Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 4. Leipzig, 1798.
Inzwischen blieb doch bey weitem der größte Theil der griechischen Philosophen und Astronomen bey dem sinnlichen Scheine und der Unbeweglichkeit der Erde stehen. Aristoteles (De caelo L. I. et II.) vertheidigt diese Lehre mit vielen, obgleich unbedeutenden Gründen, und beschuldigt die italischen Weltweisen, daß sie die Phänomene nach ihren Hypothesen dreheten, anstatt sie aus denselben zu erklären. Dieser dreiste Widerspruch hat bey der großen und allgemeinen Verehrung der aristotelischen Sätze der guten Sache ungemein geschadet, und noch in neuern Zeiten die schnellere Verbreitung der wiedergefundenen Wahrheit verhindert. Nach einer Stelle des Plutarch (De facie in orbe Lunae) müßte schon bey den Griechen die Bewegung der Erde als ein ketzerischer Lehrsatz betrachtet worden seyn. Es soll nemlich Aristarch von Samos gesagt haben, der Stoiker Kleanthes verdiene von den Griechen der Irreligion ([fremdsprachliches Material] ) angeklagt zu werden, weil er die Festigkeit der Erde läugne ([fremdsprachliches Material] ). Da aber Aristarch nach den einstimmigsten Zeugnissen des Archimedes und anderer, ja nach einigen Stellen des Plutarch selbst, ein einsichtsvoller Vertheidiger der Bewegung der Erde war, so sind hier offenbar die Namen verfälscht oder verwechselt, und die Glaubwürdigkeit der Stelle bleibt ungewiß, wiewohl sie immer zeigt, daß die Idee von Verbindung solcher Sätze mit der Religion schon im Alterthum gefunden werde. Man ordnete um diese in der Mitte ruhende Erde die sieben Bahnen des Monds, des Merkur, der Venus, der Sonne, des Mars, Jupiter und Saturn, und umgab dies alles mit der achten Sphäre der Fixsterne. Die Venus und den Merkur ließen zwar einige um die Sonne laufen; die meisten aber führten sie in Kreisen um leere Mittelpunkte, und ließen diese Punkte mit der Sonne zugleich um die Erde gehen, wodurch die Erscheinungen ebenfalls erklärt werden. Dabey ward es streitig, ob diese beyden Planeten außerhalb oder innerhalb der Sonnenbahn um die Erde
Inzwiſchen blieb doch bey weitem der groͤßte Theil der griechiſchen Philoſophen und Aſtronomen bey dem ſinnlichen Scheine und der Unbeweglichkeit der Erde ſtehen. Ariſtoteles (De caelo L. I. et II.) vertheidigt dieſe Lehre mit vielen, obgleich unbedeutenden Gruͤnden, und beſchuldigt die italiſchen Weltweiſen, daß ſie die Phaͤnomene nach ihren Hypotheſen dreheten, anſtatt ſie aus denſelben zu erklaͤren. Dieſer dreiſte Widerſpruch hat bey der großen und allgemeinen Verehrung der ariſtoteliſchen Saͤtze der guten Sache ungemein geſchadet, und noch in neuern Zeiten die ſchnellere Verbreitung der wiedergefundenen Wahrheit verhindert. Nach einer Stelle des Plutarch (De facie in orbe Lunae) muͤßte ſchon bey den Griechen die Bewegung der Erde als ein ketzeriſcher Lehrſatz betrachtet worden ſeyn. Es ſoll nemlich Ariſtarch von Samos geſagt haben, der Stoiker Kleanthes verdiene von den Griechen der Irreligion ([fremdsprachliches Material] ) angeklagt zu werden, weil er die Feſtigkeit der Erde laͤugne ([fremdsprachliches Material] ). Da aber Ariſtarch nach den einſtimmigſten Zeugniſſen des Archimedes und anderer, ja nach einigen Stellen des Plutarch ſelbſt, ein einſichtsvoller Vertheidiger der Bewegung der Erde war, ſo ſind hier offenbar die Namen verfaͤlſcht oder verwechſelt, und die Glaubwuͤrdigkeit der Stelle bleibt ungewiß, wiewohl ſie immer zeigt, daß die Idee von Verbindung ſolcher Saͤtze mit der Religion ſchon im Alterthum gefunden werde. Man ordnete um dieſe in der Mitte ruhende Erde die ſieben Bahnen des Monds, des Merkur, der Venus, der Sonne, des Mars, Jupiter und Saturn, und umgab dies alles mit der achten Sphaͤre der Fixſterne. Die Venus und den Merkur ließen zwar einige um die Sonne laufen; die meiſten aber fuͤhrten ſie in Kreiſen um leere Mittelpunkte, und ließen dieſe Punkte mit der Sonne zugleich um die Erde gehen, wodurch die Erſcheinungen ebenfalls erklaͤrt werden. Dabey ward es ſtreitig, ob dieſe beyden Planeten außerhalb oder innerhalb der Sonnenbahn um die Erde <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><hi rendition="#aq"><pb facs="#f0716" xml:id="P.4.706" n="706"/><lb/> 1639. 4. Aſtronomia Philolaica. Paris, 1645. fol.</hi>) vorgetragen worden.