Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 1. Leipzig, 1798.Eine andere aus den Gesetzen der Statik hergeleitete Erklärung hat Johann Bernoulli (Act. erud. Lipsiens. mens. Jan. 1701.) vorgetragen. Wenn zwo ungleiche Kräfte den Punkt C (Taf. IV. Fig. 72.) nach den Richtungen CS und CK so sollicitiren, daß daraus eine mittlere Richtung nach CH entsteht, so verhalten sich diese Kräfte, wie die Linien CO und CK, d. i. wie die Sinus der Winkel KCH und SCR. Dies ist aus der Lehre von Zusammensetzung der Kräfte leicht erweislich, oder es ist vielmehr der Hauptsatz dieser Lehre selbst. Allein die Anwendung hievon auf die Brechung, und die Vergleichung der Wege der Stralen SC und CK mit den Richtungen von Kräften ist allzudunkel, als daß sie Ueberzeugung gewähren könnte. Die Härte dieses Uebergangs aus der Statik in die Optik scheint Bernoulli selbst gefühlt zu haben; er setzt gleichsam zur Entschuldigung hinzu: Videtur enim natura, (si quis instinctus ei tribuendus) hoc ipso statico principio delectari, atque hanc viam ex mechanicis mutuari voluisse, ut per eam tanquam per facillimam ad scopum suum perveniret. Inzwischen ist diese Uebereinstimmung des Gesetzes der Brechung mit dem Gesetze des Gleichgewichts der Kräfte immer merkwürdig. Wenn man sich nemlich unter der Linie AB eine Stange, und an derselben einen Ring denkt, an welchem zwo ungleiche Kräfte ziehen, so wird sich der Ring nicht eher in Ruhe stellen, als bis er in C kömmt, wo sich die Sinus der Winkel SCR und HCK umgekehrt, wie die Kräfte, verhalten. Die Wege der Stralen bey der Brechung kommen alsdann mit den Richtungen der Kräfte, und die Dichtigkeiten der Mittel, nach Bernoulli, mit den Größen der Kräfte überein; allein diese Aehnlichkeit macht noch nicht deutlich, wie man aus dem einen Naturgesetze eine physikalische Demonstration des andern führen könne. Den scharfsinnigsten mechanischen Beweis des Gesetzes der Brechung giebt Huygens (Traite de la lumiere, Leide. 1690. 4. c. 3.). Es hängt aber derselbe ganz von seiner Hypothese ab, daß das Licht aus wellenförmig fortgepflanzten Schwingungen oder Wirbeln eines elastischen Eine andere aus den Geſetzen der Statik hergeleitete Erklaͤrung hat Johann Bernoulli (Act. erud. Lipſienſ. menſ. Jan. 1701.) vorgetragen. Wenn zwo ungleiche Kraͤfte den Punkt C (Taf. IV. Fig. 72.) nach den Richtungen CS und CK ſo ſollicitiren, daß daraus eine mittlere Richtung nach CH entſteht, ſo verhalten ſich dieſe Kraͤfte, wie die Linien CO und CK, d. i. wie die Sinus der Winkel KCH und SCR. Dies iſt aus der Lehre von Zuſammenſetzung der Kraͤfte leicht erweislich, oder es iſt vielmehr der Hauptſatz dieſer Lehre ſelbſt. Allein die Anwendung hievon auf die Brechung, und die Vergleichung der Wege der Stralen SC und CK mit den Richtungen von Kraͤften iſt allzudunkel, als daß ſie Ueberzeugung gewaͤhren koͤnnte. Die Haͤrte dieſes Uebergangs aus der Statik in die Optik ſcheint Bernoulli ſelbſt gefuͤhlt zu haben; er ſetzt gleichſam zur Entſchuldigung hinzu: Videtur enim natura, (ſi quis inſtinctus ei tribuendus) hoc ipſo ſtatico principio delectari, atque hanc viam ex mechanicis mutuari