Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 3. Leipzig, 1798.

Bild:
<< vorherige Seite


Maupertuis schließt seine Erzählung der cartesianischen Systeme mit diesen Worten: "Man muß gestehen, "daß sich bis hieher die Wirbel mit den Phänomenen noch "nicht auf eine befriedigende Art haben vereinigen lassen. "Dies berechtigt jedoch nicht, sie für unmöglich zu halten. "Nichts ist schöner, als Descartes Gedanke, alles in "der Physik durch Materie und Bewegung zu erklären: "aber wenn dieser Gedanke schön bleiben soll, so muß "man sich nicht erlauben, Materien und Bewegungen blos "darum anzunehmen, weil man ihrer nöthig hat."

Den lebhaftesten Gegensatz mit diesen mechanischen Erklärungen machte die Behauptung der Newtonianer, daß die Schwere, als eine wesentliche Eigenschaft der Materie, gar keine weitere Ursache habe, s. Gravitation, Attraction. Dieser allzukühne Ausspruch, den Newton selbst nicht gewagt hatte, erweckte nur Abneigung gegen das ganze newtonische System, hielt den Fortgang der guten Sache auf, und verleitete die Anhänger der cartesianischen Theorien zu einer desto hartnäckigern Vertheidigung. Selbst, da man Newtons Sätze nicht mehr läugnen konnte, suchte man sie doch durch die seltsamsten Wendungen mit den Wirbeln zu vereinigen, wovon Johann Bernoulli's angeführte Schrift ein Beyspicl giebt. Seit dem endlich Newtons Lehren mit allgemeiner Ueberzeugung erkannt und angenommen sind, haben sich auch die Hypothesen über die Ursache der Schwere allmählig verlohren. Noch eine sehr geheimnißvolle Erklärung giebt Cadwallader Colden (Erklärung. der ersten wirkenden Ursache in der Materie und der Ursache der Schwere; a. d. engl. von Kästner. Hamburg, 1748. 8.).

Dennoch räumen die einsichtsvollsten Kenner der Naturlehre ein, daß das Phänomen der Gravitation und Schwere noch nicht einfach genug sey, und daß die Gesetze desselben zu viel besondere Bestimmung bey sich führen, als daß man es, wie eine letzte Ursache, betrachten, und die Möglichkeit einer weitern Erklärung läugnen könnte, s. Gravitation (Th. II. S. 527. u. f.). Man muß sich nur nicht mit der leeren Einbildung schmeicheln, die wahre


Maupertuis ſchließt ſeine Erzaͤhlung der carteſianiſchen Syſteme mit dieſen Worten: ”Man muß geſtehen, ”daß ſich bis hieher die Wirbel mit den Phaͤnomenen noch ”nicht auf eine befriedigende Art haben vereinigen laſſen. ”Dies berechtigt jedoch nicht, ſie fuͤr unmoͤglich zu halten. ”Nichts iſt ſchoͤner, als Descartes Gedanke, alles in ”der Phyſik durch Materie und Bewegung zu erklaͤren: ”aber wenn dieſer Gedanke ſchoͤn bleiben ſoll, ſo muß ”man ſich nicht erlauben, Materien und Bewegungen blos ”darum anzunehmen, weil man ihrer noͤthig hat.

Den lebhafteſten Gegenſatz mit dieſen mechaniſchen Erklaͤrungen machte die Behauptung der Newtonianer, daß die Schwere, als eine weſentliche Eigenſchaft der Materie, gar keine weitere Urſache habe, ſ. Gravitation, Attraction. Dieſer allzukuͤhne Ausſpruch, den Newton ſelbſt nicht gewagt hatte, erweckte nur Abneigung gegen das ganze newtoniſche Syſtem, hielt den Fortgang der guten Sache auf, und verleitete die Anhaͤnger der carteſianiſchen Theorien zu einer deſto hartnaͤckigern Vertheidigung. Selbſt, da man Newtons Saͤtze nicht mehr laͤugnen konnte, ſuchte man ſie doch durch die ſeltſamſten Wendungen mit den Wirbeln zu vereinigen, wovon Johann Bernoulli's angefuͤhrte Schrift ein Beyſpicl giebt. Seit dem endlich Newtons Lehren mit allgemeiner Ueberzeugung erkannt und angenommen ſind, haben ſich auch die Hypotheſen uͤber die Urſache der Schwere allmaͤhlig verlohren. Noch eine ſehr geheimnißvolle Erklaͤrung giebt Cadwallader Colden (Erklaͤrung. der erſten wirkenden Urſache in der Materie und der Urſache der Schwere; a. d. engl. von Kaͤſtner. Hamburg, 1748. 8.).

