an Karsten, er kenne nur eine einzige menschliche Wissenschaft, nemlich die Physik, die er für nichts anders, als für eine geordnete Sammlung aller Kenntnisse halte, welche Menschen bisher durch ihre Sinne und durch vernünftiges Nachdenken über die materielle Welt hätten entdecken können. In dieser sehr weitläuftigen Bedeutung aber wird der Umfang der Wissenschaft so groß, daß zum vollständigen Unterrichte in derselben kaum die Lebenszeit eines Menschen hinreichen dürfte. Es ist daher nöthig und gewöhnlich, ven dieser großen Sammlung menschlicher Kenntnisse einige ansehnliche Fächer, als besondere Wissenschaften, zu trennen, und nur dem, was alsdann übrig bleibt, den Namen der eigentlichen Physik oder Naturlehre zu lassen.
Daß bey solchen Classificationen der Wissenschaften viel Willkührliches statt finde, fällt in die Augen; auch muß man dabey auf die Bedürfnisse des Lehrvortrags, besonders des akademischen, Rücksicht nehmen. Hier verfährt nun immer ein Lehrer anders, als der andere, und vielleicht ist noch kein solches Verfahren von allem Tadel frey geblieben. Am ordentlichsten möchte es scheinen, alle unsere Kenntnisse von den Körpern in hlstorische, philosophische und mathematische zu theilen, und daraus drey Hauptabschnitte der ganzen Naturwissenschaft unter dem Namen der Naturgeschichte, der Physik und der angewandten Mathematik zu bilden. Die Naturgeschichte würde sich alsdann mit der bloßen Aufzählung, Benennung und Beschreibung der allgemeinen Stoffe sowohl, als der besondern Körper, ingleichen ihrer Eigenschaften, Erscheinungen und Wirkungen, die angewandte Mathematik mit Betrachtung der dabey vorkommenden Größen beschäftigen. So würde für die eigentliche Physik die Entwickelung dessen, was die besondern Erscheinungen gemein haben, oder die Entdeckung der Naturgesetze, die Erklärung der Erscheinungen und Begebenheiten aus diesen Gesetzen, und die Erforschung der Ursachen und Triebsedern übrig bleiben. Aber bey der jetzigen Beschaffenheit der Kenntnisse und des Unterrichts dürfte aus dieser Classification noch zur Zeit
an Karſten, er kenne nur eine einzige menſchliche Wiſſenſchaft, nemlich die Phyſik, die er fuͤr nichts anders, als fuͤr eine geordnete Sammlung aller Kenntniſſe halte, welche Menſchen bisher durch ihre Sinne und durch vernuͤnftiges Nachdenken uͤber die materielle Welt haͤtten entdecken koͤnnen. In dieſer ſehr weitlaͤuftigen Bedeutung aber wird der Umfang der Wiſſenſchaft ſo groß, daß zum vollſtaͤndigen Unterrichte in derſelben kaum die Lebenszeit eines Menſchen hinreichen duͤrfte. Es iſt daher noͤthig und gewoͤhnlich, ven dieſer großen Sammlung menſchlicher Kenntniſſe einige anſehnliche Faͤcher, als beſondere Wiſſenſchaften, zu trennen, und nur dem, was alsdann uͤbrig bleibt, den Namen der eigentlichen Phyſik oder Naturlehre zu laſſen.
