François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 1. Berlin, 1871.Augen zaubern könnte, warm wie es nach einem halben Aber wer beschreibt jener Sonntagsgeschöpfe eines, Louise v. Francois, Die letzte Reckenburgerin. I. 7
Augen zaubern könnte, warm wie es nach einem halben Aber wer beſchreibt jener Sonntagsgeſchöpfe eines, Louiſe v. François, Die letzte Reckenburgerin. I. 7
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0104" n="97"/> Augen zaubern könnte, warm wie es nach einem halben<lb/> Jahrhundert noch vor den meinigen lebt! So wie es<lb/> damals war und ſo wie es kaum merklich hineinwuchs<lb/> in jedes folgende Stufenjahr: als Jungfrau, als Weib,<lb/> als Matrone, das holdſelige Kind Dorothee!</p><lb/> <p>Aber wer beſchreibt jener Sonntagsgeſchöpfe eines,<lb/> deren Wiege, wie die Redeweiſe läuft, die Liebesgöttin<lb/> ſammt allen drei Huldinnen umſtanden hat? Und<lb/> wenn ich den Pinſel ſtatt der Feder zu führen ver¬<lb/> ſtände, ſo ſähet Ihr vielleicht die feine, wie aus Wachs<lb/> boſſirte Geſtalt, die leiſe gerundete Wellenlinie der<lb/> Glieder; Ihr ſähet über dem Roſenknöspchen des<lb/> Haupts den goldigen Flor, der wie ein Schleier bis<lb/> zu den Knieen niederwallte, ſähet die Grübchen in<lb/> Wangen und Kinn. Aber ſähet Ihr auch die Pur¬<lb/> purwoge unter der blüthenweißen, blaugeäderten Haut?<lb/> Das ſchillernde Farbenſpiel des Auges, wenn es, ein<lb/> durchſichtiger Cryſtall, in dieſer Sekunde ſich lachend<lb/> und forſchend in die Höhe ſchlug, und in der nächſten,<lb/> dunkel beſchattet, ſich demüthig zu Boden ſenkte? Sähet<lb/> Ihr das liebliche Neigen und Biegen, den raſchen<lb/> Uebergang von flüchtiger Weisheit zu Scherz und<lb/> Tändelei? Hörtet Ihr das ſilberhelle Stimmchen die<lb/> Tonleiter auf und niederhüpfen, das herzige Ge¬<lb/> <fw place="bottom" type="sig">Louiſe v. Fran<hi rendition="#aq">ç</hi>ois, Die letzte Reckenburgerin. <hi rendition="#aq">I</hi>. 7<lb/></fw> </p> </div> </body> </text> </TEI> [97/0104]
Augen zaubern könnte, warm wie es nach einem halben
Jahrhundert noch vor den meinigen lebt! So wie es
damals war und ſo wie es kaum merklich hineinwuchs
in jedes folgende Stufenjahr: als Jungfrau, als Weib,
als Matrone, das holdſelige Kind Dorothee!
Aber wer beſchreibt jener Sonntagsgeſchöpfe eines,
deren Wiege, wie die Redeweiſe läuft, die Liebesgöttin
ſammt allen drei Huldinnen umſtanden hat? Und
wenn ich den Pinſel ſtatt der Feder zu führen ver¬
ſtände, ſo ſähet Ihr vielleicht die feine, wie aus Wachs
boſſirte Geſtalt, die leiſe gerundete Wellenlinie der
Glieder; Ihr ſähet über dem Roſenknöspchen des
Haupts den goldigen Flor, der wie ein Schleier bis
zu den Knieen niederwallte, ſähet die Grübchen in
Wangen und Kinn. Aber ſähet Ihr auch die Pur¬
purwoge unter der blüthenweißen, blaugeäderten Haut?
Das ſchillernde Farbenſpiel des Auges, wenn es, ein
durchſichtiger Cryſtall, in dieſer Sekunde ſich lachend
und forſchend in die Höhe ſchlug, und in der nächſten,
dunkel beſchattet, ſich demüthig zu Boden ſenkte? Sähet
Ihr das liebliche Neigen und Biegen, den raſchen
Uebergang von flüchtiger Weisheit zu Scherz und
Tändelei? Hörtet Ihr das ſilberhelle Stimmchen die
Tonleiter auf und niederhüpfen, das herzige Ge¬
Louiſe v. François, Die letzte Reckenburgerin. I. 7
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