er war von Mucius Hand, von Mucius lieber Hand, und dennoch wagte ich nicht, ihn zu öffnen; auf so ungewöhnlichem Wege, und ich wagte nicht zu fragen, ich war mir selber unbegreiflich. Endlich faßte ich, in gewaltsamer Anstrengung, den Muth, das Siegel mit zitternder Hand zu lösen. Schon die ersten Zeilen dieses Un- glückbriefes, schmetterten mich zu Boden. Noch in diesem Augenblicke, nach fünf Jahren, ver- sagt mir die Feder fast den Dienst, kaum kann ich mich entschließen, Dir das fürchterliche Wort zu wiederholen, welches mich damals, gleich ei- nem Blitzstrahle aus heiterer Luft vernichtete. Emil tod! mehr sah ich nicht. Eine tiefe Ohn- macht warf mich auf die Blumen nieder. Ein lauter Ruf des erschrockenen Bothen, hatte mei- nen Vater herbeigezogen, welcher sich in der Nähe befand. Er hatte den mir entfallenen Brief aufgehoben, und erfuhr so, unvorbereitet wie ich, die schreckliche Nachricht.
Unglücklicher Vater was mußt du bei die- ser fürchterlichen Bothschaft empfunden haben! Dein einziger Sohn! dein Stolz! Jn der
er war von Mucius Hand, von Mucius lieber Hand, und dennoch wagte ich nicht, ihn zu oͤffnen; auf ſo ungewoͤhnlichem Wege, und ich wagte nicht zu fragen, ich war mir ſelber unbegreiflich. Endlich faßte ich, in gewaltſamer Anſtrengung, den Muth, das Siegel mit zitternder Hand zu loͤſen. Schon die erſten Zeilen dieſes Un- gluͤckbriefes, ſchmetterten mich zu Boden. Noch in dieſem Augenblicke, nach fuͤnf Jahren, ver- ſagt mir die Feder faſt den Dienſt, kaum kann ich mich entſchließen, Dir das fuͤrchterliche Wort zu wiederholen, welches mich damals, gleich ei- nem Blitzſtrahle aus heiterer Luft vernichtete. Emil tod! mehr ſah ich nicht. Eine tiefe Ohn- macht warf mich auf die Blumen nieder. Ein lauter Ruf des erſchrockenen Bothen, hatte mei- nen Vater herbeigezogen, welcher ſich in der Naͤhe befand. Er hatte den mir entfallenen Brief aufgehoben, und erfuhr ſo, unvorbereitet wie ich, die ſchreckliche Nachricht.
Ungluͤcklicher Vater was mußt du bei die- ſer fuͤrchterlichen Bothſchaft empfunden haben! Dein einziger Sohn! dein Stolz! Jn der
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er war von Mucius Hand, von Mucius lieber
Hand, und dennoch wagte ich nicht, ihn zu oͤffnen;
auf ſo ungewoͤhnlichem Wege, und ich wagte
nicht zu fragen, ich war mir ſelber unbegreiflich.
Endlich faßte ich, in gewaltſamer Anſtrengung,
den Muth, das Siegel mit zitternder Hand
zu loͤſen. Schon die erſten Zeilen dieſes Un-
gluͤckbriefes, ſchmetterten mich zu Boden. Noch
in dieſem Augenblicke, nach fuͤnf Jahren, ver-
ſagt mir die Feder faſt den Dienſt, kaum kann
ich mich entſchließen, Dir das fuͤrchterliche Wort
zu wiederholen, welches mich damals, gleich ei-
nem Blitzſtrahle aus heiterer Luft vernichtete.
Emil tod! mehr ſah ich nicht. Eine tiefe Ohn-
macht warf mich auf die Blumen nieder. Ein
lauter Ruf des erſchrockenen Bothen, hatte mei-
nen Vater herbeigezogen, welcher ſich in der
Naͤhe befand. Er hatte den mir entfallenen
Brief aufgehoben, und erfuhr ſo, unvorbereitet
wie ich, die ſchreckliche Nachricht.
Ungluͤcklicher Vater was mußt du bei die-
ſer fuͤrchterlichen Bothſchaft empfunden haben!
Dein einziger Sohn! dein Stolz! Jn der
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Frölich, Henriette: Virginia oder die Kolonie von Kentucky. Bd. 1. Hrsg. v. Jerta. Berlin, 1820, S. 130. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/froelich_virginia01_1820/140>, abgerufen am 28.07.2024.
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