welche, alt und jung, den aufgeregten Fremdling neu¬ gierig umringten, von den Menschen kannte er keinen. Er fragte nach Ludwig Nordheim, dem Probst und Director; er war todt und vergessen viele Jahre schon. Er fragte nach der alten Beckern. Niemand hatte je von einer alten Beckern gehört. Keiner erinnerte sich eines der ehemaligen Lehrer und Mit¬ schüler, deren Namen er zu nennen wußte. Die preußische Herrschaft, die diesen Landestheil überkom¬ men, hatte fremde, der Gegend unkundige Leute in die alten Räume geführt. Er hätte sich schämen müssen, Fräulein Hardinens nur zu erwähnen.
Enttäuscht, wollte er seinen Stab weiter setzen, als ihm das Attest einfiel, dessen Beglaubigung nach¬ zusuchen er seiner Lisette gelobt hatte. Kluge Lisette! Namen, Datum, Wahlspruch und Handschrift stimmten mit dem des Schulregisters überein; der neue Director konnte getrost sein Fiat daruntersetzen und der ärm¬ liche Landstreicher hatte in dem polizeistrengen Staate immerhin eine Legitimation gewonnen, die ihm die Wanderschaft erleichterte. Nun durfte es aber auch an einer gastlichen Bewirthung nicht fehlen, da ja Narben und Ehrenkreuz des vormaligen Zöglings einem Erziehungshause für Soldatenwaisen wohl zum Ruhme
welche, alt und jung, den aufgeregten Fremdling neu¬ gierig umringten, von den Menſchen kannte er keinen. Er fragte nach Ludwig Nordheim, dem Probſt und Director; er war todt und vergeſſen viele Jahre ſchon. Er fragte nach der alten Beckern. Niemand hatte je von einer alten Beckern gehört. Keiner erinnerte ſich eines der ehemaligen Lehrer und Mit¬ ſchüler, deren Namen er zu nennen wußte. Die preußiſche Herrſchaft, die dieſen Landestheil überkom¬ men, hatte fremde, der Gegend unkundige Leute in die alten Räume geführt. Er hätte ſich ſchämen müſſen, Fräulein Hardinens nur zu erwähnen.
Enttäuſcht, wollte er ſeinen Stab weiter ſetzen, als ihm das Atteſt einfiel, deſſen Beglaubigung nach¬ zuſuchen er ſeiner Liſette gelobt hatte. Kluge Liſette! Namen, Datum, Wahlſpruch und Handſchrift ſtimmten mit dem des Schulregiſters überein; der neue Director konnte getroſt ſein Fiat darunterſetzen und der ärm¬ liche Landſtreicher hatte in dem polizeiſtrengen Staate immerhin eine Legitimation gewonnen, die ihm die Wanderſchaft erleichterte. Nun durfte es aber auch an einer gaſtlichen Bewirthung nicht fehlen, da ja Narben und Ehrenkreuz des vormaligen Zöglings einem Erziehungshauſe für Soldatenwaiſen wohl zum Ruhme
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welche, alt und jung, den aufgeregten Fremdling neu¬
gierig umringten, von den Menſchen kannte er keinen.
Er fragte nach Ludwig Nordheim, dem Probſt und
Director; er war todt und vergeſſen viele Jahre
ſchon. Er fragte nach der alten Beckern. Niemand
hatte je von einer alten Beckern gehört. Keiner
erinnerte ſich eines der ehemaligen Lehrer und Mit¬
ſchüler, deren Namen er zu nennen wußte. Die
preußiſche Herrſchaft, die dieſen Landestheil überkom¬
men, hatte fremde, der Gegend unkundige Leute in die
alten Räume geführt. Er hätte ſich ſchämen müſſen,
Fräulein Hardinens nur zu erwähnen.
Enttäuſcht, wollte er ſeinen Stab weiter ſetzen,
als ihm das Atteſt einfiel, deſſen Beglaubigung nach¬
zuſuchen er ſeiner Liſette gelobt hatte. Kluge Liſette!
Namen, Datum, Wahlſpruch und Handſchrift ſtimmten
mit dem des Schulregiſters überein; der neue Director
konnte getroſt ſein Fiat darunterſetzen und der ärm¬
liche Landſtreicher hatte in dem polizeiſtrengen Staate
immerhin eine Legitimation gewonnen, die ihm die
Wanderſchaft erleichterte. Nun durfte es aber auch
an einer gaſtlichen Bewirthung nicht fehlen, da ja
Narben und Ehrenkreuz des vormaligen Zöglings einem
Erziehungshauſe für Soldatenwaiſen wohl zum Ruhme
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François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 1. Berlin, 1871, S. 45. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/francois_reckenburgerin01_1871/52>, abgerufen am 21.11.2024.
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