Dennoch raͤumen die einſichtsvollſten Kenner der Naturlehre ein, daß das Phaͤnomen der Gravitation und Schwere noch nicht einfach genug ſey, und daß die Geſetze deſſelben zu viel beſondere Beſtimmung bey ſich fuͤhren, als daß man es, wie eine letzte Urſache, betrachten, und die Moͤglichkeit einer weitern Erklaͤrung laͤugnen koͤnnte, ſ. Gravitation (Th. II. S. 527. u. f.). Man muß ſich nur nicht mit der leeren Einbildung ſchmeicheln, die wahre

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p>
              <pb facs="#f0906" xml:id="P.3.900" n="900"/><lb/>
            </p>
            <p><hi rendition="#b">Maupertuis</hi> &#x017F;chließt &#x017F;eine Erza&#x0364;hlung der carte&#x017F;iani&#x017F;chen Sy&#x017F;teme mit die&#x017F;en Worten: &#x201D;Man muß ge&#x017F;tehen, &#x201D;daß &#x017F;ich bis hieher die Wirbel mit den Pha&#x0364;nomenen noch &#x201D;nicht auf eine befriedigende Art haben vereinigen la&#x017F;&#x017F;en. &#x201D;Dies berechtigt jedoch nicht, &#x017F;ie fu&#x0364;r unmo&#x0364;glich zu halten. &#x201D;Nichts i&#x017F;t &#x017F;cho&#x0364;ner, als <hi rendition="#b">Descartes</hi> Gedanke, alles in &#x201D;der Phy&#x017F;ik durch Materie und Bewegung zu erkla&#x0364;ren: &#x201D;aber wenn die&#x017F;er Gedanke &#x017F;cho&#x0364;n bleiben &#x017F;oll, &#x017F;o muß &#x201D;man &#x017F;ich nicht erlauben, Materien und Bewegungen <hi rendition="#b">blos &#x201D;darum</hi> anzunehmen, <hi rendition="#b">weil man ihrer no&#x0364;thig hat.</hi>&#x201C;</p>
            <p>Den lebhafte&#x017F;ten Gegen&#x017F;atz mit die&#x017F;en mechani&#x017F;chen Erkla&#x0364;rungen machte die Behauptung der Newtonianer, daß die Schwere, als eine we&#x017F;entliche Eigen&#x017F;chaft der Materie, <hi rendition="#b">gar keine</hi> weitere Ur&#x017F;ache habe, &#x017F;. <hi rendition="#b">Gravitation, Attraction.</hi> Die&#x017F;er allzuku&#x0364;hne Aus&#x017F;pruch, den Newton &#x017F;elb&#x017F;t nicht gewagt hatte, erweckte nur Abneigung gegen das ganze newtoni&#x017F;che Sy&#x017F;tem, hielt den Fortgang der guten Sache auf, und verleitete die Anha&#x0364;nger der carte&#x017F;iani&#x017F;chen Theorien zu einer de&#x017F;to hartna&#x0364;ckigern Vertheidigung. Selb&#x017F;t, da man Newtons Sa&#x0364;tze nicht mehr la&#x0364;ugnen konnte, &#x017F;uchte man &#x017F;ie doch durch die &#x017F;elt&#x017F;am&#x017F;ten Wendungen mit den Wirbeln zu vereinigen, wovon <hi rendition="#b">Johann Bernoulli's</hi> angefu&#x0364;hrte Schrift ein Bey&#x017F;picl giebt. Seit dem endlich Newtons Lehren mit allgemeiner Ueberzeugung erkannt und angenommen &#x017F;ind, haben &#x017F;ich auch die Hypothe&#x017F;en u&#x0364;ber die Ur&#x017F;ache der Schwere allma&#x0364;hlig verlohren. Noch eine &#x017F;ehr geheimnißvolle Erkla&#x0364;rung giebt <hi rendition="#b">Cadwallader Colden</hi> (Erkla&#x0364;rung. der er&#x017F;ten wirkenden Ur&#x017F;ache in der Materie und der Ur&#x017F;ache der Schwere; a. d. engl. von Ka&#x0364;&#x017F;tner. Hamburg, 1748. 8.).</p>
