nicht jede Provinz den Dialekt der andern durch- aus und absolut lächerlich findet; wenn der Athe- nienser, seines feinen und verwöhnten Ohrs un- geachtet, doch die Delikatesse und den Wohl- klang des ionischen Herodots nicht verkennt: so kann davon die Dichtkunst und Beredsamkeit Vortheil ziehen. Uns aber, bey denen jene Be- dingungen nicht statt finden, würde ein Dich- ter, wie Homer, der die verschiedenen Dialekte unsers Landes vereinigen wollte, nicht anders als abentheuerlich und abgeschmackt scheinen.
Ueber den Mangel einer allgemeinen Haupt- stadt ist schon vielfältig geklagt worden. Halb ist diese Klage gerecht, und halb ist sie unge- recht. Auf die Künste hat freylich eine allge- meine Hauptstadt einen sehr großen Einfluß; denn nur durch die gegenseitige Mittheilung der Einsichten und Erfindungen, und durch den Ehrgeiz, den die Nebenbuhlschaft erregt, können die Menschen ihre Werke zur Vollkommenheit bringen; und bey den Künsten findet diese Mit- theilung anders nicht statt, als durch die Ge-
Ueber den Einfluß einiger
nicht jede Provinz den Dialekt der andern durch- aus und abſolut laͤcherlich findet; wenn der Athe- nienſer, ſeines feinen und verwoͤhnten Ohrs un- geachtet, doch die Delikateſſe und den Wohl- klang des ioniſchen Herodots nicht verkennt: ſo kann davon die Dichtkunſt und Beredſamkeit Vortheil ziehen. Uns aber, bey denen jene Be- dingungen nicht ſtatt finden, wuͤrde ein Dich- ter, wie Homer, der die verſchiedenen Dialekte unſers Landes vereinigen wollte, nicht anders als abentheuerlich und abgeſchmackt ſcheinen.
Ueber den Mangel einer allgemeinen Haupt- ſtadt iſt ſchon vielfaͤltig geklagt worden. Halb iſt dieſe Klage gerecht, und halb iſt ſie unge- recht. Auf die Kuͤnſte hat freylich eine allge- meine Hauptſtadt einen ſehr großen Einfluß; denn nur durch die gegenſeitige Mittheilung der Einſichten und Erfindungen, und durch den Ehrgeiz, den die Nebenbuhlſchaft erregt, koͤnnen die Menſchen ihre Werke zur Vollkommenheit bringen; und bey den Kuͤnſten findet dieſe Mit- theilung anders nicht ſtatt, als durch die Ge-
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Ueber den Einfluß einiger
nicht jede Provinz den Dialekt der andern durch-
aus und abſolut laͤcherlich findet; wenn der Athe-
nienſer, ſeines feinen und verwoͤhnten Ohrs un-
geachtet, doch die Delikateſſe und den Wohl-
klang des ioniſchen Herodots nicht verkennt: ſo
kann davon die Dichtkunſt und Beredſamkeit
Vortheil ziehen. Uns aber, bey denen jene Be-
dingungen nicht ſtatt finden, wuͤrde ein Dich-
ter, wie Homer, der die verſchiedenen Dialekte
unſers Landes vereinigen wollte, nicht anders als
abentheuerlich und abgeſchmackt ſcheinen.
Ueber den Mangel einer allgemeinen Haupt-
ſtadt iſt ſchon vielfaͤltig geklagt worden. Halb
iſt dieſe Klage gerecht, und halb iſt ſie unge-
recht. Auf die Kuͤnſte hat freylich eine allge-
meine Hauptſtadt einen ſehr großen Einfluß;
denn nur durch die gegenſeitige Mittheilung der
Einſichten und Erfindungen, und durch den
Ehrgeiz, den die Nebenbuhlſchaft erregt, koͤnnen
die Menſchen ihre Werke zur Vollkommenheit
bringen; und bey den Kuͤnſten findet dieſe Mit-
theilung anders nicht ſtatt, als durch die Ge-
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Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779, S. 466. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/garve_sammlung_1779/472>, abgerufen am 23.11.2024.
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