Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 3. Leipzig, 1798.
Dennoch ist das System noch nicht die Naturgeschichte selbst. Das natürliche System (Systema naturale), als das voilkommenste, würde dasjenige seyn, in welchem alle die Körper neben einander stünden, die in den meisten Eigenschasten übereinstimmen. In einem. solchen würde man von dem Platze, den ein Körper darinn behauptet, auf seine Eigenschaften und Verhältnisse schließen können. Von einem solchen System aber haben wir höchstens nur einzelne Fragmente. Wir müssen uns mit künstlichen Systemen behelfen, in welchen man die wesentlichste Haupteigenschaft mehrerer Körper als das Kennzeichen der Classe annimmt, und die Ordnungen, Gattungen, u. s. w., so lange es möglich ist, nach wesentlichen Kennzeichen, wenn aber dies nicht mehr angeht, blos nach der äussern Gestalt des Ganzen oder einzelner Theile abtheilt. Selten aber läßt sich von dieser Gestalt auf die Eigenschaften schließen, bis man auf die Arten herabkömmt, bey welchen sich dann Gleichheit der Gestalt mit Gleichheit der Eigenschaften in allen Indididuen verbindet. Viele halten daher blos die Arten allein für das Werk der Natur, alle übrige Abtheilungen für künstlich, und mithin ein natürliches System für unmöglich. Buffon und Robinet verwerfen alle künstliche Systeme als unbrauchbar, ohne zu bedenken, daß man doch erst die Au<*>enseite eines Körpers kennen, und seinen Namen nach derselben bestimmen muß, ehe man anfängt, die innere Organisation oder Mischung zu untersuchen, von der seine Eigenschaften abhängen. Es ist etwas anders, einen Körper unterscheiden und benennen, etwas anders, seine Eigenschaften beurtheilen. Zu dem ersten helfen doch wenigstens die künstlichen Svsteme, die auch gewiß von Linne u. a. in keiner als in dieser Absicht, entworfen worden sind. Zur Unterscheidung der natürlichen Körper dienen die äußern Kennzeichen, z. B. Gestalt. Anzahl, Lage, Verhältniß der Theile, Farbe, Schwere, Beschaffenheit der Oberfläche
Dennoch iſt das Syſtem noch nicht die Naturgeſchichte ſelbſt. Das natuͤrliche Syſtem (Syſtema naturale), als das voilkommenſte, wuͤrde dasjenige ſeyn, in welchem alle die Koͤrper neben einander ſtuͤnden, die in den meiſten Eigenſchaſten uͤbereinſtimmen. In einem. ſolchen wuͤrde man von dem Platze, den ein Koͤrper darinn behauptet, auf ſeine Eigenſchaften und Verhaͤltniſſe ſchließen koͤnnen. Von einem ſolchen Syſtem aber haben wir hoͤchſtens nur einzelne Fragmente. Wir muͤſſen uns mit kuͤnſtlichen Syſtemen behelfen, in welchen man die weſentlichſte Haupteigenſchaft mehrerer Koͤrper als das Kennzeichen der Claſſe annimmt, und die Ordnungen, Gattungen, u. ſ. w., ſo lange es moͤglich iſt, nach weſentlichen Kennzeichen, wenn aber dies nicht mehr angeht, blos nach der aͤuſſern Geſtalt des Ganzen oder einzelner Theile abtheilt. Selten aber laͤßt ſich von dieſer Geſtalt auf die Eigenſchaften ſchließen, bis man auf die Arten herabkoͤmmt, bey welchen ſich dann Gleichheit der Geſtalt mit Gleichheit der Eigenſchaften in allen Indididuen verbindet. Viele halten daher blos die Arten allein fuͤr das Werk der Natur, alle uͤbrige Abtheilungen fuͤr kuͤnſtlich, und mithin ein natuͤrliches Syſtem fuͤr unmoͤglich. Buffon und Robinet verwerfen alle kuͤnſtliche Syſteme als unbrauchbar, ohne zu bedenken, daß man doch erſt die Au<*>enſeite eines Koͤrpers kennen, und ſeinen Namen nach derſelben beſtimmen muß, ehe man anfaͤngt, die innere Organiſation oder Miſchung zu unterſuchen, von der ſeine Eigenſchaften abhaͤngen. Es iſt etwas anders, einen Koͤrper unterſcheiden und benennen, etwas anders, ſeine Eigenſchaften beurtheilen. Zu dem erſten helfen doch wenigſtens die kuͤnſtlichen Svſteme, die auch gewiß von Linné u. a. in keiner als in dieſer Abſicht, entworfen worden ſind. Zur Unterſcheidung der natuͤrlichen Koͤrper dienen die aͤußern Kennzeichen, z. B. Geſtalt. Anzahl, Lage, Verhaͤltniß der Theile, Farbe, Schwere, Beſchaffenheit der Oberflaͤche <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0322" xml:id="P.3.316" n="316"/><lb/> Faͤchern heißt ein Syſtem. Sie koͤmmt dem Gedaͤchtniße vortreflich zu Huͤlfe, und iſt bey der zahlloſen Menge der natuͤrlichen Koͤrper ein unentbehrliches Huͤlfsmittel, um viele derſelben gleichſam mit einem Blicke zu uͤberſchauen.