Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 3. Leipzig, 1798.
Herr de Lüc, dessen Verdienste um die Naturlehre so groß sind, und dem man den Vorwurf gewiß nicht machen kan, daß er die Erfahrung über Hypothesen vernachläßige, rühmt dennoch bey jeder Gelegenheit eine Theorie seines Freundes, des Herrn Le Sage in Genf, welche den ganzen Mechanismus der bekannten Naturgesetze erklären soll. Diese Theorie ist noch nicht in ihrem ganzen Umsange bekannt; was aber Herr de Lüc hin und wieder von derselben anführt, und fast mit Enthusiasmus rühmt, hat ein sehr cartesianisches Ansehen. So wird z. B. den Theilen des freyen Feuers eine Bewegung in Spirallinien zugeschrieben. Was die Schwere betrift, so giebt Herr Le Sage an, Galiläis Gesetze fallender Körper folgten eben nicht nothwendig aus der Erfahrung, und die Versuche würden eben so ausfallen, wenn die Fallräume in andern Verhältnissen, z. B. wie die Trigonalzahlen, zunähmen; also dürfe man nicht schließen, daß die Schwere stetig und ununterbrochen wirke; es lasse sich alles auch aus unterbrochnen Wirkungen, oder aus Stößen, erklären. Herr Kästner (Prüfung eines vom Herrn le Sage angegebnen Gesetzes fallender Körper; im deutschen Museum, Jun. 1776. auch in der deutschen Ubers. des de Lüc über die Atmosphäre, II. B. S. 660.) hat diesen Gedanken sehr schön zergliedert. Stetigkeit ist allerdings nur Erscheinung, vielleicht nicht Wirklichkeit: aber man muß doch bey der Lehre von der Schwere Stetigkeit zum Grunde legen, weil die Erfahrung nichts über die Stärke und Anzahl der Stöße lehrt, und ohne diese Bestimmungen alles, was man immer rechnen möchte, nicht Erklärung, sondern willkührliche Erdichtung seyn würde. Herr de Lüc rühmt dennoch, daß ihm die Theorien des Herrn Le Sage auch in den dunkelsten Fächern der Physik allezeit einen sichern Leitfaden gegeben hätten.
Herr de Luͤc, deſſen Verdienſte um die Naturlehre ſo groß ſind, und dem man den Vorwurf gewiß nicht machen kan, daß er die Erfahrung uͤber Hypotheſen vernachlaͤßige, ruͤhmt dennoch bey jeder Gelegenheit eine Theorie ſeines Freundes, des Herrn Le Sage in Genf, welche den ganzen Mechanismus der bekannten Naturgeſetze erklaͤren ſoll. Dieſe Theorie iſt noch nicht in ihrem ganzen Umſange bekannt; was aber Herr de Luͤc hin und wieder von derſelben anfuͤhrt, und faſt mit Enthuſiasmus ruͤhmt, hat ein ſehr carteſianiſches Anſehen. So wird z. B. den Theilen des freyen Feuers eine Bewegung in Spirallinien zugeſchrieben. Was die Schwere betrift, ſo giebt Herr Le Sage an, Galilaͤis Geſetze fallender Koͤrper folgten eben nicht nothwendig aus der Erfahrung, und die Verſuche wuͤrden eben ſo ausfallen, wenn die Fallraͤume in andern Verhaͤltniſſen, z. B. wie die Trigonalzahlen, zunaͤhmen; alſo duͤrfe man nicht ſchließen, daß die Schwere ſtetig und ununterbrochen wirke; es laſſe ſich alles auch aus unterbrochnen Wirkungen, oder aus Stoͤßen, erklaͤren. Herr Kaͤſtner (Pruͤfung eines vom Herrn le Sage angegebnen Geſetzes fallender Koͤrper; im deutſchen Muſeum, Jun. 1776. auch in der deutſchen Uberſ. des de Luͤc uͤber die Atmoſphaͤre, II. B. S. 660.) hat dieſen Gedanken ſehr ſchoͤn zergliedert. Stetigkeit iſt allerdings nur Erſcheinung, vielleicht nicht Wirklichkeit: aber man muß doch bey der Lehre von der Schwere Stetigkeit zum Grunde legen, weil die Erfahrung nichts uͤber die Staͤrke und Anzahl der Stoͤße lehrt, und ohne dieſe Beſtimmungen alles, was man immer rechnen moͤchte, nicht Erklaͤrung, ſondern willkuͤhrliche Erdichtung ſeyn wuͤrde. Herr de Luͤc ruͤhmt dennoch, daß ihm die Theorien des Herrn Le Sage auch in den dunkelſten Faͤchern der Phyſik allezeit einen ſichern Leitfaden gegeben haͤtten. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0907" xml:id="P.3.901" n="901"/><lb/> Erklaͤrung zu kennen, ſo lange ſich das, was man dafuͤr haͤlt, nicht auf Erfahrung gruͤndet. Bis hieher findet ſich unter allen Dingen, welche Gegenſtaͤnde unſerer Sinne geworden ſind, noch nichts, was man fuͤr die Urſache der Schwere halten koͤnnte.