Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 3. Leipzig, 1798.
So sehen wir die Gestirne an der scheinbaren blauen Wölbung des Himmels, ohne einen Abstand derselben von dieser Wölbung wahrzunehmen. Ihre Stellen sind nur optische Orte, werden aber auf den ersten Anschein für wahre Orte gehalten, und sind daher auch scheinbare Orte. Geht das Auge aus A in B über, ohne daß man sich dieser Bewegung bewußt ist, oder deutlich darauf merkt, so scheint C durch ab zurückzugehen, oder auch die Fläche DE sich um das Stück ba vorwärts zu schieben, je nachdem man beym Urtheile über das Gesehene geneigter ist, den Körper C, oder die Fläche DE für beweglich zu halten. Die vielen hieraus entstehenden Täuschungen habe ich schon bey dem Worte: Gesichtsbetrüge (Th. II. S. 471.) erwähnt. Ort, scheinbarer, Locus apparens, Lieu apparent. Der Ort, an welchem man, dem über das Gesehene gefällten Urtheile gemäß, einen Gegenstand oder ein Bild desselben zu sehen glaubt, heißt der scheinbare Ort des Gegenstandes oder des Bildes. Die Begriffe vom optischen Orte und scheinbaren Orte sind verschieden. Bey jenem kömmt es auf reine optische Darstellung, bey diesem zugleich auf ein Urtheil an: jener bezieht sich allezeit auf eine Fläche, als Hintergrund, dieser ist auch ohne dergleichen Beziehung gedenkbar. Der optische Ort ist nicht allezeit scheinbarer Ort, sondern nur dann, wenn man die Entfernung des Gegenstandes oder Bildes vom Hintergrunde nicht wahrnimmt, s. Ort, optischer. Der scheinbare Ort eines Punkts hängt ab von der Richtung, nach welcher die Lichtstralen von ihm ins Auge kommen, und von seiner scheinbaren Entfernung vom Auge. Wenn ich mir eine gerade Linie aus dem Auge nach der erwähnten Richtung denke, und die scheinbare Entfernung auf dieselbe trage, so wird der Punkt, wo ich den Gegenstand
So ſehen wir die Geſtirne an der ſcheinbaren blauen Woͤlbung des Himmels, ohne einen Abſtand derſelben von dieſer Woͤlbung wahrzunehmen. Ihre Stellen ſind nur optiſche Orte, werden aber auf den erſten Anſchein fuͤr wahre Orte gehalten, und ſind daher auch ſcheinbare Orte. Geht das Auge aus A in B uͤber, ohne daß man ſich dieſer Bewegung bewußt iſt, oder deutlich darauf merkt, ſo ſcheint C durch ab zuruͤckzugehen, oder auch die Flaͤche DE ſich um das Stuͤck ba vorwaͤrts zu ſchieben, je nachdem man beym Urtheile uͤber das Geſehene geneigter iſt, den Koͤrper C, oder die Flaͤche DE fuͤr beweglich zu halten. Die vielen hieraus entſtehenden Taͤuſchungen habe ich ſchon bey dem Worte: Geſichtsbetruͤge (Th. II. S. 471.) erwaͤhnt. Ort, ſcheinbarer, Locus apparens, Lieu apparent. Der Ort, an welchem man, dem uͤber das Geſehene gefaͤllten Urtheile gemaͤß, einen Gegenſtand oder ein Bild deſſelben zu ſehen glaubt, heißt der ſcheinbare Ort des Gegenſtandes oder des Bildes. Die Begriffe vom optiſchen Orte und ſcheinbaren Orte ſind verſchieden. Bey jenem koͤmmt es auf reine optiſche Darſtellung, bey dieſem zugleich auf ein Urtheil an: jener bezieht ſich allezeit auf eine Flaͤche, als Hintergrund, dieſer iſt auch ohne dergleichen Beziehung gedenkbar. Der optiſche Ort iſt nicht allezeit ſcheinbarer Ort, ſondern nur dann, wenn man die Entfernung des Gegenſtandes oder Bildes vom Hintergrunde nicht wahrnimmt, ſ. Ort, optiſcher. Der ſcheinbare Ort eines Punkts haͤngt ab von der Richtung, nach welcher die Lichtſtralen von ihm ins Auge kommen, und von ſeiner ſcheinbaren Entfernung vom Auge. Wenn ich mir eine gerade Linie aus dem Auge nach der erwaͤhnten Richtung denke, und die ſcheinbare Entfernung auf dieſelbe trage, ſo wird der Punkt, wo ich den Gegenſtand <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0396" xml:id="P.3.390" n="390"/><lb/> den optiſchen Ort fuͤr den wahren, durch einen Geſichtsbetrug. In dieſem Falle wird der optiſche Ort zugleich ein ſcheinbarer Ort.</p> <p>So ſehen wir die Geſtirne an der ſcheinbaren blauen Woͤlbung des Himmels, ohne einen Abſtand derſelben von dieſer Woͤlbung wahrzunehmen. Ihre Stellen ſind nur optiſche Orte, werden aber auf den erſten Anſchein fuͤr wahre Orte gehalten, und ſind daher auch ſcheinbare Orte.