fühlbar, daß der Punkt S nach der Richtung OS, der Punkt T nach der Richtung OT vom Auge abliege; sie belehren ihn aber nicht darüber, wie weit jeder dieser Punkte vom Auge entfernt sey: denn der Lichtstral, der jetzt aus T kömmt, würde das Auge eben so rühren, und eben so auf dasselbe wirken, wenn er aus t käme; wir erhalten also aus der optischen Darstellung, oder aus dem bloßen Anblicke, keine Belehrung darüber, ob der Gegenstand in T oder t liege. Alles, was uns der Anblick unmittelbar zeigt, besteht blos darinn, daß die Richtung OS eine andere sey, als OT, und da der Unterschied beyder Richtungen den Winkel SOT ausmacht, so ist dieser Winkel das einzige, wovon uns der bloße Anblick der Gegenstände S und T, in Absicht auf ihre Lage gegen einander, Nachricht geben kan, wenn wir alle aus andern Umständen gezognen Urtheile der Seele über diesen Anblick bey Seite setzen.
So heißt in der Sternkunde scheinbarer Abstand zweener Gestirne oder Punkte des Himmels der Winkel, welchen die nach beyden gezognen Linien am Auge mit einander machen: oder der zwischen beyden Punkten enthaltene Bogen eines größten Kreises der Himmelskugel, welcher das Maaß des genannten Winkels ist. Diese Bogen oder Winkel werden durch die astronomischen Werkzeuge, wie Winkel in der Geometrie, gemessen.
Wir üben uns aber von Jugend auf, durch Vergleichung des Gesichts mit dem Gefühl, und durch andere Mittel, aus dem, was uns das Auge darstellt, Urtheile über die wahren und eigentlichen Lagen der Gegenstände zu fällen. Durch diese Uebung erlangen wir eine Fertigkeit in dergleichen Urtheilen, welche in den gewöhnlichen Fällen, und bey Gegenständen, die sich nahe um uns her befinden, fast immer richtig genug sind. Diese Urtheile fällen wir nun, so oft wir Dinge sehen, ohne uns ihrer mit Deutlichkeit bewußt zu seyn, und sie verweben sich so innig mit dem Sehen selbst, daß wir die reine optische Darstellung nicht mehr von dem über sie gefällten Urtheile unterscheiden, und das zu sehen glauben, was wir in der That doch blos aus dem Gesehenen schließen. Weil nun in
fuͤhlbar, daß der Punkt S nach der Richtung OS, der Punkt T nach der Richtung OT vom Auge abliege; ſie belehren ihn aber nicht daruͤber, wie weit jeder dieſer Punkte vom Auge entfernt ſey: denn der Lichtſtral, der jetzt aus T koͤmmt, wuͤrde das Auge eben ſo ruͤhren, und eben ſo auf daſſelbe wirken, wenn er aus t kaͤme; wir erhalten alſo aus der optiſchen Darſtellung, oder aus dem bloßen Anblicke, keine Belehrung daruͤber, ob der Gegenſtand in T oder t liege. Alles, was uns der Anblick unmittelbar zeigt, beſteht blos darinn, daß die Richtung OS eine andere ſey, als OT, und da der Unterſchied beyder Richtungen den Winkel SOT ausmacht, ſo iſt dieſer Winkel das einzige, wovon uns der bloße Anblick der Gegenſtaͤnde S und T, in Abſicht auf ihre Lage gegen einander, Nachricht geben kan, wenn wir alle aus andern Umſtaͤnden gezognen Urtheile der Seele uͤber dieſen Anblick bey Seite ſetzen.
So heißt in der Sternkunde ſcheinbarer Abſtand zweener Geſtirne oder Punkte des Himmels der Winkel, welchen die nach beyden gezognen Linien am Auge mit einander machen: oder der zwiſchen beyden Punkten enthaltene Bogen eines groͤßten Kreiſes der Himmelskugel, welcher das Maaß des genannten Winkels iſt. Dieſe Bogen oder Winkel werden durch die aſtronomiſchen Werkzeuge, wie Winkel in der Geometrie, gemeſſen.
