herum in der That recht mahleriſch ſchoͤn, jedoch nur wenig bewohnt, vielleicht, weil die Eingebohrnen die Ausduͤnſtungen des ſchlammigen Ufers fuͤr ungeſund halten. Einer von den Inſulanern bewir- thete uns auf dieſem Spaziergange mit Cocos-Nuͤſſen, die um jetzige Jahreszeit hier etwas ſeltnes waren. Auf dem Ruͤckwege ward unſer Bediente, der ei- nen Sack mit Pflanzen, nebſt einem andern voll kleinem Eiſengeraͤthe trug, we- nige Schritte hinter uns, von etlichen Indianern angefallen und zu Boden ge- worfen. Ohne Zweifel wollte man ihn ſeiner Habſeligkeiten berauben, da wir es aber gerade noch zu rechter Zeit gewahr wurden; ſo machten ſich die Raͤuber eilfertigſt aus dem Staube. Dies war das zweytemal, daß unſre Leute auf dieſer Inſel ſo kuͤhn und freventlich waren angegriffen worden; uͤber- haupt ſchienen auch die hieſigen Einwohner, unter der ſchlaͤfrigen Regierung des alten Ori ausſchweifender zu ſeyn als ihre Nachbaren, die Tahitier und andre Voͤlker der Societaͤts-Inſeln.
Der vorgedachte Befehlshaber kam uns diesmal noch weit unthaͤtiger und abgelebter vor, als bey unſerm erſten Beſuche. Seine Verſtandes- und See- lenkraͤfte ſchienen merklich abgenommen zu haben. Seine Augen waren ganz roth und entzuͤndet; und der ganze Coͤrper mager und ſchaͤbicht. Die Urſach
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Forſter’s Reiſe um die Welt
Werke gehen duͤrfen. Doch weiß ich nicht, ob der Vater dieſer Schoͤne ſich deshalb
fuͤr befugt halten konnte, den ehrlichen Porea bis auf die Haut auszuziehen.
1774.
May.
Wir giengen dieſen Morgen ziemlich fruͤh aus Land, nach den ſalzigen Seen
hin, die man nordwaͤrts ohnweit des Havens antrifft. Vom Meere ſind ſie
blos durch einen ſchmalen Felſen-Rief getrennt, der uͤberall mit Cocos-Palmen
bewachſen iſt, ohnetachtet er nur um ein ganz weniges uͤber die Oberflaͤche des
Meeres hervorragt, auch mit Sande kaum recht bedeckt iſt. Unmittelbar von
dieſem Felſen-Damm an, wird der Boden, rings um den ganzen See her, mo-
raſtig, und vertieft ſich ſchraͤg gegen das Ufer herab, welches aus bloßem Schlamm
beſteht, der, ſowohl dem aͤußern Anſehen als dem uͤblen Geruche nach, eine Art
von Schwefel-Leber enthalten muß. In den aͤußerſten Suͤmpfen wachſen aller-
hand Oſt-Indianiſche Pflanzen, und auf dem See gab es ganze Schaaren von
wilden Enten, denen aber nicht fuͤglich beyzukommen war, weil man befuͤrch-
ten mußte, in dem Moraſt zu verſinken. Dieſe Unannehmlichkeit ausgenom-
men, iſt die Gegend hier herum in der That recht mahleriſch ſchoͤn, jedoch nur
wenig bewohnt, vielleicht, weil die Eingebohrnen die Ausduͤnſtungen des
ſchlammigen Ufers fuͤr ungeſund halten. Einer von den Inſulanern bewir-
thete uns auf dieſem Spaziergange mit Cocos-Nuͤſſen, die um jetzige Jahreszeit
hier etwas ſeltnes waren. Auf dem Ruͤckwege ward unſer Bediente, der ei-
nen Sack mit Pflanzen, nebſt einem andern voll kleinem Eiſengeraͤthe trug, we-
nige Schritte hinter uns, von etlichen Indianern angefallen und zu Boden ge-
worfen. Ohne Zweifel wollte man ihn ſeiner Habſeligkeiten berauben, da
wir es aber gerade noch zu rechter Zeit gewahr wurden; ſo machten ſich die
Raͤuber eilfertigſt aus dem Staube. Dies war das zweytemal, daß unſre
Leute auf dieſer Inſel ſo kuͤhn und freventlich waren angegriffen worden; uͤber-
haupt ſchienen auch die hieſigen Einwohner, unter der ſchlaͤfrigen Regierung des
alten Ori ausſchweifender zu ſeyn als ihre Nachbaren, die Tahitier und andre
Voͤlker der Societaͤts-Inſeln.
Der vorgedachte Befehlshaber kam uns diesmal noch weit unthaͤtiger und
abgelebter vor, als bey unſerm erſten Beſuche. Seine Verſtandes- und See-
lenkraͤfte ſchienen merklich abgenommen zu haben. Seine Augen waren ganz
roth und entzuͤndet; und der ganze Coͤrper mager und ſchaͤbicht. Die Urſach
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Forster, Georg: Johann Reinhold Forster's [...] Reise um die Welt. Bd. 2. Berlin, 1780, S. 90. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/forster_reise02_1780/102>, abgerufen am 24.11.2024.
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