Die zarteste und einfachste von allen fertig dahängenden Roben ward sehr weislich für heute ausgewählt, gleichsam um die An- spruchslosigkeit der jungen Novice zu bezei- chnen, die nur noch durch Schüchternheit und Demuth interessiren kann. Wohl zehn- mal ward das Kleid früherhin anprobirt. Jetzt zeigt sich doch noch so manches Man- gelhafte daran. -- Unzufrieden zieht und zerrt die Mutter, stechen und heften Tanten, Freundinnen und Kammerfrauen an Taille und Ermel, indeß die arme Kleine mit den fun- kelnagelneuen, eng angepreßten Schuhen kaum auf ihren Füßen stehen kann, immer blasser wird, Thränen ihr in die Angen treten, und sie nichts mehr sieht und hört, und es un- beachtet läßt, daß das Gesinde in den Thü- ren übereinander hinsteht, und neugierig gafft und prophetisch bewundert.
Unten im Thorweg stampfen schon lange die ungeduldigen Pferde. Die Mutter hat heut kaum einen Blick in den Spiegel ge- worfen; sie beeilt, in lässiger Verwirrung die verspätete Abfahrt. Auch der Verstän-
Die zarteſte und einfachſte von allen fertig dahaͤngenden Roben ward ſehr weislich fuͤr heute ausgewaͤhlt, gleichſam um die An- ſpruchsloſigkeit der jungen Novice zu bezei- chnen, die nur noch durch Schuͤchternheit und Demuth intereſſiren kann. Wohl zehn- mal ward das Kleid fruͤherhin anprobirt. Jetzt zeigt ſich doch noch ſo manches Man- gelhafte daran. — Unzufrieden zieht und zerrt die Mutter, ſtechen und heften Tanten, Freundinnen und Kammerfrauen an Taille und Ermel, indeß die arme Kleine mit den fun- kelnagelneuen, eng angepreßten Schuhen kaum auf ihren Fuͤßen ſtehen kann, immer blaſſer wird, Thraͤnen ihr in die Angen treten, und ſie nichts mehr ſieht und hoͤrt, und es un- beachtet laͤßt, daß das Geſinde in den Thuͤ- ren uͤbereinander hinſteht, und neugierig gafft und prophetiſch bewundert.
Unten im Thorweg ſtampfen ſchon lange die ungeduldigen Pferde. Die Mutter hat heut kaum einen Blick in den Spiegel ge- worfen; ſie beeilt, in laͤſſiger Verwirrung die verſpaͤtete Abfahrt. Auch der Verſtaͤn-
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Die zarteſte und einfachſte von allen fertig
dahaͤngenden Roben ward ſehr weislich fuͤr
heute ausgewaͤhlt, gleichſam um die An-
ſpruchsloſigkeit der jungen Novice zu bezei-
chnen, die nur noch durch Schuͤchternheit
und Demuth intereſſiren kann. Wohl zehn-
mal ward das Kleid fruͤherhin anprobirt.
Jetzt zeigt ſich doch noch ſo manches Man-
gelhafte daran. — Unzufrieden zieht und
zerrt die Mutter, ſtechen und heften Tanten,
Freundinnen und Kammerfrauen an Taille
und Ermel, indeß die arme Kleine mit den fun-
kelnagelneuen, eng angepreßten Schuhen kaum
auf ihren Fuͤßen ſtehen kann, immer blaſſer
wird, Thraͤnen ihr in die Angen treten, und
ſie nichts mehr ſieht und hoͤrt, und es un-
beachtet laͤßt, daß das Geſinde in den Thuͤ-
ren uͤbereinander hinſteht, und neugierig
gafft und prophetiſch bewundert.
Unten im Thorweg ſtampfen ſchon lange
die ungeduldigen Pferde. Die Mutter hat
heut kaum einen Blick in den Spiegel ge-
worfen; ſie beeilt, in laͤſſiger Verwirrung
die verſpaͤtete Abfahrt. Auch der Verſtaͤn-
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Fouqué, Caroline de La Motte-: Die Frauen in der großen Welt. Berlin, 1826, S. 96. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fouque_frauen_1826/100>, abgerufen am 22.11.2024.
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