Wir uͤben uns aber von Jugend auf, durch Vergleichung des Geſichts mit dem Gefuͤhl, und durch andere Mittel, aus dem, was uns das Auge darſtellt, Urtheile uͤber die wahren und eigentlichen Lagen der Gegenſtaͤnde zu faͤllen. Durch dieſe Uebung erlangen wir eine Fertigkeit in dergleichen Urtheilen, welche in den gewoͤhnlichen Faͤllen, und bey Gegenſtaͤnden, die ſich nahe um uns her befinden, faſt immer richtig genug ſind. Dieſe Urtheile faͤllen wir nun, ſo oft wir Dinge ſehen, ohne uns ihrer mit Deutlichkeit bewußt zu ſeyn, und ſie verweben ſich ſo innig mit dem Sehen ſelbſt, daß wir die reine optiſche Darſtellung nicht mehr von dem uͤber ſie gefaͤllten Urtheile unterſcheiden, und das zu ſehen glauben, was wir in der That doch blos aus dem Geſehenen ſchließen. Weil nun in
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0853"xml:id="P.1.839"n="839"/><lb/>
fuͤhlbar, daß der Punkt <hirendition="#aq">S</hi> nach der Richtung <hirendition="#aq">OS,</hi> der Punkt <hirendition="#aq">T</hi> nach der Richtung <hirendition="#aq">OT</hi> vom Auge abliege; ſie belehren ihn aber nicht daruͤber, wie weit jeder dieſer Punkte vom Auge entfernt ſey: denn der Lichtſtral, der jetzt aus <hirendition="#aq">T</hi> koͤmmt, wuͤrde das Auge eben ſo ruͤhren, und eben ſo auf daſſelbe wirken, wenn er aus <hirendition="#aq">t</hi> kaͤme; wir erhalten alſo aus der optiſchen Darſtellung, oder aus dem bloßen Anblicke, keine Belehrung daruͤber, ob der Gegenſtand in <hirendition="#aq">T</hi> oder <hirendition="#aq">t</hi> liege. Alles, was uns der Anblick unmittelbar zeigt, beſteht blos darinn, daß die Richtung <hirendition="#aq">OS</hi> eine andere ſey, als <hirendition="#aq">OT,</hi> und da der Unterſchied beyder Richtungen den Winkel <hirendition="#aq">SOT</hi> ausmacht, ſo iſt dieſer Winkel das einzige, wovon uns der bloße Anblick der Gegenſtaͤnde <hirendition="#aq">S</hi> und <hirendition="#aq">T,</hi> in Abſicht auf ihre Lage gegen einander, Nachricht geben kan, wenn wir alle aus andern Umſtaͤnden gezognen Urtheile der Seele uͤber dieſen Anblick bey Seite ſetzen.</p><p>So heißt in der Sternkunde ſcheinbarer Abſtand zweener Geſtirne oder Punkte des Himmels der Winkel, welchen die nach beyden gezognen Linien am Auge mit einander machen: oder der zwiſchen beyden Punkten enthaltene Bogen eines groͤßten Kreiſes der Himmelskugel, welcher das Maaß des genannten Winkels iſt. Dieſe Bogen oder Winkel werden durch die aſtronomiſchen Werkzeuge, wie Winkel in der Geometrie, gemeſſen.</p><p>Wir uͤben uns aber von Jugend auf, durch Vergleichung des Geſichts mit dem Gefuͤhl, und durch andere Mittel, aus dem, was uns das Auge darſtellt, Urtheile uͤber die wahren und eigentlichen Lagen der Gegenſtaͤnde zu faͤllen. Durch dieſe Uebung erlangen wir eine Fertigkeit in dergleichen Urtheilen, welche in den gewoͤhnlichen Faͤllen, und bey Gegenſtaͤnden, die ſich nahe um uns her befinden, faſt immer richtig genug ſind. Dieſe Urtheile faͤllen wir nun, ſo oft wir Dinge ſehen, ohne uns ihrer mit Deutlichkeit bewußt zu ſeyn, und ſie verweben ſich ſo innig mit dem Sehen ſelbſt, daß wir die reine optiſche Darſtellung nicht mehr von dem uͤber ſie gefaͤllten Urtheile unterſcheiden, und das zu <hirendition="#b">ſehen</hi> glauben, was wir in der That doch blos aus dem Geſehenen <hirendition="#b">ſchließen.</hi> Weil nun in<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[839/0853]