            <p>Dennoch ra&#x0364;umen die ein&#x017F;ichtsvoll&#x017F;ten Kenner der Naturlehre ein, daß das Pha&#x0364;nomen der Gravitation und Schwere noch nicht einfach genug &#x017F;ey, und daß die Ge&#x017F;etze de&#x017F;&#x017F;elben zu viel be&#x017F;ondere Be&#x017F;timmung bey &#x017F;ich fu&#x0364;hren, als daß man es, wie eine letzte Ur&#x017F;ache, betrachten, und die Mo&#x0364;glichkeit einer weitern Erkla&#x0364;rung la&#x0364;ugnen ko&#x0364;nnte, &#x017F;. Gravitation (Th. <hi rendition="#aq">II.</hi> S. 527. u. f.). Man muß &#x017F;ich nur nicht mit der leeren Einbildung &#x017F;chmeicheln, die wahre<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[900/0906] Maupertuis ſchließt ſeine Erzaͤhlung der carteſianiſchen Syſteme mit dieſen Worten: ”Man muß geſtehen, ”daß ſich bis hieher die Wirbel mit den Phaͤnomenen noch ”nicht auf eine befriedigende Art haben vereinigen laſſen. ”Dies berechtigt jedoch nicht, ſie fuͤr unmoͤglich zu halten. ”Nichts iſt ſchoͤner, als Descartes Gedanke, alles in ”der Phyſik durch Materie und Bewegung zu erklaͤren: ”aber wenn dieſer Gedanke ſchoͤn bleiben ſoll, ſo muß ”man ſich nicht erlauben, Materien und Bewegungen blos ”darum anzunehmen, weil man ihrer noͤthig hat.“ Den lebhafteſten Gegenſatz mit dieſen mechaniſchen Erklaͤrungen machte die Behauptung der Newtonianer, daß die Schwere, als eine weſentliche Eigenſchaft der Materie, gar keine weitere Urſache habe, ſ. Gravitation, Attraction. Dieſer allzukuͤhne Ausſpruch, den Newton ſelbſt nicht gewagt hatte, erweckte nur Abneigung gegen das ganze newtoniſche Syſtem, hielt den Fortgang der guten Sache auf, und verleitete die Anhaͤnger der carteſianiſchen Theorien zu einer deſto hartnaͤckigern Vertheidigung. Selbſt, da man Newtons Saͤtze nicht mehr laͤugnen konnte, ſuchte man ſie doch durch die ſeltſamſten Wendungen mit den Wirbeln zu vereinigen, wovon Johann Bernoulli's angefuͤhrte Schrift ein Beyſpicl giebt. Seit dem endlich Newtons Lehren mit allgemeiner Ueberzeugung erkannt und angenommen ſind, haben ſich auch die Hypotheſen uͤber die Urſache der Schwere allmaͤhlig verlohren. Noch eine ſehr geheimnißvolle Erklaͤrung giebt Cadwallader Colden (Erklaͤrung. der erſten wirkenden Urſache in der Materie und der Urſache der Schwere; a. d. engl. von Kaͤſtner. Hamburg, 1748. 8.). Dennoch raͤumen die einſichtsvollſten Kenner der Naturlehre ein, daß das Phaͤnomen der Gravitation und Schwere noch nicht einfach genug ſey, und daß die Geſetze deſſelben zu viel beſondere Beſtimmung bey ſich fuͤhren, als daß man es, wie eine letzte Urſache, betrachten, und die Moͤglichkeit einer weitern Erklaͤrung laͤugnen koͤnnte, ſ. Gravitation (Th. II. S. 527. u. f.). Man muß ſich nur nicht mit der leeren Einbildung ſchmeicheln, die wahre

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Bibliothek des Max-Planck-Instituts für Wissenschaftsgeschichte : Bereitstellung der Texttranskription. (2015-09-02T12:13:09Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2015-09-02T12:13:09Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: keine Angabe; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): keine Angabe; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: keine Angabe; Zeichensetzung: keine Angabe; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gehler_woerterbuch03_1798
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gehler_woerterbuch03_1798/906
Zitationshilfe: Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 3. Leipzig, 1798, S. 900. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gehler_woerterbuch03_1798/906>, abgerufen am 22.11.2024.