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François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 1. Berlin, 1871.

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loses Kind auf eine Versorgung durch die Frau, die
aus irgend einem Grunde seine eigene verwaiste Kind¬
heit überwacht hatte. War sie im Laufe der Zeit
zu Glanz und Fülle gelangt, -- eine Vorstellung, die
sich seiner heiteren Gemüthsart gar leicht einschmei¬
chelte, -- und wollte sie ihn noch außerdem mit einem
Pferde und einer blanken Uniform für seinen Türken¬
zug ausstatten, desto froher sein Habdank. Soviel,
oder so wenig, hatte er im Sinn, wenn er seinem
ermatteten Kinde zurief: "Wir gehen zu Fräulein
Hardinen!"

Es war hoher Sommer geworden, als er eines
Morgens in einem wohlangebauten Thale vor einem
einsamen, alten Gebäude Halt machte und mit dem
Freudenrufe: "das Kloster!" durch die geöffnete Pforte
rannte. Er drang in den Hof, in den Kreuzgang,
in den Garten, in das Schulhaus, in die Probstei;
er erkannte jeden Winkel: den Spielplatz, auf welchem
die Knaben heute wie damals sich tummelten; den
Brunnen, in welchem sie heute wie damals ihre Becher
füllten; das Zinngeschirr, das heute wie damals die
Tafeln des Cönakels bedeckte; den Holzschuppen, in
welchem heute wie damals Unruhstifter seiner Gat¬
tung ihre Strafe verbüßten. Nur von den Menschen,

loſes Kind auf eine Verſorgung durch die Frau, die
aus irgend einem Grunde ſeine eigene verwaiſte Kind¬
heit überwacht hatte. War ſie im Laufe der Zeit
zu Glanz und Fülle gelangt, — eine Vorſtellung, die
ſich ſeiner heiteren Gemüthsart gar leicht einſchmei¬
chelte, — und wollte ſie ihn noch außerdem mit einem
Pferde und einer blanken Uniform für ſeinen Türken¬
zug ausſtatten, deſto froher ſein Habdank. Soviel,
oder ſo wenig, hatte er im Sinn, wenn er ſeinem
ermatteten Kinde zurief: „Wir gehen zu Fräulein
Hardinen!“

Es war hoher Sommer geworden, als er eines
Morgens in einem wohlangebauten Thale vor einem
einſamen, alten Gebäude Halt machte und mit dem
Freudenrufe: „das Kloſter!“ durch die geöffnete Pforte
rannte. Er drang in den Hof, in den Kreuzgang,
in den Garten, in das Schulhaus, in die Probſtei;
er erkannte jeden Winkel: den Spielplatz, auf welchem
die Knaben heute wie damals ſich tummelten; den
Brunnen, in welchem ſie heute wie damals ihre Becher
füllten; das Zinngeſchirr, das heute wie damals die
Tafeln des Cönakels bedeckte; den Holzſchuppen, in
welchem heute wie damals Unruhſtifter ſeiner Gat¬
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[44/0051] loſes Kind auf eine Verſorgung durch die Frau, die aus irgend einem Grunde ſeine eigene verwaiſte Kind¬ heit überwacht hatte. War ſie im Laufe der Zeit zu Glanz und Fülle gelangt, — eine Vorſtellung, die ſich ſeiner heiteren Gemüthsart gar leicht einſchmei¬ chelte, — und wollte ſie ihn noch außerdem mit einem Pferde und einer blanken Uniform für ſeinen Türken¬ zug ausſtatten, deſto froher ſein Habdank. Soviel, oder ſo wenig, hatte er im Sinn, wenn er ſeinem ermatteten Kinde zurief: „Wir gehen zu Fräulein Hardinen!“ Es war hoher Sommer geworden, als er eines Morgens in einem wohlangebauten Thale vor einem einſamen, alten Gebäude Halt machte und mit dem Freudenrufe: „das Kloſter!“ durch die geöffnete Pforte rannte. Er drang in den Hof, in den Kreuzgang, in den Garten, in das Schulhaus, in die Probſtei; er erkannte jeden Winkel: den Spielplatz, auf welchem die Knaben heute wie damals ſich tummelten; den Brunnen, in welchem ſie heute wie damals ihre Becher füllten; das Zinngeſchirr, das heute wie damals die Tafeln des Cönakels bedeckte; den Holzſchuppen, in welchem heute wie damals Unruhſtifter ſeiner Gat¬ tung ihre Strafe verbüßten. Nur von den Menſchen,

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Zitationshilfe: François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 1. Berlin, 1871, S. 44. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/francois_reckenburgerin01_1871/51>, abgerufen am 21.11.2024.