Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Fuhlrott, Carl: Der fossile Mensch aus dem Neanderthal und sein Verhältniß zum Alter des Menschengeschlechts. Duisburg, 1865.

Bild:
<< vorherige Seite

der Engländer Blake, der seine Ansichten im Anthropolo-
gical review
, Mai 1864 veröffentlicht hat, die sich dahin
zusammenfassen lassen, daß sich die räthselhafte Bildung des
Neanderthalschädels aus Rhachitis und Jdiotie erkläre, wo-
nach dieser Schädel einem armen Jdioten angehört haben
könne, der als Einsiedler gelebt habe.

Beiden Deutungen liegt offenbar die Voraussetzung zu
Grunde, daß die Fundgrotte eine für einen erwachsenen
Menschen irgendwie zugängliche und bewohnbare Oertlichkeit
gewesen sei. Da dies nun nachgewiesener Maßen eine ganz
irrige Voraussetzung ist, so müssen auch diese Deutungen
werthlos erscheinen, abgesehen davon, daß sich Herr Broca
in Paris in folgenden Worten sehr energisch gegen die Hy-
pothese des Jdiotismus ausgesprochen hat: "Jdiotismus, sagt
er, der fähig ist, einen Schädel dieser Art hervorzubringen,
ist nothwendiger Weise mikrocephalisch; nun ist aber der Schä-
del nicht mikrocephal, folglich ist er nicht der eines Jdioten."

Während der vielgereiste Wallace in London in
dem Neanderthalschädel den eines Wilden erkennt (An-
thropol. review
, 1864), hat Dr. Pruner in Paris, bei
Gelegenheit eines Berichtes über die später zu erwähnenden
Differenzen zwischen Prof. Schaaffhausen und Prof. Hux-
ley
, in den Bulletins de la societe d'Anthropologie de Paris
1863, seine Ansicht dahin ausgedrückt, daß der Neanderthal-
schädel unzweifelhaft der eines Kelten sei.

Einen besonders beachtenswerthen Beitrag zur Dis-
cussion des vorliegenden Gegenstandes hat, nach Prof. Hux-
ley
's Versicherung, M. Turner geliefert. Derselbe bezeichnet
den Neanderthalschädel als ein isolirtes Specimen, als
einen Schädel von so massiver Form in den äußeren Or-
bitalprocessen (Augenbraunhöckern) und anderen charakteristi-
schen Eigenthümlichkeiten, daß es nicht wohl möglich sei,

5

der Engländer Blake, der ſeine Anſichten im Anthropolo-
gical review
, Mai 1864 veröffentlicht hat, die ſich dahin
zuſammenfaſſen laſſen, daß ſich die räthſelhafte Bildung des
Neanderthalſchädels aus Rhachitis und Jdiotie erkläre, wo-
nach dieſer Schädel einem armen Jdioten angehört haben
könne, der als Einſiedler gelebt habe.

Beiden Deutungen liegt offenbar die Vorausſetzung zu
Grunde, daß die Fundgrotte eine für einen erwachſenen
Menſchen irgendwie zugängliche und bewohnbare Oertlichkeit
geweſen ſei. Da dies nun nachgewieſener Maßen eine ganz
irrige Vorausſetzung iſt, ſo müſſen auch dieſe Deutungen
werthlos erſcheinen, abgeſehen davon, daß ſich Herr Broca
in Paris in folgenden Worten ſehr energiſch gegen die Hy-
potheſe des Jdiotismus ausgeſprochen hat: „Jdiotismus, ſagt
er, der fähig iſt, einen Schädel dieſer Art hervorzubringen,
iſt nothwendiger Weiſe mikrocephaliſch; nun iſt aber der Schä-
del nicht mikrocephal, folglich iſt er nicht der eines Jdioten.“

Während der vielgereiſte Wallace in London in
dem Neanderthalſchädel den eines Wilden erkennt (An-
thropol. review
, 1864), hat Dr. Pruner in Paris, bei
Gelegenheit eines Berichtes über die ſpäter zu erwähnenden
Differenzen zwiſchen Prof. Schaaffhauſen und Prof. Hux-
ley
, in den Bulletins de la societé d'Anthropologie de Paris
1863, ſeine Anſicht dahin ausgedrückt, daß der Neanderthal-
ſchädel unzweifelhaft der eines Kelten ſei.

