Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 3. Leipzig, 1798.
Man kan diesen Versuch im Kleinen mit einer Terrelle wirklich anstellen; nur muß man nicht erwarten, eben dieselben Neigungen, wie auf der Erdkugel, zu finden. Da die Stärke der Anziehungen von dem Abstande der Enden der Nadel von den Polen A und B abhängt, so kömmt es hiebey auf die Länge der Nadel an, die auf der Erdkugel gegen den Erddurchmesser unbeträchtlich ist, beym Versuche aber allemal ein beträchtliches Verhältniß gegen AB haben muß. Inzwischen zeigt doch dies alles hinlänglich, daß der Magnetismus der Erde die wahre Ursache der Neigung sey. Wäre die Lage der magnetischen Pole der Erde, nebst der Stärke und dem Gesetze ihrer Anziehung bekannt, so würde sich daraus die Neigung der Nadel, für jeden gegebnen Ort, durch eine mathematische Theorie bestimmen lassen. Tobias Mayer hat etwas ähnliches in der noch ungedruckten Abhandlung versucht, die ich bey dem Worte Abweichung der Magnetnadel (Th. I. S. 29.) anführe. Nach dieser Theorie leitet er aus seinen Voraussetzungen Größen der Neigung für verschiedene Orte der Erde her, welche von den wirklich beobachteten nicht sehr unterschieden sind. So findet er z. B. die Neigung für Paris 71° 19' nördlich, für das Cap der guten Hofnung 42° 47' südlich; da man sie am ersten Orte 73° nördl., am letztern 41° 44' südl. gefunden hat -- eine Uebereinstimmung, die bey den unvollkommnen Beobachtungen, welche Mayer vor sich hatte, immer bewundernswürdig bleibt. Aber Mayers Hypothese, daß in der Erde ein unendlich kleiner Magnet verborgen sey, ist von ihm gewiß nicht als ein physikalischer Satz, sondern nur zur Erleichterung der Rechnung angenommen. Seine Meinung war nur, daß sich die Sache so betrachten lasse, nicht, daß sie wirklich so sey. Weit wahrscheinlicher ist die ganze Erdkugel ein Magnet mit zween Polen, deren muthmaßliche Lage aus der Oberfläche
Man kan dieſen Verſuch im Kleinen mit einer Terrelle wirklich anſtellen; nur muß man nicht erwarten, eben dieſelben Neigungen, wie auf der Erdkugel, zu finden. Da die Staͤrke der Anziehungen von dem Abſtande der Enden der Nadel von den Polen A und B abhaͤngt, ſo koͤmmt es hiebey auf die Laͤnge der Nadel an, die auf der Erdkugel gegen den Erddurchmeſſer unbetraͤchtlich iſt, beym Verſuche aber allemal ein betraͤchtliches Verhaͤltniß gegen AB haben muß. Inzwiſchen zeigt doch dies alles hinlaͤnglich, daß der Magnetismus der Erde die wahre Urſache der Neigung ſey. Waͤre die Lage der magnetiſchen Pole der Erde, nebſt der Staͤrke und dem Geſetze ihrer Anziehung bekannt, ſo wuͤrde ſich daraus die Neigung der Nadel, fuͤr jeden gegebnen Ort, durch eine mathematiſche Theorie beſtimmen laſſen. Tobias Mayer hat etwas aͤhnliches in der noch ungedruckten Abhandlung verſucht, die ich bey dem Worte Abweichung der Magnetnadel (Th. I. S. 29.) anfuͤhre. Nach dieſer Theorie leitet er aus ſeinen Vorausſetzungen Groͤßen der Neigung fuͤr verſchiedene Orte der Erde her, welche von den wirklich beobachteten nicht ſehr unterſchieden ſind. So findet er z. B. die Neigung fuͤr Paris 71° 19′ noͤrdlich, fuͤr das Cap der guten Hofnung 42° 47′ ſuͤdlich; da man ſie am erſten Orte 73° noͤrdl., am letztern 41° 44′ ſuͤdl. gefunden hat — eine Uebereinſtimmung, die bey den unvollkommnen Beobachtungen, welche Mayer vor ſich hatte, immer bewundernswuͤrdig bleibt. Aber Mayers Hypotheſe, daß in der Erde ein unendlich kleiner Magnet verborgen ſey, iſt von ihm gewiß nicht als ein phyſikaliſcher Satz, ſondern nur zur Erleichterung der Rechnung angenommen. Seine Meinung war nur, daß ſich die Sache ſo betrachten laſſe, nicht, daß ſie wirklich ſo ſey. Weit wahrſcheinlicher iſt die ganze Erdkugel ein Magnet mit zween Polen, deren muthmaßliche Lage auſ der Oberflaͤche <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0358" xml:id="P.3.352" n="352"/><lb/> naͤchſten Pols <hi rendition="#aq">A</hi> zuruͤck; daher die Nabel nothwendig ihre wagrechte Stellung verlieren, und ſich mit dem gegen <hi rendition="#aq">A</hi> freundſchaftlichen Ende <hi rendition="#aq">b</hi> tiefer gegen den Horizont neigen muß.