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Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779.

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Einige Gedanken

Aber warum ist unter allen Arten der Zunei-
gung, die Liebe der Geschlechter vorgezogen wor-
den?

Deswegen, weil 1) diese Leidenschaft allge-
meiner ist; sie gründet sich auf einen Naturtrieb,
sie erinnert an eines der stärksten sinnlichen Ver-
gnügungen; die Sympathie kann also allgemein
seyn. Die väterliche, die freundschaftliche, die
Vaterlandsliebe hingegen, sind nur gewissen Per-
sonen eigen, sie sind mehr Tugenden, als wirk-
liche Leidenschaften; nur derjenige kann stark
daran Theil nehmen, der selbst fähig ist sie zu
fühlen. 2) Weil diese Leidenschaft am meisten
Verwickelungen und Abentheuer hervorbringt,
und also der beste Stoff zu einer Fabel ist. Da
sie sich mit dem Interesse der Familien durch-
kreuzt, so findet sie mehr Schwierigkeiten und
Widerstand zu überwinden; da sie ausschließend
ist, so hat sie mit Nebenbuhlern zu kämpfen; da
sie, durch die Unauflößlichkeit der Ehe, den le-
benslangen Zustand zwoer Menschen bestimmt,
so macht sie auf gewisse Weise die Entscheidung

Einige Gedanken

Aber warum iſt unter allen Arten der Zunei-
gung, die Liebe der Geſchlechter vorgezogen wor-
den?

Deswegen, weil 1) dieſe Leidenſchaft allge-
meiner iſt; ſie gruͤndet ſich auf einen Naturtrieb,
ſie erinnert an eines der ſtaͤrkſten ſinnlichen Ver-
gnuͤgungen; die Sympathie kann alſo allgemein
ſeyn. Die vaͤterliche, die freundſchaftliche, die
Vaterlandsliebe hingegen, ſind nur gewiſſen Per-
ſonen eigen, ſie ſind mehr Tugenden, als wirk-
liche Leidenſchaften; nur derjenige kann ſtark
daran Theil nehmen, der ſelbſt faͤhig iſt ſie zu
fuͤhlen. 2) Weil dieſe Leidenſchaft am meiſten
Verwickelungen und Abentheuer hervorbringt,
und alſo der beſte Stoff zu einer Fabel iſt. Da
ſie ſich mit dem Intereſſe der Familien durch-
kreuzt, ſo findet ſie mehr Schwierigkeiten und
Widerſtand zu uͤberwinden; da ſie ausſchließend
iſt, ſo hat ſie mit Nebenbuhlern zu kaͤmpfen; da
ſie, durch die Unaufloͤßlichkeit der Ehe, den le-
benslangen Zuſtand zwoer Menſchen beſtimmt,
ſo macht ſie auf gewiſſe Weiſe die Entſcheidung

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[334/0340] Einige Gedanken Aber warum iſt unter allen Arten der Zunei- gung, die Liebe der Geſchlechter vorgezogen wor- den? Deswegen, weil 1) dieſe Leidenſchaft allge- meiner iſt; ſie gruͤndet ſich auf einen Naturtrieb, ſie erinnert an eines der ſtaͤrkſten ſinnlichen Ver- gnuͤgungen; die Sympathie kann alſo allgemein ſeyn. Die vaͤterliche, die freundſchaftliche, die Vaterlandsliebe hingegen, ſind nur gewiſſen Per- ſonen eigen, ſie ſind mehr Tugenden, als wirk- liche Leidenſchaften; nur derjenige kann ſtark daran Theil nehmen, der ſelbſt faͤhig iſt ſie zu fuͤhlen. 2) Weil dieſe Leidenſchaft am meiſten Verwickelungen und Abentheuer hervorbringt, und alſo der beſte Stoff zu einer Fabel iſt. Da ſie ſich mit dem Intereſſe der Familien durch- kreuzt, ſo findet ſie mehr Schwierigkeiten und Widerſtand zu uͤberwinden; da ſie ausſchließend iſt, ſo hat ſie mit Nebenbuhlern zu kaͤmpfen; da ſie, durch die Unaufloͤßlichkeit der Ehe, den le- benslangen Zuſtand zwoer Menſchen beſtimmt, ſo macht ſie auf gewiſſe Weiſe die Entſcheidung

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Zitationshilfe: Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779, S. 334. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/garve_sammlung_1779/340>, abgerufen am 22.11.2024.