Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Frölich, Henriette: Virginia oder die Kolonie von Kentucky. Bd. 1. Hrsg. v. Jerta. Berlin, 1820.

Bild:
<< vorherige Seite

tausendstimmige Chor der Abendvögl umher. Die
Balsamdüfte der Blüthengebüsche zogen lindernd
in meine Brust, und der schmeichelnde Abend-
wind trocknete mein feuchtes Auge. Wenn ich
Blumen pflückte, das Grab der Mutter und
Emils theures Bildniß zu kränzen, so erfreute
mich ihr Farbenschmelz, und ich wand mir schon
wieder, spielend, diejenigen in das Haar, deren
Anblick den Vater erfreute. Seinem Arbeits-
tische ließ ich sie nimmer fehlen, und bei jeder
Mahlzeit schmückte ich sorgsam die Tafel da-
mit. Den Tänzen unserer Dörferinnen entzog
ich mich nicht mehr, die Besuche meiner nach-
barlichen Gespielinnen erwiederte ich willig, und
stimmte heiter in die jugendliche Fröhlichkeit
ein. Mein Vater freute sich meiner Heiterkeit.
Der Muth, womit ich den Gram bekämpfte,
und dem feindseligen Leben eine freundliche
Seite abgewann, lag so ganz in seiner eigenen
Seele. Kein Wunder, ich war ja sein Zög-
ling. Wie leicht war es mir damahls, mich
aufrecht zu halten, an eine so starke Stütze
gelehnt! Wie wenig ahndete ich damahls, daß
das Schicksal mich so bald an meine eigene

tauſendſtimmige Chor der Abendvoͤgl umher. Die
Balſamduͤfte der Bluͤthengebuͤſche zogen lindernd
in meine Bruſt, und der ſchmeichelnde Abend-
wind trocknete mein feuchtes Auge. Wenn ich
Blumen pfluͤckte, das Grab der Mutter und
Emils theures Bildniß zu kraͤnzen, ſo erfreute
mich ihr Farbenſchmelz, und ich wand mir ſchon
wieder, ſpielend, diejenigen in das Haar, deren
Anblick den Vater erfreute. Seinem Arbeits-
tiſche ließ ich ſie nimmer fehlen, und bei jeder
Mahlzeit ſchmuͤckte ich ſorgſam die Tafel da-
mit. Den Taͤnzen unſerer Doͤrferinnen entzog
ich mich nicht mehr, die Beſuche meiner nach-
barlichen Geſpielinnen erwiederte ich willig, und
ſtimmte heiter in die jugendliche Froͤhlichkeit
ein. Mein Vater freute ſich meiner Heiterkeit.
Der Muth, womit ich den Gram bekaͤmpfte,
und dem feindſeligen Leben eine freundliche
Seite abgewann, lag ſo ganz in ſeiner eigenen
Seele. Kein Wunder, ich war ja ſein Zoͤg-
ling. Wie leicht war es mir damahls, mich
aufrecht zu halten, an eine ſo ſtarke Stuͤtze
gelehnt! Wie wenig ahndete ich damahls, daß
das Schickſal mich ſo bald an meine eigene

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0158" n="148"/>
tau&#x017F;end&#x017F;timmige Chor der Abendvo&#x0364;gl umher. Die<lb/>
Bal&#x017F;amdu&#x0364;fte der Blu&#x0364;thengebu&#x0364;&#x017F;che zogen lindernd<lb/>
in meine Bru&#x017F;t, und der &#x017F;chmeichelnde Abend-<lb/>
wind trocknete mein feuchtes Auge. Wenn ich<lb/>
Blumen pflu&#x0364;ckte, das Grab der Mutter und<lb/>
Emils theures Bildniß zu kra&#x0364;nzen, &#x017F;o erfreute<lb/>
mich ihr Farben&#x017F;chmelz, und ich wand mir &#x017F;chon<lb/>
wieder, &#x017F;pielend, diejenigen in das Haar, deren<lb/>
Anblick den Vater erfreute. Seinem Arbeits-<lb/>
ti&#x017F;che ließ ich &#x017F;ie nimmer fehlen, und bei jeder<lb/>
Mahlzeit &#x017F;chmu&#x0364;ckte ich &#x017F;org&#x017F;am die Tafel da-<lb/>
mit. Den Ta&#x0364;nzen un&#x017F;erer Do&#x0364;rferinnen entzog<lb/>
ich mich nicht mehr, die Be&#x017F;uche meiner nach-<lb/>
barlichen Ge&#x017F;pielinnen erwiederte ich willig, und<lb/>
&#x017F;timmte heiter in die jugendliche Fro&#x0364;hlichkeit<lb/>
ein. Mein Vater freute &#x017F;ich meiner Heiterkeit.<lb/>
Der Muth, womit ich den Gram beka&#x0364;mpfte,<lb/>
und dem feind&#x017F;eligen Leben eine freundliche<lb/>
Seite abgewann, lag &#x017F;o ganz in &#x017F;einer eigenen<lb/>
Seele. Kein Wunder, ich war ja &#x017F;ein Zo&#x0364;g-<lb/>
ling. Wie leicht war es mir damahls, mich<lb/>
aufrecht zu halten, an eine &#x017F;o &#x017F;tarke Stu&#x0364;tze<lb/>
gelehnt! Wie wenig ahndete ich damahls, daß<lb/>
das Schick&#x017F;al mich &#x017F;o bald an meine eigene<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[148/0158] tauſendſtimmige Chor der Abendvoͤgl umher. Die Balſamduͤfte der Bluͤthengebuͤſche zogen lindernd in meine Bruſt, und der ſchmeichelnde Abend- wind trocknete mein feuchtes Auge. Wenn ich Blumen pfluͤckte, das Grab der Mutter und Emils theures Bildniß zu kraͤnzen, ſo erfreute mich ihr Farbenſchmelz, und ich wand mir ſchon wieder, ſpielend, diejenigen in das Haar, deren Anblick den Vater erfreute. Seinem Arbeits- tiſche ließ ich ſie nimmer fehlen, und bei jeder Mahlzeit ſchmuͤckte ich ſorgſam die Tafel da- mit. Den Taͤnzen unſerer Doͤrferinnen entzog ich mich nicht mehr, die Beſuche meiner nach- barlichen Geſpielinnen erwiederte ich willig, und ſtimmte heiter in die jugendliche Froͤhlichkeit ein. Mein Vater freute ſich meiner Heiterkeit. Der Muth, womit ich den Gram bekaͤmpfte, und dem feindſeligen Leben eine freundliche Seite abgewann, lag ſo ganz in ſeiner eigenen Seele. Kein Wunder, ich war ja ſein Zoͤg- ling. Wie leicht war es mir damahls, mich aufrecht zu halten, an eine ſo ſtarke Stuͤtze gelehnt! Wie wenig ahndete ich damahls, daß das Schickſal mich ſo bald an meine eigene

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/froelich_virginia01_1820
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/froelich_virginia01_1820/158
Zitationshilfe: Frölich, Henriette: Virginia oder die Kolonie von Kentucky. Bd. 1. Hrsg. v. Jerta. Berlin, 1820, S. 148. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/froelich_virginia01_1820/158>, abgerufen am 14.05.2024.