</p> <p>Man kan dieſen Verſuch im Kleinen mit einer <hi rendition="#b">Terrelle</hi> wirklich anſtellen; nur muß man nicht erwarten, eben dieſelben Neigungen, wie auf der Erdkugel, zu finden. Da die Staͤrke der Anziehungen von dem Abſtande der Enden der Nadel von den Polen <hi rendition="#aq">A</hi> und <hi rendition="#aq">B</hi> abhaͤngt, ſo koͤmmt es hiebey auf die Laͤnge der Nadel an, die auf der Erdkugel gegen den Erddurchmeſſer unbetraͤchtlich iſt, beym Verſuche aber allemal ein betraͤchtliches Verhaͤltniß gegen <hi rendition="#aq">AB</hi> haben muß. Inzwiſchen zeigt doch dies alles hinlaͤnglich, daß der Magnetismus der Erde die wahre Urſache der Neigung ſey.</p> <p>Waͤre die Lage der magnetiſchen Pole der Erde, nebſt der Staͤrke und dem Geſetze ihrer Anziehung bekannt, ſo wuͤrde ſich daraus die Neigung der Nadel, fuͤr jeden gegebnen Ort, durch eine mathematiſche Theorie beſtimmen laſſen. <hi rendition="#b">Tobias Mayer</hi> hat etwas aͤhnliches in der noch ungedruckten Abhandlung verſucht, die ich bey dem Worte <hi rendition="#b">Abweichung der Magnetnadel</hi> (Th. <hi rendition="#aq">I.</hi> S. 29.) anfuͤhre. Nach dieſer Theorie leitet er aus ſeinen Vorausſetzungen Groͤßen der Neigung fuͤr verſchiedene Orte der Erde her, welche von den wirklich beobachteten nicht ſehr unterſchieden ſind. So findet er z. B. die Neigung fuͤr Paris 71° 19′ noͤrdlich, fuͤr das Cap der guten Hofnung 42° 47′ ſuͤdlich; da man ſie am erſten Orte 73° noͤrdl., am letztern 41° 44′ ſuͤdl. gefunden hat — eine Uebereinſtimmung, die bey den unvollkommnen Beobachtungen, welche Mayer vor ſich hatte, immer bewundernswuͤrdig bleibt. Aber Mayers Hypotheſe, daß in der Erde ein unendlich kleiner Magnet verborgen ſey, iſt von ihm gewiß nicht als ein phyſikaliſcher Satz, ſondern nur zur Erleichterung der Rechnung angenommen. Seine Meinung war nur, daß ſich die Sache ſo betrachten laſſe, nicht, daß ſie wirklich ſo ſey.</p> <p>Weit wahrſcheinlicher iſt die ganze Erdkugel ein Magnet mit zween Polen, deren muthmaßliche Lage auſ der Oberflaͤche<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [352/0358]
naͤchſten Pols A zuruͤck; daher die Nabel nothwendig ihre wagrechte Stellung verlieren, und ſich mit dem gegen A freundſchaftlichen Ende b tiefer gegen den Horizont neigen muß.
Man kan dieſen Verſuch im Kleinen mit einer Terrelle wirklich anſtellen; nur muß man nicht erwarten, eben dieſelben Neigungen, wie auf der Erdkugel, zu finden. Da die Staͤrke der Anziehungen von dem Abſtande der Enden der Nadel von den Polen A und B abhaͤngt, ſo koͤmmt es hiebey auf die Laͤnge der Nadel an, die auf der Erdkugel gegen den Erddurchmeſſer unbetraͤchtlich iſt, beym Verſuche aber allemal ein betraͤchtliches Verhaͤltniß gegen AB haben muß. Inzwiſchen zeigt doch dies alles hinlaͤnglich, daß der Magnetismus der Erde die wahre Urſache der Neigung ſey.
Waͤre die Lage der magnetiſchen Pole der Erde, nebſt der Staͤrke und dem Geſetze ihrer Anziehung bekannt, ſo wuͤrde ſich daraus die Neigung der Nadel, fuͤr jeden gegebnen Ort, durch eine mathematiſche Theorie beſtimmen laſſen. Tobias Mayer hat etwas aͤhnliches in der noch ungedruckten Abhandlung verſucht, die ich bey dem Worte Abweichung der Magnetnadel (Th. I. S. 29.) anfuͤhre. Nach dieſer Theorie leitet er aus ſeinen Vorausſetzungen Groͤßen der Neigung fuͤr verſchiedene Orte der Erde her, welche von den wirklich beobachteten nicht ſehr unterſchieden ſind. So findet er z. B. die Neigung fuͤr Paris 71° 19′ noͤrdlich, fuͤr das Cap der guten Hofnung 42° 47′ ſuͤdlich; da man ſie am erſten Orte 73° noͤrdl., am letztern 41° 44′ ſuͤdl. gefunden hat — eine Uebereinſtimmung, die bey den unvollkommnen Beobachtungen, welche Mayer vor ſich hatte, immer bewundernswuͤrdig bleibt. Aber Mayers Hypotheſe, daß in der Erde ein unendlich kleiner Magnet verborgen ſey, iſt von ihm gewiß nicht als ein phyſikaliſcher Satz, ſondern nur zur Erleichterung der Rechnung angenommen. Seine Meinung war nur, daß ſich die Sache ſo betrachten laſſe, nicht, daß ſie wirklich ſo ſey.
Weit wahrſcheinlicher iſt die ganze Erdkugel ein Magnet mit zween Polen, deren muthmaßliche Lage auſ der Oberflaͤche
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Bibliothek des Max-Planck-Instituts für Wissenschaftsgeschichte : Bereitstellung der Texttranskription.
(2015-09-02T12:13:09Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2015-09-02T12:13:09Z)
Weitere Informationen:Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: keine Angabe; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): keine Angabe; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: keine Angabe; Zeichensetzung: keine Angabe; Zeilenumbrüche markiert: nein;
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |