Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 2. Leipzig, 1798.K Kälte, Frigus, Froid. Kälte nennen wir einen geringen Grad der freyen oder fühlbaren Wärme, oder auch die Empfindung, welche in uns entsteht, wenn wir Körper berühren, die weniger solche Wärme enthalten, als unser eigner Körper, und die daher den letztern etwas von seiner Wärme entziehen, s. Wärme. Es ergiebt sich hieraus, daß der Begrif von Kälte blos relativ sey, und daß wir einen Körper nur in Vergleichung mit andern wärmern kalt nennen. So ist das Eis in unsern Ländern kalt in Vergleichung mit dem noch flüßigen Wasser oder mit der Temperatur des menschlichen Körpers: hingegen ist es warm in Vergleichung mit dem Eise der Polarländer. So scheint uns oft die Luft nach schwülen Sommertagen durch ein Gewitter sehr abgekühlt, ob sie gleich noch eine Temperatur hat, die wir sehr warm finden würden, wenn wir sie mitten im Winter fühlten. Da wir die Ursache der Wärme in einer eignen Materie suchen, s. Feuer, so ist es sehr natürlich, die Kälte für eine Wirkung des Mangels und der Entziehung dieser Materie oder der vorher wirksamen fühlbaren Wärme zu erklären. Hieraus lassen sich auch alle Erscheinungen begreiflich machen, ohne daß man nöthig hat, mit der Schule des Gassendi die Kälte für etwas Positives anzunehmen, und von einer eignen kaltmachenden Materie herzuleiten, von deren Daseyn wir keine Erfahrung haben, und die man, wenn sie zu Erklärung des Gefrierens unentbehrlich wäre, eben sowohl auch zu Erklärung des Erhärtens geschmolzner Metalle nöthig haben müßte. Die gänzliche Beraubung aller Wärme würde Körper in einen Zustand versetzen, den man die absolute Kälte nennen könnte. In der Natur ist ein solcher Zustand nicht anzutreffen, weil die immer vorhandene freye Wärme sich durch alle Körper mit einer gewissen Gleichförmigkeit zu verbreiten strebt, s. Wärme. Die Wirkungen der Kälte sind den Wirkungen der Wärme entgegengesetzt. So, wie diese die Körper ausdehnt, K Kaͤlte, Frigus, Froid. Kaͤlte nennen wir einen geringen Grad der freyen oder fuͤhlbaren Waͤrme, oder auch die Empfindung, welche in uns entſteht, wenn wir Koͤrper beruͤhren, die weniger ſolche Waͤrme enthalten, als unſer eigner Koͤrper, und die daher den letztern etwas von ſeiner Waͤrme entziehen, ſ. Waͤrme. Es ergiebt ſich hieraus, daß der Begrif von Kaͤlte blos relativ ſey, und daß wir einen Koͤrper nur in Vergleichung mit andern waͤrmern kalt nennen. So iſt das Eis in unſern Laͤndern kalt in Vergleichung mit dem noch fluͤßigen Waſſer oder mit der Temperatur des menſchlichen Koͤrpers: hingegen iſt es warm in Vergleichung mit dem Eiſe der Polarlaͤnder. So ſcheint uns oft die Luft nach ſchwuͤlen Sommertagen durch ein Gewitter ſehr abgekuͤhlt, ob ſie gleich noch eine Temperatur hat, die wir ſehr warm finden wuͤrden, wenn wir ſie mitten im Winter fuͤhlten. Da wir die Urſache der Waͤrme in einer eignen Materie ſuchen, ſ. Feuer, ſo iſt es ſehr natuͤrlich, die Kaͤlte fuͤr eine Wirkung des Mangels und der Entziehung dieſer Materie oder der vorher wirkſamen fuͤhlbaren Waͤrme zu erklaͤren. Hieraus laſſen ſich auch alle Erſcheinungen begreiflich machen, ohne daß man noͤthig hat, mit der Schule des Gaſſendi die Kaͤlte fuͤr etwas Poſitives anzunehmen, und von einer eignen kaltmachenden Materie herzuleiten, von deren Daſeyn wir keine Erfahrung haben, und die man, wenn ſie zu Erklaͤrung des Gefrierens unentbehrlich waͤre, eben ſowohl auch zu Erklaͤrung des Erhaͤrtens geſchmolzner Metalle noͤthig haben muͤßte. Die gaͤnzliche Beraubung aller Waͤrme wuͤrde Koͤrper in einen Zuſtand verſetzen, den man die abſolute Kaͤlte nennen koͤnnte. In der Natur iſt ein ſolcher Zuſtand nicht anzutreffen, weil die immer vorhandene freye Waͤrme ſich durch alle Koͤrper mit einer gewiſſen Gleichfoͤrmigkeit zu verbreiten ſtrebt, ſ. Waͤrme. Die Wirkungen der Kaͤlte ſind den Wirkungen der Waͤrme entgegengeſetzt. 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K
Kaͤlte, Frigus, Froid.
Kaͤlte nennen wir einen geringen Grad der freyen oder fuͤhlbaren Waͤrme, oder auch die Empfindung, welche in uns entſteht, wenn wir Koͤrper beruͤhren, die weniger ſolche Waͤrme enthalten, als unſer eigner Koͤrper, und die daher den letztern etwas von ſeiner Waͤrme entziehen, ſ. Waͤrme. Es ergiebt ſich hieraus, daß der Begrif von Kaͤlte blos relativ ſey, und daß wir einen Koͤrper nur in Vergleichung mit andern waͤrmern kalt nennen. So iſt das Eis in unſern Laͤndern kalt in Vergleichung mit dem noch fluͤßigen Waſſer oder mit der Temperatur des menſchlichen Koͤrpers: hingegen iſt es warm in Vergleichung mit dem Eiſe der Polarlaͤnder. So ſcheint uns oft die Luft nach ſchwuͤlen Sommertagen durch ein Gewitter ſehr abgekuͤhlt, ob ſie gleich noch eine Temperatur hat, die wir ſehr warm finden wuͤrden, wenn wir ſie mitten im Winter fuͤhlten.
Da wir die Urſache der Waͤrme in einer eignen Materie ſuchen, ſ. Feuer, ſo iſt es ſehr natuͤrlich, die Kaͤlte fuͤr eine Wirkung des Mangels und der Entziehung dieſer Materie oder der vorher wirkſamen fuͤhlbaren Waͤrme zu erklaͤren. Hieraus laſſen ſich auch alle Erſcheinungen begreiflich machen, ohne daß man noͤthig hat, mit der Schule des Gaſſendi die Kaͤlte fuͤr etwas Poſitives anzunehmen, und von einer eignen kaltmachenden Materie herzuleiten, von deren Daſeyn wir keine Erfahrung haben, und die man, wenn ſie zu Erklaͤrung des Gefrierens unentbehrlich waͤre, eben ſowohl auch zu Erklaͤrung des Erhaͤrtens geſchmolzner Metalle noͤthig haben muͤßte.
Die gaͤnzliche Beraubung aller Waͤrme wuͤrde Koͤrper in einen Zuſtand verſetzen, den man die abſolute Kaͤlte nennen koͤnnte. In der Natur iſt ein ſolcher Zuſtand nicht anzutreffen, weil die immer vorhandene freye Waͤrme ſich durch alle Koͤrper mit einer gewiſſen Gleichfoͤrmigkeit zu verbreiten ſtrebt, ſ. Waͤrme.
Die Wirkungen der Kaͤlte ſind den Wirkungen der Waͤrme entgegengeſetzt. So, wie dieſe die Koͤrper ausdehnt,
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