Frapan, Ilse: Bittersüß. Novellen. Berlin, 1891.gar Königsberg. Nach dem Essen wollen wir auf Tausend Küsse! Eure Kläre. gar Königsberg. Nach dem Eſſen wollen wir auf Tauſend Küſſe! Eure Kläre. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div type="letter" n="2"> <p><pb facs="#f0217" n="201"/> gar Königsberg. Nach dem Eſſen wollen wir auf<lb/> den Runkelſtein, die Freudenbotſchaft von Dir hat<lb/> gleich Mamas Kopfweh vertrieben, das ſich heute<lb/> Morgen beim Spazierengehen in der Sonne eingeſtellt<lb/> hatte. Mir thut die Sonne nichts. Ich werde ſo<lb/> friſch davon wie eine Eidechſe! Die Menſchen hier<lb/> ſind reizend! Als ich eben nach Hauſe kam, ein bis¬<lb/> chen hinter den Eltern wie gewöhnlich, ſah ich in<lb/> einem verwahrloſten Garten, in dem ein Haus ge¬<lb/> baut wird, einen blühenden Pfirſichbaum ſtehen. Der<lb/> arme Baum war ganz kalkbeſpritzt und verſtaubt und<lb/> blühte doch wie ein ſchönes Wunder. Ich weiß nicht,<lb/> ob ich ihn begehrlich angeguckt habe, — genug, auf<lb/> einmal trat ein kleiner Arbeiter von der Kalkgrube<lb/> weg auf den Baum zu, brach einen blüthenvollen<lb/> Zweig ab und reichte ihn mir freundlich lächelnd<lb/> über den zerbrochenen Zaun. Ich gab ihm die Hand,<lb/> um mich zu bedanken, und er ſchüttelte ſie ganz ver¬<lb/> gnügt und griff noch an die Mütze. Mama war<lb/> auch nicht wenig erſtaunt, als ich mit dem Zweige<lb/> ankam! Meine Evy, wenn Ihr Eure Hochzeitsreiſe<lb/> nicht hierher macht, bin ich Euch ewig böſe.</p><lb/> <closer> <salute> <hi rendition="#et">Tauſend Küſſe!</hi><lb/> <hi rendition="#right">Eure Kläre.</hi> </salute> </closer><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [201/0217]
gar Königsberg. Nach dem Eſſen wollen wir auf
den Runkelſtein, die Freudenbotſchaft von Dir hat
gleich Mamas Kopfweh vertrieben, das ſich heute
Morgen beim Spazierengehen in der Sonne eingeſtellt
hatte. Mir thut die Sonne nichts. Ich werde ſo
friſch davon wie eine Eidechſe! Die Menſchen hier
ſind reizend! Als ich eben nach Hauſe kam, ein bis¬
chen hinter den Eltern wie gewöhnlich, ſah ich in
einem verwahrloſten Garten, in dem ein Haus ge¬
baut wird, einen blühenden Pfirſichbaum ſtehen. Der
arme Baum war ganz kalkbeſpritzt und verſtaubt und
blühte doch wie ein ſchönes Wunder. Ich weiß nicht,
ob ich ihn begehrlich angeguckt habe, — genug, auf
einmal trat ein kleiner Arbeiter von der Kalkgrube
weg auf den Baum zu, brach einen blüthenvollen
Zweig ab und reichte ihn mir freundlich lächelnd
über den zerbrochenen Zaun. Ich gab ihm die Hand,
um mich zu bedanken, und er ſchüttelte ſie ganz ver¬
gnügt und griff noch an die Mütze. Mama war
auch nicht wenig erſtaunt, als ich mit dem Zweige
ankam! Meine Evy, wenn Ihr Eure Hochzeitsreiſe
nicht hierher macht, bin ich Euch ewig böſe.
Tauſend Küſſe!
Eure Kläre.
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