Einen beſonders beachtenswerthen Beitrag zur Dis-
cuſſion des vorliegenden Gegenſtandes hat, nach Prof. Hux-
ley
's Verſicherung, M. Turner geliefert. Derſelbe bezeichnet
den Neanderthalſchädel als ein iſolirtes Specimen, als
einen Schädel von ſo maſſiver Form in den äußeren Or-
bitalproceſſen (Augenbraunhöckern) und anderen charakteriſti-
ſchen Eigenthümlichkeiten, daß es nicht wohl möglich ſei,

5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0069" n="65"/>
der Engländer <hi rendition="#g">Blake</hi>, der &#x017F;eine An&#x017F;ichten im <hi rendition="#aq">Anthropolo-<lb/>
gical review</hi>, Mai 1864 veröffentlicht hat, die &#x017F;ich dahin<lb/>
zu&#x017F;ammenfa&#x017F;&#x017F;en la&#x017F;&#x017F;en, daß &#x017F;ich die räth&#x017F;elhafte Bildung des<lb/>
Neanderthal&#x017F;chädels aus Rhachitis und Jdiotie erkläre, wo-<lb/>
nach die&#x017F;er Schädel einem armen Jdioten angehört haben<lb/>
könne, der als Ein&#x017F;iedler gelebt habe.</p><lb/>
        <p>Beiden Deutungen liegt offenbar die Voraus&#x017F;etzung zu<lb/>
Grunde, daß die Fundgrotte eine für einen erwach&#x017F;enen<lb/>
Men&#x017F;chen irgendwie zugängliche und bewohnbare Oertlichkeit<lb/>
gewe&#x017F;en &#x017F;ei. Da dies nun nachgewie&#x017F;ener Maßen eine ganz<lb/>
irrige Voraus&#x017F;etzung i&#x017F;t, &#x017F;o mü&#x017F;&#x017F;en auch die&#x017F;e Deutungen<lb/>
werthlos er&#x017F;cheinen, abge&#x017F;ehen davon, daß &#x017F;ich Herr <hi rendition="#g">Broca</hi><lb/>
in Paris in folgenden Worten &#x017F;ehr energi&#x017F;ch gegen die Hy-<lb/>
pothe&#x017F;e des Jdiotismus ausge&#x017F;prochen hat: &#x201E;Jdiotismus, &#x017F;agt<lb/><hi rendition="#g">er</hi>, der fähig i&#x017F;t, einen Schädel die&#x017F;er Art hervorzubringen,<lb/>
i&#x017F;t nothwendiger Wei&#x017F;e mikrocephali&#x017F;ch; nun i&#x017F;t aber der Schä-<lb/>
del nicht mikrocephal, folglich i&#x017F;t er nicht der eines Jdioten.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Während der vielgerei&#x017F;te <hi rendition="#g">Wallace</hi> in London in<lb/>
dem Neanderthal&#x017F;chädel den eines <hi rendition="#g">Wilden</hi> erkennt (<hi rendition="#aq">An-<lb/>
thropol. review</hi>, 1864), hat <hi rendition="#aq">Dr</hi>. <hi rendition="#g">Pruner</hi> in Paris, bei<lb/>
Gelegenheit eines Berichtes über die &#x017F;päter zu erwähnenden<lb/>
Differenzen zwi&#x017F;chen Prof. <hi rendition="#g">Schaaffhau&#x017F;en</hi> und Prof. <hi rendition="#g">Hux-<lb/>
ley</hi>, in den <hi rendition="#aq">Bulletins de la societé d'Anthropologie de Paris</hi><lb/>
1863, &#x017F;eine An&#x017F;icht dahin ausgedrückt, daß der Neanderthal-<lb/>
&#x017F;chädel unzweifelhaft der eines <hi rendition="#g">Kelten</hi> &#x017F;ei.</p><lb/>
        <p>Einen be&#x017F;onders beachtenswerthen Beitrag zur Dis-<lb/>
