Nur der Mann kann immer rechtschaffen han- deln, der das immer für nützlich erkennt, was recht ist. Das ist nun in vielen Fällen schon aus den nähern und sichtbaren Verbindungen, in welchen der Mensch steht, und aus den nächsten Folgen seiner Handlungen einleuchtend. Solche Tugenden werden also von dem Verständigen, auch ohne Religion, ausgeübt werden können. Aber in noch mehrern, und gewiß in den schwer- sten Fällen, erhellt die Nutzbarkeit der tugendhaf- ten Handlung erst, wenn sich der Mensch mit der ganzen Natur der Dinge, und also zugleich mit ihrem Urheber in Verbindung setzt; wenn er sich die ganze Zukunft, und also zugleich das Wesen denkt, in dessen Verstande allein diese Zukunft vor- handen ist, und durch dessen Willen sie bestimmt wird.
Der menschliche Geist muß Begierden, einen Endzweck, wornach er strebt, Triebfedern haben, die ihn in Bewegung setzen. Wenn man ihm nun die kleinen eingeschränkten Endzwecke des Eigen- nutzes und der Eitelkeit nehmen will, so müssen
Anmerkungen uͤber Gellerts Moral,
Nur der Mann kann immer rechtſchaffen han- deln, der das immer fuͤr nuͤtzlich erkennt, was recht iſt. Das iſt nun in vielen Faͤllen ſchon aus den naͤhern und ſichtbaren Verbindungen, in welchen der Menſch ſteht, und aus den naͤchſten Folgen ſeiner Handlungen einleuchtend. Solche Tugenden werden alſo von dem Verſtaͤndigen, auch ohne Religion, ausgeuͤbt werden koͤnnen. Aber in noch mehrern, und gewiß in den ſchwer- ſten Faͤllen, erhellt die Nutzbarkeit der tugendhaf- ten Handlung erſt, wenn ſich der Menſch mit der ganzen Natur der Dinge, und alſo zugleich mit ihrem Urheber in Verbindung ſetzt; wenn er ſich die ganze Zukunft, und alſo zugleich das Weſen denkt, in deſſen Verſtande allein dieſe Zukunft vor- handen iſt, und durch deſſen Willen ſie beſtimmt wird.
Der menſchliche Geiſt muß Begierden, einen Endzweck, wornach er ſtrebt, Triebfedern haben, die ihn in Bewegung ſetzen. Wenn man ihm nun die kleinen eingeſchraͤnkten Endzwecke des Eigen- nutzes und der Eitelkeit nehmen will, ſo muͤſſen
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Anmerkungen uͤber Gellerts Moral,
Nur der Mann kann immer rechtſchaffen han-
deln, der das immer fuͤr nuͤtzlich erkennt, was
recht iſt. Das iſt nun in vielen Faͤllen ſchon aus
den naͤhern und ſichtbaren Verbindungen, in
welchen der Menſch ſteht, und aus den naͤchſten
Folgen ſeiner Handlungen einleuchtend. Solche
Tugenden werden alſo von dem Verſtaͤndigen,
auch ohne Religion, ausgeuͤbt werden koͤnnen.
Aber in noch mehrern, und gewiß in den ſchwer-
ſten Faͤllen, erhellt die Nutzbarkeit der tugendhaf-
ten Handlung erſt, wenn ſich der Menſch mit der
ganzen Natur der Dinge, und alſo zugleich mit
ihrem Urheber in Verbindung ſetzt; wenn er ſich
die ganze Zukunft, und alſo zugleich das Weſen
denkt, in deſſen Verſtande allein dieſe Zukunft vor-
handen iſt, und durch deſſen Willen ſie beſtimmt
wird.
Der menſchliche Geiſt muß Begierden, einen
Endzweck, wornach er ſtrebt, Triebfedern haben,
die ihn in Bewegung ſetzen. Wenn man ihm nun
die kleinen eingeſchraͤnkten Endzwecke des Eigen-
nutzes und der Eitelkeit nehmen will, ſo muͤſſen
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Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779, S. 236. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/garve_sammlung_1779/242>, abgerufen am 21.11.2024.
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