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François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 2. Berlin, 1871.

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August mit einem patriotischen Mahl; hätte sie ihn
aber gefeiert, sie würde kein geladenes Haupt an ihrer
Tafel vermißt haben.

Indessen die Gäste stellten sich auch ungeladen
wieder ein. Visiten, Rathsuchende, Huldigende, Hoffende
meldeten sich; das Lächeln der Unschuld auf den Lippen,
so als ob sie nimmer gewichen, und wurden empfangen,
so als ob sie nimmer vermißt worden wären. Scheiden
und Meiden schien auf beiden Seiten vergessen; das
alte Fahrgleis zur Reckenburg war wieder hergestellt;
nur daß die Blicke sich je mehr und mehr zwischen der
großen und der an ihrer Seite heranwachsenden kleinen
Hardine theilten.

Denn wie staunten die ersten Besucher, in der
verwahrlosten Landstreicherin schon nach Jahresfrist
ein Kind wieder zu finden, gesund und lieblich, wie
man je eines gesehen. Fürwahr, Fräulein Hardine
hatte eine glückliche Hand. Auch ihr trübseliger Schütz¬
ling war gediehen in der Luft des neuen Thurms
und auf den Flurwegen, wo sie der Herrin tägliche
Begleiterin geworden. Die Nachbarschaft erwartete in
Bälde den Akt einer Adoption, dem die Adelsbestäti¬
gung nicht fehlen werde. Man zählte zum Voraus
die Reihe der ritterlichen Jünglinge, die ohne Scheu

Auguſt mit einem patriotiſchen Mahl; hätte ſie ihn
aber gefeiert, ſie würde kein geladenes Haupt an ihrer
Tafel vermißt haben.

Indeſſen die Gäſte ſtellten ſich auch ungeladen
wieder ein. Viſiten, Rathſuchende, Huldigende, Hoffende
meldeten ſich; das Lächeln der Unſchuld auf den Lippen,
ſo als ob ſie nimmer gewichen, und wurden empfangen,
ſo als ob ſie nimmer vermißt worden wären. Scheiden
und Meiden ſchien auf beiden Seiten vergeſſen; das
alte Fahrgleis zur Reckenburg war wieder hergeſtellt;
nur daß die Blicke ſich je mehr und mehr zwiſchen der
großen und der an ihrer Seite heranwachſenden kleinen
Hardine theilten.

Denn wie ſtaunten die erſten Beſucher, in der
verwahrloſten Landſtreicherin ſchon nach Jahresfriſt
ein Kind wieder zu finden, geſund und lieblich, wie
man je eines geſehen. Fürwahr, Fräulein Hardine
hatte eine glückliche Hand. Auch ihr trübſeliger Schütz¬
ling war gediehen in der Luft des neuen Thurms
und auf den Flurwegen, wo ſie der Herrin tägliche
Begleiterin geworden. Die Nachbarſchaft erwartete in
Bälde den Akt einer Adoption, dem die Adelsbeſtäti¬
gung nicht fehlen werde. Man zählte zum Voraus
die Reihe der ritterlichen Jünglinge, die ohne Scheu

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[218/0222] Auguſt mit einem patriotiſchen Mahl; hätte ſie ihn aber gefeiert, ſie würde kein geladenes Haupt an ihrer Tafel vermißt haben. Indeſſen die Gäſte ſtellten ſich auch ungeladen wieder ein. Viſiten, Rathſuchende, Huldigende, Hoffende meldeten ſich; das Lächeln der Unſchuld auf den Lippen, ſo als ob ſie nimmer gewichen, und wurden empfangen, ſo als ob ſie nimmer vermißt worden wären. Scheiden und Meiden ſchien auf beiden Seiten vergeſſen; das alte Fahrgleis zur Reckenburg war wieder hergeſtellt; nur daß die Blicke ſich je mehr und mehr zwiſchen der großen und der an ihrer Seite heranwachſenden kleinen Hardine theilten. Denn wie ſtaunten die erſten Beſucher, in der verwahrloſten Landſtreicherin ſchon nach Jahresfriſt ein Kind wieder zu finden, geſund und lieblich, wie man je eines geſehen. Fürwahr, Fräulein Hardine hatte eine glückliche Hand. Auch ihr trübſeliger Schütz¬ ling war gediehen in der Luft des neuen Thurms und auf den Flurwegen, wo ſie der Herrin tägliche Begleiterin geworden. Die Nachbarſchaft erwartete in Bälde den Akt einer Adoption, dem die Adelsbeſtäti¬ gung nicht fehlen werde. Man zählte zum Voraus die Reihe der ritterlichen Jünglinge, die ohne Scheu

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Zitationshilfe: François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 2. Berlin, 1871, S. 218. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/francois_reckenburgerin02_1871/222>, abgerufen am 27.11.2024.