zogsresidenz keine zulässige Aushülfe bot. Indessen wie für das franzmännische Alpha, so für das choreo¬ graphische Omega fand sich im Schooße der Familie ein würdiger Dilettant. Hatte der Rittmeister von Reckenburg sich nicht der Ausbildung im Dresdener Cadettencorps erfreut, der edelsten Pflegestätte jener ritterlichen Kunst, welche dem ungelecktesten Bären An¬ stand, Conduite und gesellige Unwiderstehlichkeit ver¬ leiht? War er nicht als ein Musterschüler derselben gepriesen und hatte als Vortänzer der Donnerstags- Gesellschaft sie con amore practizirt, bis die zuneh¬ mende Corpulenz ihm den Ballsaal einigermaßen ver¬ leidete? In häuslicher Bequemlichkeit dahingegen, ohne pressende Montur und Escarpins, konnten die Regeln der rhytmischen Bewegung zum Segen eines aufblühenden Geschlechts noch mit Behagen entwickelt werden, und so sehen wir denn das vieldienliche Reckenburg'sche Familienzimmer endlich auch noch in einen Tempel Terpsichore's umgewandelt.
Dreimal wöchentlich während dreier Winter¬ semester wurde der schwere Speisetisch in den Thor¬ weg geschoben, erklang, als Orchester, die Geige Christ¬ lieb Taube's aus der Fensternische, saß die Freifrau, als kritische Ballmutter, hinter dem Spinnrocken in
zogsreſidenz keine zuläſſige Aushülfe bot. Indeſſen wie für das franzmänniſche Alpha, ſo für das choreo¬ graphiſche Omega fand ſich im Schooße der Familie ein würdiger Dilettant. Hatte der Rittmeiſter von Reckenburg ſich nicht der Ausbildung im Dresdener Cadettencorps erfreut, der edelſten Pflegeſtätte jener ritterlichen Kunſt, welche dem ungeleckteſten Bären An¬ ſtand, Conduite und geſellige Unwiderſtehlichkeit ver¬ leiht? War er nicht als ein Muſterſchüler derſelben geprieſen und hatte als Vortänzer der Donnerſtags- Geſellſchaft ſie con amore practizirt, bis die zuneh¬ mende Corpulenz ihm den Ballſaal einigermaßen ver¬ leidete? In häuslicher Bequemlichkeit dahingegen, ohne preſſende Montur und Escarpins, konnten die Regeln der rhytmiſchen Bewegung zum Segen eines aufblühenden Geſchlechts noch mit Behagen entwickelt werden, und ſo ſehen wir denn das vieldienliche Reckenburg'ſche Familienzimmer endlich auch noch in einen Tempel Terpſichore's umgewandelt.
Dreimal wöchentlich während dreier Winter¬ ſemeſter wurde der ſchwere Speiſetiſch in den Thor¬ weg geſchoben, erklang, als Orcheſter, die Geige Chriſt¬ lieb Taube's aus der Fenſterniſche, ſaß die Freifrau, als kritiſche Ballmutter, hinter dem Spinnrocken in
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zogsreſidenz keine zuläſſige Aushülfe bot. Indeſſen
wie für das franzmänniſche Alpha, ſo für das choreo¬
graphiſche Omega fand ſich im Schooße der Familie
ein würdiger Dilettant. Hatte der Rittmeiſter von
Reckenburg ſich nicht der Ausbildung im Dresdener
Cadettencorps erfreut, der edelſten Pflegeſtätte jener
ritterlichen Kunſt, welche dem ungeleckteſten Bären An¬
ſtand, Conduite und geſellige Unwiderſtehlichkeit ver¬
leiht? War er nicht als ein Muſterſchüler derſelben
geprieſen und hatte als Vortänzer der Donnerſtags-
Geſellſchaft ſie con amore practizirt, bis die zuneh¬
mende Corpulenz ihm den Ballſaal einigermaßen ver¬
leidete? In häuslicher Bequemlichkeit dahingegen,
ohne preſſende Montur und Escarpins, konnten die
Regeln der rhytmiſchen Bewegung zum Segen eines
aufblühenden Geſchlechts noch mit Behagen entwickelt
werden, und ſo ſehen wir denn das vieldienliche
Reckenburg'ſche Familienzimmer endlich auch noch in
einen Tempel Terpſichore's umgewandelt.
Dreimal wöchentlich während dreier Winter¬
ſemeſter wurde der ſchwere Speiſetiſch in den Thor¬
weg geſchoben, erklang, als Orcheſter, die Geige Chriſt¬
lieb Taube's aus der Fenſterniſche, ſaß die Freifrau,
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François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 1. Berlin, 1871, S. 102. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/francois_reckenburgerin01_1871/109>, abgerufen am 15.05.2024.
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