</p> <p>Herr <hi rendition="#b">de Luͤc,</hi> deſſen Verdienſte um die Naturlehre ſo groß ſind, und dem man den Vorwurf gewiß nicht machen kan, daß er die Erfahrung uͤber Hypotheſen vernachlaͤßige, ruͤhmt dennoch bey jeder Gelegenheit eine Theorie ſeines Freundes, des Herrn <hi rendition="#b">Le Sage</hi> in Genf, welche den ganzen Mechanismus der bekannten Naturgeſetze erklaͤren ſoll. Dieſe Theorie iſt noch nicht in ihrem ganzen Umſange bekannt; was aber Herr <hi rendition="#b">de Luͤc</hi> hin und wieder von derſelben anfuͤhrt, und faſt mit Enthuſiasmus ruͤhmt, hat ein ſehr carteſianiſches Anſehen. So wird z. B. den Theilen des freyen Feuers eine Bewegung in Spirallinien zugeſchrieben. Was die Schwere betrift, ſo giebt Herr <hi rendition="#b">Le Sage</hi> an, Galilaͤis Geſetze fallender Koͤrper folgten eben nicht nothwendig aus der Erfahrung, und die Verſuche wuͤrden eben ſo ausfallen, wenn die Fallraͤume in andern Verhaͤltniſſen, z. B. wie die Trigonalzahlen, zunaͤhmen; alſo duͤrfe man nicht ſchließen, daß die Schwere ſtetig und ununterbrochen wirke; es laſſe ſich alles auch aus unterbrochnen Wirkungen, oder aus Stoͤßen, erklaͤren. Herr Kaͤſtner (Pruͤfung eines vom Herrn le Sage angegebnen Geſetzes fallender Koͤrper; im deutſchen Muſeum, Jun. 1776. auch in der deutſchen Uberſ. des de Luͤc uͤber die Atmoſphaͤre, <hi rendition="#aq">II.</hi> B. S. 660.) hat dieſen Gedanken ſehr ſchoͤn zergliedert. Stetigkeit iſt allerdings nur Erſcheinung, vielleicht nicht Wirklichkeit: aber man muß doch bey der Lehre von der Schwere Stetigkeit zum Grunde legen, weil die Erfahrung nichts uͤber die Staͤrke und Anzahl der Stoͤße lehrt, und ohne dieſe Beſtimmungen alles, was man immer rechnen moͤchte, nicht Erklaͤrung, ſondern willkuͤhrliche Erdichtung ſeyn wuͤrde. Herr <hi rendition="#b">de Luͤc</hi> ruͤhmt dennoch, daß ihm die Theorien des Herrn <hi rendition="#b">Le Sage</hi> auch in den dunkelſten Faͤchern der Phyſik allezeit einen ſichern Leitfaden gegeben haͤtten.<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [901/0907]
Erklaͤrung zu kennen, ſo lange ſich das, was man dafuͤr haͤlt, nicht auf Erfahrung gruͤndet. Bis hieher findet ſich unter allen Dingen, welche Gegenſtaͤnde unſerer Sinne geworden ſind, noch nichts, was man fuͤr die Urſache der Schwere halten koͤnnte.
Herr de Luͤc, deſſen Verdienſte um die Naturlehre ſo groß ſind, und dem man den Vorwurf gewiß nicht machen kan, daß er die Erfahrung uͤber Hypotheſen vernachlaͤßige, ruͤhmt dennoch bey jeder Gelegenheit eine Theorie ſeines Freundes, des Herrn Le Sage in Genf, welche den ganzen Mechanismus der bekannten Naturgeſetze erklaͤren ſoll. Dieſe Theorie iſt noch nicht in ihrem ganzen Umſange bekannt; was aber Herr de Luͤc hin und wieder von derſelben anfuͤhrt, und faſt mit Enthuſiasmus ruͤhmt, hat ein ſehr carteſianiſches Anſehen. So wird z. B. den Theilen des freyen Feuers eine Bewegung in Spirallinien zugeſchrieben. Was die Schwere betrift, ſo giebt Herr Le Sage an, Galilaͤis Geſetze fallender Koͤrper folgten eben nicht nothwendig aus der Erfahrung, und die Verſuche wuͤrden eben ſo ausfallen, wenn die Fallraͤume in andern Verhaͤltniſſen, z. B. wie die Trigonalzahlen, zunaͤhmen; alſo duͤrfe man nicht ſchließen, daß die Schwere ſtetig und ununterbrochen wirke; es laſſe ſich alles auch aus unterbrochnen Wirkungen, oder aus Stoͤßen, erklaͤren. Herr Kaͤſtner (Pruͤfung eines vom Herrn le Sage angegebnen Geſetzes fallender Koͤrper; im deutſchen Muſeum, Jun. 1776. auch in der deutſchen Uberſ. des de Luͤc uͤber die Atmoſphaͤre, II. B. S. 660.) hat dieſen Gedanken ſehr ſchoͤn zergliedert. Stetigkeit iſt allerdings nur Erſcheinung, vielleicht nicht Wirklichkeit: aber man muß doch bey der Lehre von der Schwere Stetigkeit zum Grunde legen, weil die Erfahrung nichts uͤber die Staͤrke und Anzahl der Stoͤße lehrt, und ohne dieſe Beſtimmungen alles, was man immer rechnen moͤchte, nicht Erklaͤrung, ſondern willkuͤhrliche Erdichtung ſeyn wuͤrde. Herr de Luͤc ruͤhmt dennoch, daß ihm die Theorien des Herrn Le Sage auch in den dunkelſten Faͤchern der Phyſik allezeit einen ſichern Leitfaden gegeben haͤtten.
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