fuͤhlbar, daß der Punkt S nach der Richtung OS, der Punkt T nach der Richtung OT vom Auge abliege; ſie belehren ihn aber nicht daruͤber, wie weit jeder dieſer Punkte vom Auge entfernt ſey: denn der Lichtſtral, der jetzt aus T koͤmmt, wuͤrde das Auge eben ſo ruͤhren, und eben ſo auf daſſelbe wirken, wenn er aus t kaͤme; wir erhalten alſo aus der optiſchen Darſtellung, oder aus dem bloßen Anblicke, keine Belehrung daruͤber, ob der Gegenſtand in T oder t liege. Alles, was uns der Anblick unmittelbar zeigt, beſteht blos darinn, daß die Richtung OS eine andere ſey, als OT, und da der Unterſchied beyder Richtungen den Winkel SOT ausmacht, ſo iſt dieſer Winkel das einzige, wovon uns der bloße Anblick der Gegenſtaͤnde S und T, in Abſicht auf ihre Lage gegen einander, Nachricht geben kan, wenn wir alle aus andern Umſtaͤnden gezognen Urtheile der Seele uͤber dieſen Anblick bey Seite ſetzen.
So heißt in der Sternkunde ſcheinbarer Abſtand zweener Geſtirne oder Punkte des Himmels der Winkel, welchen die nach beyden gezognen Linien am Auge mit einander machen: oder der zwiſchen beyden Punkten enthaltene Bogen eines groͤßten Kreiſes der Himmelskugel, welcher das Maaß des genannten Winkels iſt. Dieſe Bogen oder Winkel werden durch die aſtronomiſchen Werkzeuge, wie Winkel in der Geometrie, gemeſſen.
Wir uͤben uns aber von Jugend auf, durch Vergleichung des Geſichts mit dem Gefuͤhl, und durch andere Mittel, aus dem, was uns das Auge darſtellt, Urtheile uͤber die wahren und eigentlichen Lagen der Gegenſtaͤnde zu faͤllen. Durch dieſe Uebung erlangen wir eine Fertigkeit in dergleichen Urtheilen, welche in den gewoͤhnlichen Faͤllen, und bey Gegenſtaͤnden, die ſich nahe um uns her befinden, faſt immer richtig genug ſind. Dieſe Urtheile faͤllen wir nun, ſo oft wir Dinge ſehen, ohne uns ihrer mit Deutlichkeit bewußt zu ſeyn, und ſie verweben ſich ſo innig mit dem Sehen ſelbſt, daß wir die reine optiſche Darſtellung nicht mehr von dem uͤber ſie gefaͤllten Urtheile unterſcheiden, und das zu ſehen glauben, was wir in der That doch blos aus dem Geſehenen ſchließen. Weil nun in
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Bibliothek des Max-Planck-Instituts für Wissenschaftsgeschichte : Bereitstellung der Texttranskription.
(2015-09-02T12:13:09Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2015-09-02T12:13:09Z)
Weitere Informationen:
Bogensignaturen: keine Angabe;
Druckfehler: keine Angabe;
fremdsprachliches Material: keine Angabe;
Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe;
Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): keine Angabe;
i/j in Fraktur: wie Vorlage;
I/J in Fraktur: wie Vorlage;
Kolumnentitel: keine Angabe;
Kustoden: keine Angabe;
langes s (ſ): wie Vorlage;
Normalisierungen: keine Angabe;
rundes r (ꝛ): keine Angabe;
Seitenumbrüche markiert: ja;
Silbentrennung: aufgelöst;
u/v bzw. U/V: wie Vorlage;
Vokale mit übergest. e: wie Vorlage;
Vollständigkeit: keine Angabe;
Zeichensetzung: keine Angabe;
Zeilenumbrüche markiert: nein;
Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 1. Leipzig, 1798, S. 839. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gehler_woerterbuch01_1798/853>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.