Stoff ihres Gemäldes: unsre Dichter hingegen schildern mehr den Roman vor der Ehe, die Zärtlichkeit des Liebhabers, oder die Eifersucht der Braut.
Und so bringen es die Sitten der Griechen und die unsrigen mit sich. Bey den Griechen gab es keinen solchen Roman. Ihre Töchter blieben in dem innersten Theile des Hauses, den Augen aller Mannspersonen, selbst ihres Lieb- habers verborgen, bis er ihnen als Gemahl zu- geführt wurde. Eher trat das weibliche Ge- schlecht nicht auf dem Theater der Welt auf, als bis es verheurathet war; und auch dann waren die Besten, die Tugendhaftesten, am wenigsten sichtbar.
Was also in der menschlichen Natur liegt, daß die Liebe eine allgemeine und poetische Leiden- schaft ist, daß sie am Elende und Glückseligkeit der Menschen und der Familien sehr vielen Theil hat: das hat Griechen und Franzosen und Deut- sche auf gleiche Weise dahin gebracht, die Liebe in ihre Stücke zu bringen, es sey als eine un-
Y
uͤber das Intereſſirende.
Stoff ihres Gemaͤldes: unſre Dichter hingegen ſchildern mehr den Roman vor der Ehe, die Zaͤrtlichkeit des Liebhabers, oder die Eiferſucht der Braut.
Und ſo bringen es die Sitten der Griechen und die unſrigen mit ſich. Bey den Griechen gab es keinen ſolchen Roman. Ihre Toͤchter blieben in dem innerſten Theile des Hauſes, den Augen aller Mannsperſonen, ſelbſt ihres Lieb- habers verborgen, bis er ihnen als Gemahl zu- gefuͤhrt wurde. Eher trat das weibliche Ge- ſchlecht nicht auf dem Theater der Welt auf, als bis es verheurathet war; und auch dann waren die Beſten, die Tugendhafteſten, am wenigſten ſichtbar.
Was alſo in der menſchlichen Natur liegt, daß die Liebe eine allgemeine und poetiſche Leiden- ſchaft iſt, daß ſie am Elende und Gluͤckſeligkeit der Menſchen und der Familien ſehr vielen Theil hat: das hat Griechen und Franzoſen und Deut- ſche auf gleiche Weiſe dahin gebracht, die Liebe in ihre Stuͤcke zu bringen, es ſey als eine un-
Y
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0343"n="337"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">uͤber das Intereſſirende.</hi></fw><lb/>
Stoff ihres Gemaͤldes: unſre Dichter hingegen<lb/>ſchildern mehr den Roman vor der Ehe, die<lb/>
Zaͤrtlichkeit des Liebhabers, oder die Eiferſucht<lb/>
der Braut.</p><lb/><p>Und ſo bringen es die Sitten der Griechen<lb/>
und die unſrigen mit ſich. Bey den Griechen<lb/>
gab es keinen ſolchen Roman. Ihre Toͤchter<lb/>
blieben in dem innerſten Theile des Hauſes, den<lb/>
Augen aller Mannsperſonen, ſelbſt ihres Lieb-<lb/>
habers verborgen, bis er ihnen als Gemahl zu-<lb/>
gefuͤhrt wurde. Eher trat das weibliche Ge-<lb/>ſchlecht nicht auf dem Theater der Welt auf, als<lb/>
bis es verheurathet war; und auch dann waren<lb/>
die Beſten, die Tugendhafteſten, am wenigſten<lb/>ſichtbar.</p><lb/><p>Was alſo in der menſchlichen Natur liegt,<lb/>
daß die Liebe eine allgemeine und poetiſche Leiden-<lb/>ſchaft iſt, daß ſie am Elende und Gluͤckſeligkeit<lb/>
der Menſchen und der Familien ſehr vielen Theil<lb/>
hat: das hat Griechen und Franzoſen und Deut-<lb/>ſche auf gleiche Weiſe dahin gebracht, die Liebe<lb/>
in ihre Stuͤcke zu bringen, es ſey als eine un-<lb/><fwplace="bottom"type="sig">Y</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[337/0343]
uͤber das Intereſſirende.
Stoff ihres Gemaͤldes: unſre Dichter hingegen
ſchildern mehr den Roman vor der Ehe, die
Zaͤrtlichkeit des Liebhabers, oder die Eiferſucht
der Braut.
Und ſo bringen es die Sitten der Griechen
und die unſrigen mit ſich. Bey den Griechen
gab es keinen ſolchen Roman. Ihre Toͤchter
blieben in dem innerſten Theile des Hauſes, den
Augen aller Mannsperſonen, ſelbſt ihres Lieb-
habers verborgen, bis er ihnen als Gemahl zu-
gefuͤhrt wurde. Eher trat das weibliche Ge-
ſchlecht nicht auf dem Theater der Welt auf, als
bis es verheurathet war; und auch dann waren
die Beſten, die Tugendhafteſten, am wenigſten
ſichtbar.
Was alſo in der menſchlichen Natur liegt,
daß die Liebe eine allgemeine und poetiſche Leiden-
ſchaft iſt, daß ſie am Elende und Gluͤckſeligkeit
der Menſchen und der Familien ſehr vielen Theil
hat: das hat Griechen und Franzoſen und Deut-
ſche auf gleiche Weiſe dahin gebracht, die Liebe
in ihre Stuͤcke zu bringen, es ſey als eine un-
Y
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779, S. 337. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/garve_sammlung_1779/343>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.