Daß bey ſolchen Claſſificationen der Wiſſenſchaften viel Willkuͤhrliches ſtatt finde, faͤllt in die Augen; auch muß man dabey auf die Beduͤrfniſſe des Lehrvortrags, beſonders des akademiſchen, Ruͤckſicht nehmen. Hier verfaͤhrt nun immer ein Lehrer anders, als der andere, und vielleicht iſt noch kein ſolches Verfahren von allem Tadel frey geblieben. Am ordentlichſten moͤchte es ſcheinen, alle unſere Kenntniſſe von den Koͤrpern in hlſtoriſche, philoſophiſche und mathematiſche zu theilen, und daraus drey Hauptabſchnitte der ganzen Naturwiſſenſchaft unter dem Namen der Naturgeſchichte, der Phyſik und der angewandten Mathematik zu bilden. Die Naturgeſchichte wuͤrde ſich alsdann mit der bloßen Aufzaͤhlung, Benennung und Beſchreibung der allgemeinen Stoffe ſowohl, als der beſondern Koͤrper, ingleichen ihrer Eigenſchaften, Erſcheinungen und Wirkungen, die angewandte Mathematik mit Betrachtung der dabey vorkommenden Groͤßen beſchaͤftigen. So wuͤrde fuͤr die eigentliche Phyſik die Entwickelung deſſen, was die beſondern Erſcheinungen gemein haben, oder die Entdeckung der Naturgeſetze, die Erklaͤrung der Erſcheinungen und Begebenheiten aus dieſen Geſetzen, und die Erforſchung der Urſachen und Triebſedern uͤbrig bleiben. Aber bey der jetzigen Beſchaffenheit der Kenntniſſe und des Unterrichts duͤrfte aus dieſer Claſſification noch zur Zeit
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an Karſten, er kenne nur eine einzige menſchliche Wiſſenſchaft, nemlich die Phyſik, die er fuͤr nichts anders, als fuͤr eine geordnete Sammlung aller Kenntniſſe halte, welche Menſchen bisher durch ihre Sinne und durch vernuͤnftiges Nachdenken uͤber die materielle Welt haͤtten entdecken koͤnnen. In dieſer ſehr weitlaͤuftigen Bedeutung aber wird der Umfang der Wiſſenſchaft ſo groß, daß zum vollſtaͤndigen Unterrichte in derſelben kaum die Lebenszeit eines Menſchen hinreichen duͤrfte. Es iſt daher noͤthig und gewoͤhnlich, ven dieſer großen Sammlung menſchlicher Kenntniſſe einige anſehnliche Faͤcher, als beſondere Wiſſenſchaften, zu trennen, und nur dem, was alsdann uͤbrig bleibt, den Namen der eigentlichen Phyſik oder Naturlehre zu laſſen.
Daß bey ſolchen Claſſificationen der Wiſſenſchaften viel Willkuͤhrliches ſtatt finde, faͤllt in die Augen; auch muß man dabey auf die Beduͤrfniſſe des Lehrvortrags, beſonders des akademiſchen, Ruͤckſicht nehmen. Hier verfaͤhrt nun immer ein Lehrer anders, als der andere, und vielleicht iſt noch kein ſolches Verfahren von allem Tadel frey geblieben. Am ordentlichſten moͤchte es ſcheinen, alle unſere Kenntniſſe von den Koͤrpern in hlſtoriſche, philoſophiſche und mathematiſche zu theilen, und daraus drey Hauptabſchnitte der ganzen Naturwiſſenſchaft unter dem Namen der Naturgeſchichte, der Phyſik und der angewandten Mathematik zu bilden. Die Naturgeſchichte wuͤrde ſich alsdann mit der bloßen Aufzaͤhlung, Benennung und Beſchreibung der allgemeinen Stoffe ſowohl, als der beſondern Koͤrper, ingleichen ihrer Eigenſchaften, Erſcheinungen und Wirkungen, die angewandte Mathematik mit Betrachtung der dabey vorkommenden Groͤßen beſchaͤftigen. So wuͤrde fuͤr die eigentliche Phyſik die Entwickelung deſſen, was die beſondern Erſcheinungen gemein haben, oder die Entdeckung der Naturgeſetze, die Erklaͤrung der Erſcheinungen und Begebenheiten aus dieſen Geſetzen, und die Erforſchung der Urſachen und Triebſedern uͤbrig bleiben. Aber bey der jetzigen Beſchaffenheit der Kenntniſſe und des Unterrichts duͤrfte aus dieſer Claſſification noch zur Zeit
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Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 3. Leipzig, 1798, S. 489. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gehler_woerterbuch03_1798/495>, abgerufen am 24.11.2024.
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