loses Kind auf eine Versorgung durch die Frau, die aus irgend einem Grunde seine eigene verwaiste Kind¬ heit überwacht hatte. War sie im Laufe der Zeit zu Glanz und Fülle gelangt, -- eine Vorstellung, die sich seiner heiteren Gemüthsart gar leicht einschmei¬ chelte, -- und wollte sie ihn noch außerdem mit einem Pferde und einer blanken Uniform für seinen Türken¬ zug ausstatten, desto froher sein Habdank. Soviel, oder so wenig, hatte er im Sinn, wenn er seinem ermatteten Kinde zurief: "Wir gehen zu Fräulein Hardinen!"
Es war hoher Sommer geworden, als er eines Morgens in einem wohlangebauten Thale vor einem einsamen, alten Gebäude Halt machte und mit dem Freudenrufe: "das Kloster!" durch die geöffnete Pforte rannte. Er drang in den Hof, in den Kreuzgang, in den Garten, in das Schulhaus, in die Probstei; er erkannte jeden Winkel: den Spielplatz, auf welchem die Knaben heute wie damals sich tummelten; den Brunnen, in welchem sie heute wie damals ihre Becher füllten; das Zinngeschirr, das heute wie damals die Tafeln des Cönakels bedeckte; den Holzschuppen, in welchem heute wie damals Unruhstifter seiner Gat¬ tung ihre Strafe verbüßten. Nur von den Menschen,
loſes Kind auf eine Verſorgung durch die Frau, die aus irgend einem Grunde ſeine eigene verwaiſte Kind¬ heit überwacht hatte. War ſie im Laufe der Zeit zu Glanz und Fülle gelangt, — eine Vorſtellung, die ſich ſeiner heiteren Gemüthsart gar leicht einſchmei¬ chelte, — und wollte ſie ihn noch außerdem mit einem Pferde und einer blanken Uniform für ſeinen Türken¬ zug ausſtatten, deſto froher ſein Habdank. Soviel, oder ſo wenig, hatte er im Sinn, wenn er ſeinem ermatteten Kinde zurief: „Wir gehen zu Fräulein Hardinen!“
Es war hoher Sommer geworden, als er eines Morgens in einem wohlangebauten Thale vor einem einſamen, alten Gebäude Halt machte und mit dem Freudenrufe: „das Kloſter!“ durch die geöffnete Pforte rannte. Er drang in den Hof, in den Kreuzgang, in den Garten, in das Schulhaus, in die Probſtei; er erkannte jeden Winkel: den Spielplatz, auf welchem die Knaben heute wie damals ſich tummelten; den Brunnen, in welchem ſie heute wie damals ihre Becher füllten; das Zinngeſchirr, das heute wie damals die Tafeln des Cönakels bedeckte; den Holzſchuppen, in welchem heute wie damals Unruhſtifter ſeiner Gat¬ tung ihre Strafe verbüßten. Nur von den Menſchen,
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0051"n="44"/>
loſes Kind auf eine Verſorgung durch die Frau, die<lb/>
aus irgend einem Grunde ſeine eigene verwaiſte Kind¬<lb/>
heit überwacht hatte. War ſie im Laufe der Zeit<lb/>
zu Glanz und Fülle gelangt, — eine Vorſtellung, die<lb/>ſich ſeiner heiteren Gemüthsart gar leicht einſchmei¬<lb/>
chelte, — und wollte ſie ihn noch außerdem mit einem<lb/>
Pferde und einer blanken Uniform für ſeinen Türken¬<lb/>
zug ausſtatten, deſto froher ſein Habdank. Soviel,<lb/>
oder ſo wenig, hatte er im Sinn, wenn er ſeinem<lb/>
ermatteten Kinde zurief: „Wir gehen zu Fräulein<lb/>
Hardinen!“</p><lb/><p>Es war hoher Sommer geworden, als er eines<lb/>
Morgens in einem wohlangebauten Thale vor einem<lb/>
einſamen, alten Gebäude Halt machte und mit dem<lb/>
Freudenrufe: „das Kloſter!“ durch die geöffnete Pforte<lb/>
rannte. Er drang in den Hof, in den Kreuzgang,<lb/>
in den Garten, in das Schulhaus, in die Probſtei;<lb/>
er erkannte jeden Winkel: den Spielplatz, auf welchem<lb/>
die Knaben heute wie damals ſich tummelten; den<lb/>
Brunnen, in welchem ſie heute wie damals ihre Becher<lb/>
füllten; das Zinngeſchirr, das heute wie damals die<lb/>
Tafeln des Cönakels bedeckte; den Holzſchuppen, in<lb/>
welchem heute wie damals Unruhſtifter <hirendition="#g">ſeiner</hi> Gat¬<lb/>
tung ihre Strafe verbüßten. Nur von den Menſchen,<lb/></p></div></body></text></TEI>
[44/0051]
loſes Kind auf eine Verſorgung durch die Frau, die
aus irgend einem Grunde ſeine eigene verwaiſte Kind¬
heit überwacht hatte. War ſie im Laufe der Zeit
zu Glanz und Fülle gelangt, — eine Vorſtellung, die
ſich ſeiner heiteren Gemüthsart gar leicht einſchmei¬
chelte, — und wollte ſie ihn noch außerdem mit einem
Pferde und einer blanken Uniform für ſeinen Türken¬
zug ausſtatten, deſto froher ſein Habdank. Soviel,
oder ſo wenig, hatte er im Sinn, wenn er ſeinem
ermatteten Kinde zurief: „Wir gehen zu Fräulein
Hardinen!“
Es war hoher Sommer geworden, als er eines
Morgens in einem wohlangebauten Thale vor einem
einſamen, alten Gebäude Halt machte und mit dem
Freudenrufe: „das Kloſter!“ durch die geöffnete Pforte
rannte. Er drang in den Hof, in den Kreuzgang,
in den Garten, in das Schulhaus, in die Probſtei;
er erkannte jeden Winkel: den Spielplatz, auf welchem
die Knaben heute wie damals ſich tummelten; den
Brunnen, in welchem ſie heute wie damals ihre Becher
füllten; das Zinngeſchirr, das heute wie damals die
Tafeln des Cönakels bedeckte; den Holzſchuppen, in
welchem heute wie damals Unruhſtifter ſeiner Gat¬
tung ihre Strafe verbüßten. Nur von den Menſchen,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 1. Berlin, 1871, S. 44. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/francois_reckenburgerin01_1871/51>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.