cu&#x017F;&#x017F;ion des vorliegenden Gegen&#x017F;tandes hat, nach Prof. <hi rendition="#g">Hux-<lb/>
ley</hi>'s Ver&#x017F;icherung, M. <hi rendition="#g">Turner</hi> geliefert. Der&#x017F;elbe bezeichnet<lb/>
den Neanderthal&#x017F;chädel als ein <hi rendition="#g">i&#x017F;olirtes Specimen</hi>, als<lb/>
einen Schädel von &#x017F;o ma&#x017F;&#x017F;iver Form in den äußeren Or-<lb/>
bitalproce&#x017F;&#x017F;en (Augenbraunhöckern) und anderen charakteri&#x017F;ti-<lb/>
&#x017F;chen Eigenthümlichkeiten, daß es nicht wohl möglich &#x017F;ei,<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">5</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[65/0069] der Engländer Blake, der ſeine Anſichten im Anthropolo- gical review, Mai 1864 veröffentlicht hat, die ſich dahin zuſammenfaſſen laſſen, daß ſich die räthſelhafte Bildung des Neanderthalſchädels aus Rhachitis und Jdiotie erkläre, wo- nach dieſer Schädel einem armen Jdioten angehört haben könne, der als Einſiedler gelebt habe. Beiden Deutungen liegt offenbar die Vorausſetzung zu Grunde, daß die Fundgrotte eine für einen erwachſenen Menſchen irgendwie zugängliche und bewohnbare Oertlichkeit geweſen ſei. Da dies nun nachgewieſener Maßen eine ganz irrige Vorausſetzung iſt, ſo müſſen auch dieſe Deutungen werthlos erſcheinen, abgeſehen davon, daß ſich Herr Broca in Paris in folgenden Worten ſehr energiſch gegen die Hy- potheſe des Jdiotismus ausgeſprochen hat: „Jdiotismus, ſagt er, der fähig iſt, einen Schädel dieſer Art hervorzubringen, iſt nothwendiger Weiſe mikrocephaliſch; nun iſt aber der Schä- del nicht mikrocephal, folglich iſt er nicht der eines Jdioten.“ Während der vielgereiſte Wallace in London in dem Neanderthalſchädel den eines Wilden erkennt (An- thropol. review, 1864), hat Dr. Pruner in Paris, bei Gelegenheit eines Berichtes über die ſpäter zu erwähnenden Differenzen zwiſchen Prof. Schaaffhauſen und Prof. Hux- ley, in den Bulletins de la societé d'Anthropologie de Paris 1863, ſeine Anſicht dahin ausgedrückt, daß der Neanderthal- ſchädel unzweifelhaft der eines Kelten ſei. Einen beſonders beachtenswerthen Beitrag zur Dis- cuſſion des vorliegenden Gegenſtandes hat, nach Prof. Hux- ley's Verſicherung, M. Turner geliefert. Derſelbe bezeichnet den Neanderthalſchädel als ein iſolirtes Specimen, als einen Schädel von ſo maſſiver Form in den äußeren Or- bitalproceſſen (Augenbraunhöckern) und anderen charakteriſti- ſchen Eigenthümlichkeiten, daß es nicht wohl möglich ſei, 5

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/fuhlrott_neanderthaler_1865
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/fuhlrott_neanderthaler_1865/69
Zitationshilfe: Fuhlrott, Carl: Der fossile Mensch aus dem Neanderthal und sein Verhältniß zum Alter des Menschengeschlechts. Duisburg, 1865, S. 65. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fuhlrott_neanderthaler_1865/69>, abgerufen am 19.05.2024.