Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 2. Berlin, 1871.

Bild:
<< vorherige Seite

sagen dürfen, den wiedergefundenen Sohn an ihrer
Hand.

In dieser Stimmung nahm ich es als eine trost¬
reiche Erfüllung, daß ich bei meiner Heimkehr nach
Reckenburg allsobald an ein zweites Sterbebett beru¬
fen ward, zu einem Scheiden, so klar und gefaßt, wie
das tapfere Herz es sich dereinst, wenn auch in mäch¬
tigerer Umgebung gewünscht hatte.

"Fräulein Hardine," rief mir August Müller
entgegen. "Sie sind nicht meine Mutter, ich weiß
es jetzt, denn der Tod macht hell. Vergeben Sie
mir die Unehre, welche meine Thorheit über Sie ver¬
breitet hat."

"Du suchtest eine Mutter und irrtest in gutem
Glauben. Du hast mich nicht beleidigt, August," ver¬
setzte ich aufrichtig, indem ich ihm die Hand reichte.

Er drückte sie kräftig, lag eine Weile in Nach¬
denken versunken und sagte dann: "Eins noch, Fräu¬
lein Hardine: Jene weiße Frau mit dem gelben Haar,
die ich bei der Leiche Ihres Vaters sah, ist sie--?"

"Sie war Deine Mutter, August. Sie ist Dir
in Liebe vorangegangen. Ich aber werde an ihrer
Statt für Deine Tochter Sorge tragen."


ſagen dürfen, den wiedergefundenen Sohn an ihrer
Hand.

In dieſer Stimmung nahm ich es als eine troſt¬
reiche Erfüllung, daß ich bei meiner Heimkehr nach
Reckenburg allſobald an ein zweites Sterbebett beru¬
fen ward, zu einem Scheiden, ſo klar und gefaßt, wie
das tapfere Herz es ſich dereinſt, wenn auch in mäch¬
tigerer Umgebung gewünſcht hatte.

„Fräulein Hardine,“ rief mir Auguſt Müller
entgegen. „Sie ſind nicht meine Mutter, ich weiß
es jetzt, denn der Tod macht hell. Vergeben Sie
mir die Unehre, welche meine Thorheit über Sie ver¬
breitet hat.“

„Du ſuchtest eine Mutter und irrteſt in gutem
Glauben. Du haſt mich nicht beleidigt, Auguſt,“ ver¬
ſetzte ich aufrichtig, indem ich ihm die Hand reichte.

Er drückte ſie kräftig, lag eine Weile in Nach¬
denken verſunken und ſagte dann: „Eins noch, Fräu¬
lein Hardine: Jene weiße Frau mit dem gelben Haar,
die ich bei der Leiche Ihres Vaters ſah, iſt ſie—?“

„Sie war Deine Mutter, Auguſt. Sie iſt Dir
in Liebe vorangegangen. Ich aber werde an ihrer
Statt für Deine Tochter Sorge tragen.“


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0216" n="212"/>
&#x017F;agen dürfen, den wiedergefundenen Sohn an ihrer<lb/>
Hand.</p><lb/>
        <p>In die&#x017F;er Stimmung nahm ich es als eine tro&#x017F;<lb/>
reiche Erfüllung, daß ich bei meiner Heimkehr nach<lb/>
Reckenburg all&#x017F;obald an ein zweites Sterbebett beru¬<lb/>
fen ward, zu einem Scheiden, &#x017F;o klar und gefaßt, wie<lb/>
das tapfere Herz es &#x017F;ich derein&#x017F;t, wenn auch in mäch¬<lb/>
tigerer Umgebung gewün&#x017F;cht hatte.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Fräulein Hardine,&#x201C; rief mir Augu&#x017F;t Müller<lb/>
entgegen. &#x201E;Sie &#x017F;ind nicht meine Mutter, ich weiß<lb/>
es jetzt, denn der Tod macht hell. Vergeben Sie<lb/>
mir die Unehre, welche meine Thorheit über Sie ver¬<lb/>
breitet hat.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Du &#x017F;uchtest eine Mutter und irrte&#x017F;t in gutem<lb/>
Glauben. Du ha&#x017F;t mich nicht beleidigt, Augu&#x017F;t,&#x201C; ver¬<lb/>
&#x017F;etzte ich aufrichtig, indem ich ihm die Hand reichte.</p><lb/>
        <p>Er drückte &#x017F;ie kräftig, lag eine Weile in Nach¬<lb/>
denken ver&#x017F;unken und &#x017F;agte dann: &#x201E;Eins noch, Fräu¬<lb/>
lein Hardine: Jene weiße Frau mit dem gelben Haar,<lb/>
die ich bei der Leiche Ihres Vaters &#x017F;ah, i&#x017F;t &#x017F;ie&#x2014;?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Sie war Deine Mutter, Augu&#x017F;t. Sie i&#x017F;t Dir<lb/>
in Liebe vorangegangen. Ich aber werde an ihrer<lb/>
Statt für Deine Tochter Sorge tragen.&#x201C;</p><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[212/0216] ſagen dürfen, den wiedergefundenen Sohn an ihrer Hand. In dieſer Stimmung nahm ich es als eine troſt¬ reiche Erfüllung, daß ich bei meiner Heimkehr nach Reckenburg allſobald an ein zweites Sterbebett beru¬ fen ward, zu einem Scheiden, ſo klar und gefaßt, wie das tapfere Herz es ſich dereinſt, wenn auch in mäch¬ tigerer Umgebung gewünſcht hatte. „Fräulein Hardine,“ rief mir Auguſt Müller entgegen. „Sie ſind nicht meine Mutter, ich weiß es jetzt, denn der Tod macht hell. Vergeben Sie mir die Unehre, welche meine Thorheit über Sie ver¬ breitet hat.“ „Du ſuchtest eine Mutter und irrteſt in gutem Glauben. Du haſt mich nicht beleidigt, Auguſt,“ ver¬ ſetzte ich aufrichtig, indem ich ihm die Hand reichte. Er drückte ſie kräftig, lag eine Weile in Nach¬ denken verſunken und ſagte dann: „Eins noch, Fräu¬ lein Hardine: Jene weiße Frau mit dem gelben Haar, die ich bei der Leiche Ihres Vaters ſah, iſt ſie—?“ „Sie war Deine Mutter, Auguſt. Sie iſt Dir in Liebe vorangegangen. Ich aber werde an ihrer Statt für Deine Tochter Sorge tragen.“

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/francois_reckenburgerin02_1871
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/francois_reckenburgerin02_1871/216
Zitationshilfe: François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 2. Berlin, 1871, S. 212. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/francois_reckenburgerin02_1871/216>, abgerufen am 23.11.2024.