voluiſſe, ut per eam tanquam per facillimam ad ſcopum ſuum perveniret. Inzwiſchen iſt dieſe Uebereinſtimmung des Geſetzes der Brechung mit dem Geſetze des Gleichgewichts der Kraͤfte immer merkwuͤrdig. Wenn man ſich nemlich unter der Linie AB eine Stange, und an derſelben einen Ring denkt, an welchem zwo ungleiche Kraͤfte ziehen, ſo wird ſich der Ring nicht eher in Ruhe ſtellen, als bis er in C koͤmmt, wo ſich die Sinus der Winkel SCR und HCK umgekehrt, wie die Kraͤfte, verhalten. Die Wege der Stralen bey der Brechung kommen alsdann mit den Richtungen der Kraͤfte, und die Dichtigkeiten der Mittel, nach Bernoulli, mit den Groͤßen der Kraͤfte uͤberein; allein dieſe Aehnlichkeit macht noch nicht deutlich, wie man aus dem einen Naturgeſetze eine phyſikaliſche Demonſtration des andern fuͤhren koͤnne. Den ſcharfſinnigſten mechaniſchen Beweis des Geſetzes der Brechung giebt Huygens (Traité de la lumiere, Leide. 1690. 4. c. 3.). 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Eine andere aus den Geſetzen der Statik hergeleitete Erklaͤrung hat Johann Bernoulli (Act. erud. Lipſienſ. menſ. Jan. 1701.) vorgetragen. Wenn zwo ungleiche Kraͤfte den Punkt C (Taf. IV. Fig. 72.) nach den Richtungen CS und CK ſo ſollicitiren, daß daraus eine mittlere Richtung nach CH entſteht, ſo verhalten ſich dieſe Kraͤfte, wie die Linien CO und CK, d. i. wie die Sinus der Winkel KCH und SCR. Dies iſt aus der Lehre von Zuſammenſetzung der Kraͤfte leicht erweislich, oder es iſt vielmehr der Hauptſatz dieſer Lehre ſelbſt. Allein die Anwendung hievon auf die Brechung, und die Vergleichung der Wege der Stralen SC und CK mit den Richtungen von Kraͤften iſt allzudunkel, als daß ſie Ueberzeugung gewaͤhren koͤnnte. Die Haͤrte dieſes Uebergangs aus der Statik in die Optik ſcheint Bernoulli ſelbſt gefuͤhlt zu haben; er ſetzt gleichſam zur Entſchuldigung hinzu: Videtur enim natura, (ſi quis inſtinctus ei tribuendus) hoc ipſo ſtatico principio delectari, atque hanc viam ex mechanicis mutuari voluiſſe, ut per eam tanquam per facillimam ad ſcopum ſuum perveniret. Inzwiſchen iſt dieſe Uebereinſtimmung des Geſetzes der Brechung mit dem Geſetze des Gleichgewichts der Kraͤfte immer merkwuͤrdig. Wenn man ſich nemlich unter der Linie AB eine Stange, und an derſelben einen Ring denkt, an welchem zwo ungleiche Kraͤfte ziehen, ſo wird ſich der Ring nicht eher in Ruhe ſtellen, als bis er in C koͤmmt, wo ſich die Sinus der Winkel SCR und HCK umgekehrt, wie die Kraͤfte, verhalten. Die Wege der Stralen bey der Brechung kommen alsdann mit den Richtungen der Kraͤfte, und die Dichtigkeiten der Mittel, nach Bernoulli, mit den Groͤßen der Kraͤfte uͤberein; allein dieſe Aehnlichkeit macht noch nicht deutlich, wie man aus dem einen Naturgeſetze eine phyſikaliſche Demonſtration des andern fuͤhren koͤnne.
Den ſcharfſinnigſten mechaniſchen Beweis des Geſetzes der Brechung giebt Huygens (Traité de la lumiere, Leide. 1690. 4. c. 3.). Es haͤngt aber derſelbe ganz von ſeiner Hypotheſe ab, daß das Licht aus wellenfoͤrmig fortgepflanzten Schwingungen oder Wirbeln eines elaſtiſchen
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