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Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779.

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ihres Schicksals aus; da sie endlich geschwinder
auf ihre Befriedigung dringt als jede andre Lei-
denschaft, so bringt sie in der kürzesten Zeit die
wichtigste Begebenheit des menschlichen Lebens
zu Stande, wodurch sie einer dramatischen Be-
handlung am meisten fähig wird. 3) Weil sie
die am meisten poetische Leidenschaft ist: sie be-
lebt die Einbildungskraft, weil sie zum Theil kör-
perlich ist, und den Lauf der Säfte beschleunigt;
sie ist in ihrer vollen Stärke zu der Zeit des Le-
bens, wo die Seele am meisten wach, und die
Nerven am gefühlvollsten sind; sie vermischt sich
mit vielen andern Empfindungen, weckt jede
schlafende Leidenschaft auf, und färbt jede Idee,
jede Handlung mit ihrer eignen Farbe. Die Lie-
be hat die Poesie hervorgebracht, und es ist nicht
bloße Nachahmung, sondern es ist Natur, daß
die Liebe und ihre Abentheuer öfter als jeder an-
dre Umstand des menschlichen Lebens von der
Dichtkunst sind besungen worden.

Aber warum haben die Alten so wenig Liebe
in ihren Stücken? Man irret sich. Liebe ist in

uͤber das Intereſſirende.
ihres Schickſals aus; da ſie endlich geſchwinder
auf ihre Befriedigung dringt als jede andre Lei-
denſchaft, ſo bringt ſie in der kuͤrzeſten Zeit die
wichtigſte Begebenheit des menſchlichen Lebens
zu Stande, wodurch ſie einer dramatiſchen Be-
handlung am meiſten faͤhig wird. 3) Weil ſie
die am meiſten poetiſche Leidenſchaft iſt: ſie be-
lebt die Einbildungskraft, weil ſie zum Theil koͤr-
perlich iſt, und den Lauf der Saͤfte beſchleunigt;
ſie iſt in ihrer vollen Staͤrke zu der Zeit des Le-
bens, wo die Seele am meiſten wach, und die
Nerven am gefuͤhlvollſten ſind; ſie vermiſcht ſich
mit vielen andern Empfindungen, weckt jede
ſchlafende Leidenſchaft auf, und faͤrbt jede Idee,
jede Handlung mit ihrer eignen Farbe. Die Lie-
be hat die Poeſie hervorgebracht, und es iſt nicht
bloße Nachahmung, ſondern es iſt Natur, daß
die Liebe und ihre Abentheuer oͤfter als jeder an-
dre Umſtand des menſchlichen Lebens von der
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Aber warum haben die Alten ſo wenig Liebe
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[335/0341] uͤber das Intereſſirende. ihres Schickſals aus; da ſie endlich geſchwinder auf ihre Befriedigung dringt als jede andre Lei- denſchaft, ſo bringt ſie in der kuͤrzeſten Zeit die wichtigſte Begebenheit des menſchlichen Lebens zu Stande, wodurch ſie einer dramatiſchen Be- handlung am meiſten faͤhig wird. 3) Weil ſie die am meiſten poetiſche Leidenſchaft iſt: ſie be- lebt die Einbildungskraft, weil ſie zum Theil koͤr- perlich iſt, und den Lauf der Saͤfte beſchleunigt; ſie iſt in ihrer vollen Staͤrke zu der Zeit des Le- bens, wo die Seele am meiſten wach, und die Nerven am gefuͤhlvollſten ſind; ſie vermiſcht ſich mit vielen andern Empfindungen, weckt jede ſchlafende Leidenſchaft auf, und faͤrbt jede Idee, jede Handlung mit ihrer eignen Farbe. Die Lie- be hat die Poeſie hervorgebracht, und es iſt nicht bloße Nachahmung, ſondern es iſt Natur, daß die Liebe und ihre Abentheuer oͤfter als jeder an- dre Umſtand des menſchlichen Lebens von der Dichtkunſt ſind beſungen worden. Aber warum haben die Alten ſo wenig Liebe in ihren Stuͤcken? Man irret ſich. Liebe iſt in

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Zitationshilfe: Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779, S. 335. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/garve_sammlung_1779/341>, abgerufen am 21.11.2024.