</p> <p>Geht das Auge aus <hi rendition="#aq">A</hi> in <hi rendition="#aq">B</hi> uͤber, ohne daß man ſich dieſer Bewegung bewußt iſt, oder deutlich darauf merkt, ſo ſcheint <hi rendition="#aq">C</hi> durch <hi rendition="#aq">ab</hi> zuruͤckzugehen, oder auch die Flaͤche <hi rendition="#aq">DE</hi> ſich um das Stuͤck <hi rendition="#aq">ba</hi> vorwaͤrts zu ſchieben, je nachdem man beym Urtheile uͤber das Geſehene geneigter iſt, den Koͤrper <hi rendition="#aq">C,</hi> oder die Flaͤche <hi rendition="#aq">DE</hi> fuͤr beweglich zu halten. Die vielen hieraus entſtehenden Taͤuſchungen habe ich ſchon bey dem Worte: <hi rendition="#b">Geſichtsbetruͤge</hi> (Th. <hi rendition="#aq">II.</hi> S. 471.) erwaͤhnt.</p> </div> <div n="3"> <head>Ort, ſcheinbarer, <name type="subjectIndexTerm"><foreign xml:lang="lat"><hi rendition="#aq">Locus apparens</hi></foreign></name>, <name type="subjectIndexTerm"><foreign xml:lang="fra"><hi rendition="#aq #i">Lieu apparent</hi></foreign></name>.</head><lb/> <p>Der Ort, an welchem man, dem uͤber das Geſehene gefaͤllten Urtheile gemaͤß, einen Gegenſtand oder ein Bild deſſelben zu ſehen glaubt, heißt der <hi rendition="#b">ſcheinbare Ort</hi> des Gegenſtandes oder des Bildes.</p> <p>Die Begriffe vom optiſchen Orte und ſcheinbaren Orte ſind verſchieden. Bey jenem koͤmmt es auf reine optiſche Darſtellung, bey dieſem zugleich auf ein Urtheil an: jener bezieht ſich allezeit auf eine Flaͤche, als Hintergrund, dieſer iſt auch ohne dergleichen Beziehung gedenkbar. Der optiſche Ort iſt nicht allezeit ſcheinbarer Ort, ſondern nur dann, wenn man die Entfernung des Gegenſtandes oder Bildes vom Hintergrunde nicht wahrnimmt, ſ. <hi rendition="#b">Ort, optiſcher.</hi></p> <p>Der <hi rendition="#b">ſcheinbare Ort</hi> eines Punkts haͤngt ab von der Richtung, nach welcher die Lichtſtralen von ihm ins Auge kommen, und von ſeiner ſcheinbaren Entfernung vom Auge. Wenn ich mir eine gerade Linie aus dem Auge nach der erwaͤhnten Richtung denke, und die ſcheinbare Entfernung auf dieſelbe trage, ſo wird der Punkt, wo ich den Gegenſtand<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [390/0396]
den optiſchen Ort fuͤr den wahren, durch einen Geſichtsbetrug. In dieſem Falle wird der optiſche Ort zugleich ein ſcheinbarer Ort.
So ſehen wir die Geſtirne an der ſcheinbaren blauen Woͤlbung des Himmels, ohne einen Abſtand derſelben von dieſer Woͤlbung wahrzunehmen. Ihre Stellen ſind nur optiſche Orte, werden aber auf den erſten Anſchein fuͤr wahre Orte gehalten, und ſind daher auch ſcheinbare Orte.
Geht das Auge aus A in B uͤber, ohne daß man ſich dieſer Bewegung bewußt iſt, oder deutlich darauf merkt, ſo ſcheint C durch ab zuruͤckzugehen, oder auch die Flaͤche DE ſich um das Stuͤck ba vorwaͤrts zu ſchieben, je nachdem man beym Urtheile uͤber das Geſehene geneigter iſt, den Koͤrper C, oder die Flaͤche DE fuͤr beweglich zu halten. Die vielen hieraus entſtehenden Taͤuſchungen habe ich ſchon bey dem Worte: Geſichtsbetruͤge (Th. II. S. 471.) erwaͤhnt.
Ort, ſcheinbarer, Locus apparens, Lieu apparent.
Der Ort, an welchem man, dem uͤber das Geſehene gefaͤllten Urtheile gemaͤß, einen Gegenſtand oder ein Bild deſſelben zu ſehen glaubt, heißt der ſcheinbare Ort des Gegenſtandes oder des Bildes.
Die Begriffe vom optiſchen Orte und ſcheinbaren Orte ſind verſchieden. Bey jenem koͤmmt es auf reine optiſche Darſtellung, bey dieſem zugleich auf ein Urtheil an: jener bezieht ſich allezeit auf eine Flaͤche, als Hintergrund, dieſer iſt auch ohne dergleichen Beziehung gedenkbar. Der optiſche Ort iſt nicht allezeit ſcheinbarer Ort, ſondern nur dann, wenn man die Entfernung des Gegenſtandes oder Bildes vom Hintergrunde nicht wahrnimmt, ſ. Ort, optiſcher.
Der ſcheinbare Ort eines Punkts haͤngt ab von der Richtung, nach welcher die Lichtſtralen von ihm ins Auge kommen, und von ſeiner ſcheinbaren Entfernung vom Auge. Wenn ich mir eine gerade Linie aus dem Auge nach der erwaͤhnten Richtung denke, und die ſcheinbare Entfernung auf dieſelbe trage, ſo wird der Punkt, wo ich den Gegenſtand
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