</p> <p>Inzwiſchen blieb doch bey weitem der groͤßte Theil der griechiſchen Philoſophen und Aſtronomen bey dem ſinnlichen Scheine und der Unbeweglichkeit der Erde ſtehen. <hi rendition="#b">Ariſtoteles</hi> (<hi rendition="#aq">De caelo L. I. et II.</hi>) vertheidigt dieſe Lehre mit vielen, obgleich unbedeutenden Gruͤnden, und beſchuldigt die italiſchen Weltweiſen, daß ſie die Phaͤnomene nach ihren Hypotheſen dreheten, anſtatt ſie aus denſelben zu erklaͤren. Dieſer dreiſte Widerſpruch hat bey der großen und allgemeinen Verehrung der ariſtoteliſchen Saͤtze der guten Sache ungemein geſchadet, und noch in neuern Zeiten die ſchnellere Verbreitung der wiedergefundenen Wahrheit verhindert. Nach einer Stelle des <hi rendition="#b">Plutarch</hi> (<hi rendition="#aq">De facie in orbe Lunae</hi>) muͤßte ſchon bey den Griechen die Bewegung der Erde als ein ketzeriſcher Lehrſatz betrachtet worden ſeyn. Es ſoll nemlich Ariſtarch von Samos geſagt haben, der Stoiker Kleanthes verdiene von den Griechen der Irreligion (<foreign xml:lang="grc"><gap reason="fm"/><note type="editorial">a)sebei/as</note></foreign>) angeklagt zu werden, weil er die Feſtigkeit der Erde laͤugne (<foreign xml:lang="grc"><gap reason="fm"/><note type="editorial">w(s xinou_n tou_ ko/smou th\n e(si/an</note></foreign>). Da aber Ariſtarch nach den einſtimmigſten Zeugniſſen des Archimedes und anderer, ja nach einigen Stellen des Plutarch ſelbſt, ein einſichtsvoller Vertheidiger der Bewegung der Erde war, ſo ſind hier offenbar die Namen verfaͤlſcht oder verwechſelt, und die Glaubwuͤrdigkeit der Stelle bleibt ungewiß, wiewohl ſie immer zeigt, daß die Idee von Verbindung ſolcher Saͤtze mit der Religion ſchon im Alterthum gefunden werde.</p> <p>Man ordnete um dieſe in der Mitte ruhende Erde die ſieben Bahnen des Monds, des Merkur, der Venus, der Sonne, des Mars, Jupiter und Saturn, und umgab dies alles mit der achten Sphaͤre der Fixſterne. Die Venus und den Merkur ließen zwar einige um die Sonne laufen; die meiſten aber fuͤhrten ſie in Kreiſen um leere Mittelpunkte, und ließen dieſe Punkte mit der Sonne zugleich um die Erde gehen, wodurch die Erſcheinungen ebenfalls erklaͤrt werden. Dabey ward es ſtreitig, ob dieſe beyden Planeten außerhalb oder innerhalb der Sonnenbahn um die Erde<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [706/0716]
1639. 4. Aſtronomia Philolaica. Paris, 1645. fol.) vorgetragen worden.
Inzwiſchen blieb doch bey weitem der groͤßte Theil der griechiſchen Philoſophen und Aſtronomen bey dem ſinnlichen Scheine und der Unbeweglichkeit der Erde ſtehen. Ariſtoteles (De caelo L. I. et II.) vertheidigt dieſe Lehre mit vielen, obgleich unbedeutenden Gruͤnden, und beſchuldigt die italiſchen Weltweiſen, daß ſie die Phaͤnomene nach ihren Hypotheſen dreheten, anſtatt ſie aus denſelben zu erklaͤren. Dieſer dreiſte Widerſpruch hat bey der großen und allgemeinen Verehrung der ariſtoteliſchen Saͤtze der guten Sache ungemein geſchadet, und noch in neuern Zeiten die ſchnellere Verbreitung der wiedergefundenen Wahrheit verhindert. Nach einer Stelle des Plutarch (De facie in orbe Lunae) muͤßte ſchon bey den Griechen die Bewegung der Erde als ein ketzeriſcher Lehrſatz betrachtet worden ſeyn. Es ſoll nemlich Ariſtarch von Samos geſagt haben, der Stoiker Kleanthes verdiene von den Griechen der Irreligion (_ ) angeklagt zu werden, weil er die Feſtigkeit der Erde laͤugne (_ ). Da aber Ariſtarch nach den einſtimmigſten Zeugniſſen des Archimedes und anderer, ja nach einigen Stellen des Plutarch ſelbſt, ein einſichtsvoller Vertheidiger der Bewegung der Erde war, ſo ſind hier offenbar die Namen verfaͤlſcht oder verwechſelt, und die Glaubwuͤrdigkeit der Stelle bleibt ungewiß, wiewohl ſie immer zeigt, daß die Idee von Verbindung ſolcher Saͤtze mit der Religion ſchon im Alterthum gefunden werde.
Man ordnete um dieſe in der Mitte ruhende Erde die ſieben Bahnen des Monds, des Merkur, der Venus, der Sonne, des Mars, Jupiter und Saturn, und umgab dies alles mit der achten Sphaͤre der Fixſterne. Die Venus und den Merkur ließen zwar einige um die Sonne laufen; die meiſten aber fuͤhrten ſie in Kreiſen um leere Mittelpunkte, und ließen dieſe Punkte mit der Sonne zugleich um die Erde gehen, wodurch die Erſcheinungen ebenfalls erklaͤrt werden. Dabey ward es ſtreitig, ob dieſe beyden Planeten außerhalb oder innerhalb der Sonnenbahn um die Erde
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