</p> <p>Dennoch iſt das Syſtem noch nicht die Naturgeſchichte ſelbſt. <hi rendition="#b">Das natuͤrliche Syſtem</hi> <hi rendition="#aq">(Syſtema naturale),</hi> als das voilkommenſte, wuͤrde dasjenige ſeyn, in welchem alle die Koͤrper neben einander ſtuͤnden, die in den meiſten Eigenſchaſten uͤbereinſtimmen. In einem. ſolchen wuͤrde man von dem Platze, den ein Koͤrper darinn behauptet, auf ſeine Eigenſchaften und Verhaͤltniſſe ſchließen koͤnnen. Von einem ſolchen Syſtem aber haben wir hoͤchſtens nur einzelne Fragmente. Wir muͤſſen uns mit <hi rendition="#b">kuͤnſtlichen Syſtemen</hi> behelfen, in welchen man die weſentlichſte Haupteigenſchaft mehrerer Koͤrper als das Kennzeichen der Claſſe annimmt, und die Ordnungen, Gattungen, u. ſ. w., ſo lange es moͤglich iſt, nach weſentlichen Kennzeichen, wenn aber dies nicht mehr angeht, blos nach der aͤuſſern Geſtalt des Ganzen oder einzelner Theile abtheilt. Selten aber laͤßt ſich von dieſer Geſtalt auf die Eigenſchaften ſchließen, bis man auf die <hi rendition="#b">Arten</hi> herabkoͤmmt, bey welchen ſich dann Gleichheit der Geſtalt mit Gleichheit der Eigenſchaften in allen Indididuen verbindet. Viele halten daher blos die Arten allein fuͤr das Werk der Natur, alle uͤbrige Abtheilungen fuͤr kuͤnſtlich, und mithin ein natuͤrliches Syſtem fuͤr unmoͤglich.</p> <p><hi rendition="#b">Buffon</hi> und <hi rendition="#b">Robinet</hi> verwerfen alle kuͤnſtliche Syſteme als unbrauchbar, ohne zu bedenken, daß man doch erſt die Au<*>enſeite eines Koͤrpers kennen, und ſeinen Namen nach derſelben beſtimmen muß, ehe man anfaͤngt, die innere Organiſation oder Miſchung zu unterſuchen, von der ſeine Eigenſchaften abhaͤngen. Es iſt etwas anders, einen Koͤrper unterſcheiden und benennen, etwas anders, ſeine Eigenſchaften beurtheilen. Zu dem erſten helfen doch wenigſtens die kuͤnſtlichen Svſteme, die auch gewiß von <hi rendition="#b">Linné</hi> u. a. in keiner als in dieſer Abſicht, entworfen worden ſind.</p> <p>Zur Unterſcheidung der natuͤrlichen Koͤrper dienen die <hi rendition="#b">aͤußern Kennzeichen,</hi> z. B. Geſtalt. Anzahl, Lage, Verhaͤltniß der Theile, Farbe, Schwere, Beſchaffenheit der Oberflaͤche<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [316/0322]
Faͤchern heißt ein Syſtem. Sie koͤmmt dem Gedaͤchtniße vortreflich zu Huͤlfe, und iſt bey der zahlloſen Menge der natuͤrlichen Koͤrper ein unentbehrliches Huͤlfsmittel, um viele derſelben gleichſam mit einem Blicke zu uͤberſchauen.
Dennoch iſt das Syſtem noch nicht die Naturgeſchichte ſelbſt. Das natuͤrliche Syſtem (Syſtema naturale), als das voilkommenſte, wuͤrde dasjenige ſeyn, in welchem alle die Koͤrper neben einander ſtuͤnden, die in den meiſten Eigenſchaſten uͤbereinſtimmen. In einem. ſolchen wuͤrde man von dem Platze, den ein Koͤrper darinn behauptet, auf ſeine Eigenſchaften und Verhaͤltniſſe ſchließen koͤnnen. Von einem ſolchen Syſtem aber haben wir hoͤchſtens nur einzelne Fragmente. Wir muͤſſen uns mit kuͤnſtlichen Syſtemen behelfen, in welchen man die weſentlichſte Haupteigenſchaft mehrerer Koͤrper als das Kennzeichen der Claſſe annimmt, und die Ordnungen, Gattungen, u. ſ. w., ſo lange es moͤglich iſt, nach weſentlichen Kennzeichen, wenn aber dies nicht mehr angeht, blos nach der aͤuſſern Geſtalt des Ganzen oder einzelner Theile abtheilt. Selten aber laͤßt ſich von dieſer Geſtalt auf die Eigenſchaften ſchließen, bis man auf die Arten herabkoͤmmt, bey welchen ſich dann Gleichheit der Geſtalt mit Gleichheit der Eigenſchaften in allen Indididuen verbindet. Viele halten daher blos die Arten allein fuͤr das Werk der Natur, alle uͤbrige Abtheilungen fuͤr kuͤnſtlich, und mithin ein natuͤrliches Syſtem fuͤr unmoͤglich.
Buffon und Robinet verwerfen alle kuͤnſtliche Syſteme als unbrauchbar, ohne zu bedenken, daß man doch erſt die Au<*>enſeite eines Koͤrpers kennen, und ſeinen Namen nach derſelben beſtimmen muß, ehe man anfaͤngt, die innere Organiſation oder Miſchung zu unterſuchen, von der ſeine Eigenſchaften abhaͤngen. Es iſt etwas anders, einen Koͤrper unterſcheiden und benennen, etwas anders, ſeine Eigenſchaften beurtheilen. Zu dem erſten helfen doch wenigſtens die kuͤnſtlichen Svſteme, die auch gewiß von Linné u. a. in keiner als in dieſer Abſicht, entworfen worden ſind.
Zur Unterſcheidung der natuͤrlichen Koͤrper dienen die aͤußern Kennzeichen, z. B. Geſtalt. Anzahl, Lage, Verhaͤltniß der Theile, Farbe, Schwere, Beſchaffenheit der Oberflaͤche
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